Kapitel 10: Weitere Jahre und Tod in Bad Kreuznach 

 

Notgedrungene Neuorientierung

 

Die folgenden Jahre waren für Hugo Salzmann einsamer. Nacheinander hatte er vieles, was ihm wichtig und wertvoll war, verloren: Verloren hatte er durch ihren Tod im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück seine Frau Julianna. Verloren hatte er auch seinen Sohn Hugo durch seine Übersiedlung in die DDR. Verloren hatte er nach seiner fristlosen Kündigung – vorübergehend – seine Arbeitsstelle als Gewerkschaftssekretär. Verloren hatte er sein Stadtrats- und Kreistagsmandat durch die Wahlergebnisse bzw. durch das Verbot der KPD. Verloren hatte er seine politische Heimat – ebenfalls durch das Verbot der KPD. Verloren hatte er den Kontakt zu dem einen oder anderen Kameraden aus der Emigrantenzeit.  Auch das Verhältnis zu seiner Herkunftsfamilie in Bad Kreuznach und Umgebung war nicht gut und weitgehend gestört.

Andererseits hatte er eine neue Familie gefunden: seine dritte Frau Maria und ihre gemeinsame Tochter Julianna. Zudem war er weiterhin Gewerkschaftssekretär. Auch bestanden die zum Teil jahrzehntelangen Kontakte zu seinen Genossen, früheren Stadtratskollegen und Freunden ja fort. 

Gleichwohl war Hugos Salzmanns Leben alles in allem ärmer und „privater“ geworden – und das im Alter von nicht einmal 60 Jahren. Sein großes Engagement, das ihn jahrzehntelang motiviert und angetrieben hatte, hatte innerhalb kurzer Zeit nur noch einen eingeschränkten Wirkungskreis. Wollte er dies nicht brach liegen lassen, so musste er sich neue Betätigungsfelder eröffnen. Das konnte ihm auch über manche Enttäuschung und manchen Verlust hinweghelfen und Achtung und Anerkennung verschaffen –Werte, die Hugo Salzmann auch wichtig waren.

So war Hugo Salzmann ab 1956 Mitglied  des Verwaltungsausschusses beim Arbeitsamt Bad Kreuznach. 

Wie schon in den Jahren zuvor, engagierte er sich insbesondere für Waisenkinder und soziale Einrichtungen. Dabei knüpfte er vielfach – als eine Art Wiedergutmachung – an das Schicksal deren Eltern in der NS-Zeit und - als eine Art Dankeschön – an den guten Kontakt seinerzeit an. So spendete er etwa in Erinnerung an den Aufenthalt von 1935 bis 1939 in dem Pariser Stadtteil Montreuil 100 DM für Antifaschisten und Kinder dort. Weitere Spenden gingen an die Einwohner von Lidice in der Tschechoslowakei, deren Dorf Hitler dem Erdboden gleich gemacht hatte, deren Männer ermordet und Frauen in das Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt wurden. Ebenso spendete er für Waisenkinder der Opfer des KZ Auschwitz. Zu Weihnachten schickte er regelmäßig dem ehemaligen Gefängnispfarrer Paul Fechler, inzwischen Monsignore und Caritasdirektor des Bistums Trier, eine Spende zugunsten armer Waisenkinder.

Ein besonderer Kontakt entwickelte sich über Jahre hinweg zu den „Bambini in Biancotto“. Das waren Kinder von Vätern und Müttern, die für die Befreiung Italiens vom Mussolini-Faschismus und von den deutschen Besatzern gekämpft hatten. Sie hatten eine kleine Heimstatt in der Nähe von Venedig, die immer unter Geldmangel und unter behördlichen Reglementierungen litt. Hugo Salzmann sammelte immer wieder für die Bambini von Biancotto. Er organisierte sogar einen Ferienaufenthalt deutscher Kinder in Italien.

Bald darauf kamen 40 Waisenkinder aus Biancotto zum Gegenbesuch nach Deutschland und waren zu Gast bei Hugo Salzmann. Für jeden Jungen hatte er aus Spenden ein Paar Schuhe und ein Hemd besorgt. Während eines Urlaubs in Italien lernte Hugo Salzmann auch italienische Widerstandskämpfer näher kennen. Der Kontakt zu ihnen setzte sich dann fort, als diese auf dem Weg zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Hugo Salzmann in Bad Kreuznach zu Besuch waren.

 

Waisenkinder von Biancotto zu Besuch bei Hugo Salzmann in Bad Kreuznach.
Hugo Salzmann in der hintersten Reihe in der Mitte, rechts von ihm Lore Wolf. Mitte 1950er Jahre

(Quelle: privat)

 

Artikel in der italienischen Zeitun „Patria indipendente“ (1956)  über Hugo Salzmann und seine Hilfsmaßnahmen
für die Waisenkinder von Biancotto bei Venedig.

 

Bis nach Jugoslawien hin hatte Hugo Salzmann Kontakte zu ehemaligen Partisanen und Widerstandskämpfern. Wiederholt besuchte er sie zusammen mit seiner Frau Maria und sie zeigten ihnen ihre Heimat.

Aber auch die Kontakte in Bad Kreuznach und Umgebung pflegte Hugo Salzmann. Dabei war er dem DGB und seinen Mitgliedern besonders verbunden, war er doch seit 1918 Gewerkschaftsmitglied und inzwischen und weiterhin Rechtsschutzsekretär des DGB.

Besuch des italienischen ehemaligen Widerstandskämpfers Alfredo Bertoli aus Venedig 
bei Hugo Salzmann, beide bei einer Schiffstour auf dem Mittelrhein, um 1958 (Quelle: privat) 

Bei Jubiläen war Hugo Salzmann – auch wenn er nicht zu den Geehrten gehörte – ein gern gesehener und gehörter Gast. Als im Jahr 1963 der Gewerkschafter Paul Güttler für 69-jährige Mitgliedschaft und andere für 60- und 50-jährige Mitgliedschaft geehrt wurden, war es Hugo Salzmann, der mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Ortsverwaltung Willi Förster zur Freude der Anwesenden Erinnerungen aus alter Zeit auffrischte.

Auch bei anderen Veranstaltungen engagierte sich Hugo Salzmann. Ein wichtiger Termin war für den „alten“ Gewerkschafter der 1. Mai. Wie schon bei den Feierlichkeiten in der Weimarer Zeit an diesem Tag war er auch jetzt aktiv. Allerdings waren die Reden und das Umfeld nicht mehr so kämpferisch wie früher. Die Geselligkeit stand mehr im Vordergrund, wie etwa bei dem Familiennachmittag im Forsthaus Speitel im Stadtwald oberhalb von Bad Kreuznach bei dem Hugo Salzmann das Eierlaufen der Kinder organisierte

Kinderbelustigung beim Metallarbeiterfest auf dem Spreitel in Bad Kreuznach, 1956 (Quelle: privat)

 

Ehrung der Jubilare für Jahrzehnte lange Mitgliedschaft
 in der IG Metall, Bad Kreuznach 1963 (Quelle: privat)

Ende der 1950er Jahre kam Hugo Salzmann auf seine Schnitzereien im Konzentrationslager Le Vernet vor fast 20 Jahren wieder zurück. Diese Beschäftigung hatte ihm in der Internierung Abwechslung, eine Aufgabe und einen Kontakt zur Außenwelt gebracht. Aus einer ganz ähnlichen Motivation heraus kam er auf diese Betätigung zurück. Es geschah aber unter ganz anderen Umständen, mit anderen Werkzeugen und mit anderen Materialien. Die Wirkungen waren aber ähnlich wie in Le Vernet. 

Auch unternahm er regelmäßig Fahrten in die DDR. Sie galten sehr oft seinem noch im Vogtland lebenden Vater und seiner ebenfalls in Mylau wohnenden Schwester Anni. Er verband sie aber auch mit dem Besuch von Gedenkstätten, wie etwa mit der Teilnahme an der Einweihung des Mahnmals in Buchenwald Mitte September 1958 und im folgenden Jahr mit dem Besuch der Gedenkstätte des Frauen-KZ Ravensbrück. Der Aufenthalt in Ravensbrück war für Hugo Salzmann eine besondere Belastung, war doch seine Frau Julianna nach Jahren der Qual, des Hungers und der Krankheit dort am 6. Dezember 1944 unter elenden Verhältnissen ums Leben gekommen. 

Dieser Erinnerung war es sicherlich auch geschuldet, dass bei Hugo Salzmann ein Zwölffingerdarmgeschwür mit schwe- ren Blutungen aufbrach. Das machte eine umgehende Operation in einem Magdeburger Krankenhaus nötig, die zum Glück gut verlief. Von Lore Wolf benachrichtigt, brachen sein Sohn und dessen Frau ihren Urlaub bei Tante Ernestine in der Steiermark ab und eilten an das Krankenbett. Inzwischen hatte sich der Vater etwas erholt – und sah durch diesen Umstand nach sieben Jahren sein Sohn wieder und lernte seine Schwiegertochter Hertl wenigstens einmal kennen. 

Nach dem Krankenhaus-Aufenthalt in Magdeburg kam Hugo Salzmann zur Rehabilitation in das Sanatorium Sennhütte in Wernigerode/Harz. Von dort verschickte er einige (Überlebens-)Grüße an Freunde und Bekannte in Bad Kreuznach. Von einem Kreuznacher Rechtsanwalt erhielt er folgende Antwort:

Schreiben eines Kreuznacher Rechtsanwalts vom 20. Oktober 1959 an Hugo Salzmann in die Rehabilitation:  

„Von Deinem Pech bzw. von Deinem Glück hatten wir hier schon gehört, als Deine liebe Karte mit dem wunderschönen Foto hier ankam. Ein längst Totgesagter - regte sich. Die ganze Stadt hatte sich schon gegenseitig erzählt, dass Du in der Ostzone gestorben seist.“  

 

 

Das schwierige Verhältnis zu seinem Sohn.

 

Irritierend für das Hugo Salzmann-Bild ist, dass er seinen Sohn Hugo, der inzwischen bereits einige Jahre in der DDR lebte, bei seinen verschiedenen Aufenthalten in der DDR nie besuchte. Und dabei hätte der Sohn schon die Unterstützung seines Vaters gut gebrauchen können. Denn wie in Bad Kreuznach war für ihn auch der Start in der DDR mit Schwierigkeiten verbunden. Hugo junior glaubte aber in Franz Dahlem, dem Kameraden seines Vaters aus dem Konzentrationslager Le Vernet, einen Fürsprecher zu haben. Sein Pech war aber, dass Dahlem nach dem Slánský-Prozess inzwischen in Ungnade gefallen und all seiner Partei- und Staatsämter enthoben worden war. Es war jetzt gefährlich, sich auf Dahlem zu berufen und in diese „Affäre“ womöglich hineingezogen zu werden. Deshalb wandten sich Hugo Salzmanns  Gefährten von der FDJ von ihm ab und mieden ihn. Erst einige Zeit später bemerkte Hugo seinen Fehler.

Nun erst recht hing der Sohn an seinem Vater. Immer wieder bemühte er sich um einen guten Kontakt zu ihm und dessen neuer Frau Maria sowie deren Tochter Julianna. 

Das Bild (unten) trägt folgende Widmung: 

„Meinem lieben, tapferen Vati, zum 52. Geburtstag am 4. Februar 1955 gewidmet. Mögen Dir noch recht viele Jahre Gesundheit, Zufriedenheit und Freude beschieden sein, damit Du unserer Familie noch lange erhalten bleibst. 
Wernigerode, Januar 55
Dein Sohn Hugo.“

 

Hugo Salzmann junior, 1955 
(Foto: privat)

In der Zwischenzeit war Franz Dahlem – anders als Paul Merker – rehabilitiert worden. Nun fiel auf Hugo junior kein Makel mehr. Jetzt wurde er auch in der DDR als Opfer des Faschismus anerkannt, in die SED aufgenommen und auf seinen Wunsch hin nach Halle an der Saale geschickt. Dort wollte er an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät das Abitur nachholen. Dazu kam es aber nicht. Bei einem Maskenball lernte er die Studentin Herta („Hertl“) kennen und lieben. Beide warfen ihre Zukunftspläne über Bord, heirateten im Dezember 1957 und gründeten einen eigenen Hausstand. Bald, im Juli 1959, kam der erste Sohn, Peter, zur Welt. 

Aber auch diese neue Entwicklung in der Familiensituation seines Sohnes, vermochte nichts an dem schwierigen Vater-Sohn-Verhältnis zu ändern. Denn auch zur Hochzeit von Hugo und Hertl war er nicht gekommen, hatte nicht einmal ein Geschenk oder auch nur Glückwünsche geschickt. 

Hochzeitsfoto von 
Hugo Salzmann junior und seiner Frau Herta („Hertl“),1957 (Quelle: privat)

Dabei sind die noch vorhandenen Briefe Hugos an seinen Vater sehr herzlich und beziehen seine Frau Maria („Maja“) und deren Tochter Julianna liebenswert ein. Im Brief vom 28. Oktober 1963 an den Vater heißt es etwa: 

Brief von Hugo Salzmann junior vom 28. Oktober 1963 an seinen Vater (Teil 1):

„Möchte Maja und Julianna von Herzen danken und sie beide ganz fest drücken. Ich wünsche Julianna in der Schule, im Lernen, im Ballett große Erfolge, möge sie einmal eine sowjetische Ballerina werden. Und den sterbenden Schwan, den weltberühmten von Tschaikowski, tanzen.“

 

Auch auf seinen Vater und seine inzwischen fertig gestellten und auch öffentlich gezeigten Schnitzarbeiten ging Hugo einfühlsam ein. Er war des Lobes voll und verglich dessen Arbeiten mit denen Barlachs, die sein Vater bislang nicht kannte.

Brief von Hugo Salzmann junior vom 28. Oktober 1963 an seinen Vater (Teil 2):

„Ja, sehr gerne möchte ich mal, lieber Vater, Deine Skulpturen sehen. Nach dem letzten Artikel im ‚Öffentlichen Anzeiger‘, den Du mir geschickt hast, muss es künstlerisch einwandfrei sein, vor allem stelle ich mir das Individuelle vor, die persönliche Note, die charakterliche Ausdrucksweise, die Du zu verleihen imstande bist. Ich versuche Dir einmal in der nächsten Zeit einige Ausschnitte aus der letzten ‚Berliner Illustrierten‘ zu senden. Da schreibt J. Dieckmann über einen Besuch bei BARLACH 1963. Natürlich eine Ausstellung, denn Barlach starb vor 25 Jahren. Es könnten Deine Figuren sein. In Güstrow befindet sich ein großer Teil seiner Arbeiten.“

 

Immer wieder bemühte sich Sohn Hugo um seinen Vater, um das Verhältnis zueinander zu verbessern. Etwa wollte er ihn zur Mitarbeit bei einem Buchprojekt, das er mit einem Pädagogen in der DDR über Jugendprobleme und einige Schicksale während der NS-Zeit begonnen hatte, gewinnen. Darüber berichtete der Sohn seinem Vater in einem Brief vom 25. Juni 1964:

Brief von Hugo Salzmann junior vom 25. Juni 1964 an seinen Vater:

„Mein Kollege und ich haben etliches Material bereits aus Österreich, Spezialkarte aus der Steiermark, wo wir einiges über die österreichische Partisanenbewegung bringen. Aus der Schweiz erwarte ich verschiedene Angaben und geografische Unterlagen usw. Mein Kollege, ein Pädagoge, und ich sind fest davon überzeugt, in einem Jahr ein interessantes Buch, speziell für die Jugend zu schaffen, welches insbesondere die Jugendprobleme und einige Schicksale während der nationalsozialistischen Zeit behandelt und weiter bis in die Gegenwart verläuft. Da kannst Du Dir denken, dass ein solches Vorhaben sehr viel Kleinarbeit bedarf, so z.B. lesen wir zurzeit Romane von Lion Feuchtwanger ‚Teufel in Frankreich‘, von Marchwitza, von dem verstorbenen jüdischen Professor Dr. Dr. Klemperer ‚Die Sprache des Dritten Reiches‘ usw. usf., werten verschiedene Literatur aus, insbesondere hier bei der Universitätsbibliothek. Ich weiß, dass es für Dich eine Belastung ist, uns in dieser Richtung behilflich zu sein und schöner wäre es natürlich, wenn wir Gelegenheit hätten, mit Dir zu sprechen, um gleich aus Deinem Erzählen verschiedene Notizen machen zu können, die später literarisch verarbeitet werden können. – aber es war leider bisher nicht möglich. Ich hoffe, dass Du, lieber Vater, uns Deinen Möglichkeiten entsprechend unterstützt und uns zu den gesandten Fragen jeweils kurz im Telegrammstil einiges mitteilst. Viele Abende und manchmal auch Nächte werden und sind auch schon drauf gegangen, aber unsere Thematik ist sehr aktuell und da der Weg meines Partners ebenso sehr interessant ist, wir beide bereits einige kleinere literarische Sachen gebracht haben, versprechen wir uns viel davon. Nun sammeln wir Fakten, Fakten, da dies für jeden Schriftsteller die Grundlage bedeutet. Also nochmals für Deine Bemühungen im Voraus vielen Dank!“

 

Einige Monate später, als sein Vater auf diese Bitte immer noch nicht eingegangen war, kam Hugo junior noch einmal darauf zurück und lud ihn für acht Tage zum Besuch bei sich ein.

Brief von Hugo junior vom 9. Oktober 1964 an seinen Vater:

„(Wir) könnten auch alles betreffend das Buch miteinander besprechen. Wenn Du die gesamte Disposition siehst, durchliest, die wir in Kürze mit bereits sechs fertigen Kapiteln dem hiesigen Mitteldeutschen Verlag einreichen werden, so wirst Du erkennen, dass wir nichts bzw. kaum etwas aus Deinem Komplex herausnehmen.“

 

Aus diesem Besuch Hugo Salzmanns wie auch aus dem Buch seines Sohnes wurde aber nichts. Hugo Salzmann mied näheren Kontakt zu seinem Sohn. Dabei kann man nicht sagen, dass das Verhältnis damals schon sehr schlecht war. Denn immerhin bemühte er sich für seinen Sohn, nachträglich noch höhere Wiedergutmachungsleistungen zu erhalten. Das darf man allerdings nicht überbewerten, denn schließlich war Hugo Salzmann Rechtsschutzsekretär des DGB und mit der Materie und den Verhältnissen durch seine eigenen Wiedergutmachungsverfahren vertraut. Für seinen Sohn erzielte er einen Vergleich – der allerdings Hugo junior nicht zufrieden stellte.

 

Flucht des Sohns nach Österreich und Bruch des Vaters mit ihm

 

Zu dieser Zeit stand Hugo junior ziemlich allein. Sein Großvater war im Jahr 1959 in Mylau gestorben. Zu seinem Vater hatte er bis auf den  kurzen Besuch im Magdeburger Krankenhaus keinen näheren Kontakt. Gelegentliche Besuche erhielt er nur von seiner Tante Ernestine, wie auch er das eine oder andere Mal zu ihr in die Steiermark fuhr. Sicherlich litt Hugo Salzmann junior unter diesem weitgehenden familiären Desinteresse und der Isolierung. 

Diese schwierige Situation verschlechterte sich seit 1961. Seitdem bemühte er sich vergebens, die DDR für einen Urlaub zu verlassen. Er wollte einfach einmal wieder „raus“ und seine Tante Ernestine, bei der er mehrere Jahre gelebt und die ihn wie eine Mutter erzogen hatte, in der Steiermark besuchen. Auch ging es ihm darum, seinen Sohn Peter, der von Geburt an an einer spastischen Lähmung litt, gesündere, ländliche Umgebung zu ermöglichen, von der aus man auch in wärmere Landstriche, etwa das Mittelmeer, gelangen konnte. Inwieweit hierbei der Hintergedanke eine Rolle spielte, den selbst gewählten Aufenthalt in der DDR für immer zu beenden, ist nicht ganz klar. Einen Eindruck von der Situation vermittelt der Brief von Hugo junior vom 17. März 1965 an seinen Vater:

Brief von Hugo Salzmann junior vom 17. März 1965 an seinen Vater:

„Du weißt, dass ich mich schon jahrelang vergeblich bemühe, einmal mit meinem kranken Kind und meiner Frau nach Österreich zu fahren. Alleine hätte ich es schon gekonnt. D.h. für  mich alleine hätte ich ausnahmsweise ein Visum bekommen, wenn Frau und Kind hier bleiben, aber so etwas liegt mir nicht, und vor allem sollen das diejenigen tun, die mir das empfohlen haben. So hatte ich mich bereits vor drei Jahren auf Deine Empfehlung an Dahlems gewandt, aber damals war es völlig aussichtslos.“

 

Hintergrund der darin angesprochenen Probleme war die weiter zunehmende Fluchtbewegung aus der DDR in den Westen. Immer mehr gerade auch jüngere Menschen und qualifizierte Arbeitskräfte kehrten der DDR den Rücken und wanderten nach West-Berlin und in die Bundesrepublik ab. Die DDR drohte dadurch „auszubluten“. 


Um dies zu verhindern, ließ die DDR-Führung eine Mauer entlang der Westsektoren Berlins aufbauen und die Grenze zur Bundesrepublik befestigen. Die Sperr- und Kontrollmaßnahmen wurden damit begründet, dass man „dem Treiben der westdeutschen Revanchisten und Militaristen einen Riegel“ vorschieben, die „syste- matische Bürgerkriegsvorbereitung durch die Adenauer-Regierung“, „feindliche Hetze“, „Abwerbung“, „Men- schenhandel“ und „Diversionstätigkeit“ durchkreuzen müsse. In Wahrheit durchkreuzte dieser „Anti- faschistische Schutzwall“ die Lebensplanung vieler in der DDR lebenden Deutschen – auch die Hugo Salz- manns. Allenfalls wäre es ihm als „Westler“ möglich gewesen, ohne seine Familie in den Urlaub im Westen zu fahren, jedoch hätten seine Frau und sein Sohn Peter als „Faustpfand“ in der DDR bleiben müssen. Dass dies keine Lösung für Hugo Salzmann war, sondern auch noch seine kleine Familie spaltete, liegt auf der Hand.

Die Berliner Mauer am Brandenburger Tor (Quelle: Bundesarchiv)

So musste Hugo junior weitere Jahre in der DDR ausharren. Dann – zufällig – ergab sich aber eine Chance zu einem gemeinsamen Urlaub im Westen. Hugo junior ergriff umgehend die Chance. Im Brief vom 17. März 1965 an seinen Vater liest sich das so:

Brief von Hugo Salzmann junior vom 17. März 1965 an seinen Vater: 

„Inzwischen erfuhr ich ganz zufällig, dass bereits Ausnahmen erfolgten, und zwar solche Menschen, die wohl sehr gute ‚Beziehungen’ haben, wie zu Ministern usw. Deshalb wandte ich mich vor einiger Zeit nochmals in einem Schreiben an Frau Dahlem, ob sie nicht irgendwelchen Einfluss geltend machen könnte. Sie antwortete mir überraschend schnell und bat, Lebenslauf und Beurteilung der Arbeitsstelle hinzuschicken. Sobald ich die Beurteilung habe, werde ich die Unterlagen hinsenden. Sofern es Dir möglich ist, ebenfalls ein paar Worte in dieser Hinsicht an Dahlems zu schreiben, wäre ich dankbar.“

 

Tatsächlich setzte sich Hugo Salzmann wieder für seinen Sohn ein und bat seinen ehemaligen Kameraden Franz Dahlem um einen Freundschaftsdienst. Dahlem verwandte sich auch für Hugo junior und erreichte, dass er und seine Familie Reisepässe erhielten. 

Es kam dann, wie man fast schon vermuten konnte. Hugo junior fuhr mit seiner Familie zu seiner Tante Ernestine in die Steiermark in Urlaub und kehrte – wie er es von Anfang an vorgesehen hatte – nicht mehr in die DDR zurück. Es war dann Ernestine, die Hugo Salzmann im Brief vom 23. September 1965 diese Nachricht überbrachte.

Brief von Ernestine vom 23. September 1965 an Hugo Salzmann:

..Hugo ist seit einigen Tagen mit Familie bei mir. (...) Peter ist krank, die Ärzte empfehlen deshalb einen dauernden Landaufenthalt. Auch ist für Peter von größter Bedeutung, nach dem Süden ans Meer zu kommen, damit sich sein Leiden schneller ausheilt. Aus diesen Gründen hat sich Hugo entschlossen, bei mir zu bleiben. Die Familie kann bei mir wohnen, ich betreue Peter, während Hertl und Hugo in der Stadt arbeiten werden. Ich hoffe, lieber Schwager und Maria und liebe Julianna, dass Ihr für diese Lage Verständnis habt, nachdem es in den letzten Jahren mit Besuchsreisen zu Verwandten immer schwieriger bzw. gar unmöglich wurde.“

 

Ernestine und Hugo junior wussten schon, warum sie und nicht der Vater Hugo diese Nachricht überbrachte. Denn was darauf folgte, war schon von ganz besonderer Art. Das begann bereits bei der Form. Den privaten Antwortbrief sandte Hugo Salzmann nicht etwa unter seinem Namen und seiner Privatanschrift, sondern vielmehr mit dem offiziellen Briefkopf des „Deutschen Gewerkschaftsbundes – Kreis Nahe-Hunsrück“, einschließlich der Adresse, der Telefonnummer und der Bankverbindung des DGB. Unter dem vorgedruckten Bezug „Ihre Nachricht vom …“ trug er „23. Sept. 65“ ein. Ohne jegliche Anrede an seine Schwägerin oder auch an seinen Sohn Hugo legte der Vater dann los: 

Antwortbrief von Hugo Salzmann senior vom 30. September 1965 an seine Schwägerin Ernestine:

„Die vorgenannte Nachricht traf mich nicht ganz unerwartet, Trotzdem ist es ein Keulenschlag für mich. Auf Anraten meiner lieben Frau Maria überschlief ich und überlegte, um eine Antwort zu geben. Im Leben versuchte ich stets vor meinem Gewissen  konsequent zu handeln. Ich stellte fest, dass ich meinen Sohn Hugo in seiner Unkonsequenz  im Leben und seinem Charakter nicht falsch eingeschätzt habe. 

Wenn er den Schritt mit seiner Frau wagt zu tun, ist es ein Verrat an seinem Vater und seiner Mutter. Dasselbe gilt für seine Frau. Das Vertrauen seines Vaters, der sich auf sein Bitten bei seinen teuersten Freunden mit seinem Namen für den Sohn bürgte, die Reise erhielt, wäre die Handlung eine gemeine Täuschung, der schlimmste Vertrauensbruch eines Sohnes gegenüber dem Vater. 

Hier gibt es keine Entschuldigung. Wagt er den Weg des Betruges - leicht ist’s mir nicht -, dann sind alle Bande zerrissen. 

Das Leben ist hart - mit sauberem Charakter aber aufrecht zu tragen.“

 

Es folgte dann nur noch die Unterschrift „Hugo Salzmann“ – und das war’s dann, keine Grußformel, kein relativierendes Wort, gar nichts.  

Auch beim zweiten und dritten Lesen dieses Briefes fragt man sich, wie Hugo Salzmann so etwas seinem Sohn antun konnte. Denn was hatte dieser denn schon getan? Er war offensichtlich in dem ihm von der Propaganda vorgegaukelten „anderen“ Deutschland nicht zu recht gekommen, war ein Stück weit gescheitert, nachdem er schon als junger Bursche in Bad Kreuznach Schwierigkeiten hatte, die ihn in die DDR übersiedeln ließen. Er, der Heimatlose, hatte zweimal im Nachkriegsdeutschland eine Heimat und Familie gesucht und nicht gefunden. Nun kehrte er mit seiner kleinen Familie zu seiner Tante zurück, die ihn während der Verfolgung seiner Eltern wie ein eigenes Kind aufgenommen, ihm Schutz und Heimat gegeben hatte. Inzwischen war er fast 33 Jahre alt und was hatte er nicht alles hinter sich gebracht, bringen müssen:

Die Flucht als Säugling 1933 mit seiner Mutter zum bereits im Exil in Frankreich lebenden Vater, die entbehrungsreiche, armselige Zeit in Paris, einen Aufenthalt bei Unterstützern in der Schweiz, die Rückkehr nach Frankreich, die Einschulung in Paris, der Verlust des Vaters durch die Festnahme und Internierung, das illegale Leben in Paris, der Verlust der Mutter infolge ihrer Verhaftung und Verfolgung, der Aufenthalt bei den Bauerleuten im Pariser Umland, die Flucht nach Österreich zur Tante und ihrer Familie, die ständige Sorge um das Schicksal und Leben seiner Mutter und seines Vaters während deren Verfolgung, der Tod der Mutter, der Tod des Mannes seiner Tante und anderer Angehöriger, das jahrelange Hinhalten seines Vaters, ihn zu sich zu nehmen, das Gefühl, in der neuen Familie des Vaters bei ihm, der Stiefmutter und der Stiefschwester nicht willkommen, überflüssig zu sein, das Scheitern in der von ihm angestrebten Berufsausbildung zum Zahntechniker, die Probleme in der Verwaltungsausbildung bei der Stadt Bad Kreuznach wegen der politischen Betätigung für die FDJ, die Übersiedlung „Hals über Kopf“ in die DDR – entgegen dem Rat seines Vaters, das schwere Fußfassen dort einschließlich weiterer Probleme im Zusammenhang mit der „Affäre Franz Dahlem“, der Abbruch der gerade fortgesetzten Ausbildung, die Gründung der kleinen Familie mit der schweren Hypothek des spastisch gelähmten Sohnes, die weitere Abwendung seines Vaters von ihm und seiner Familie und schließlich das Eingeschlossensein in der „eingemauerten“ DDR.

All dies wäre vom Vater doch zu sehen und die Not des eigenen Kindes zu erkennen gewesen. Überdies musste man sich als Vater Rechenschaft ablegen, dass man für vieles in diesem „missglückten“ Lebensweg verantwortlich war – nicht unbedingt im Sinne von vorwerfbarer Schuld, sondern doch als Auslöser und Ursache. Das gilt jedenfalls für die Zeit, bis sein Sohn zum zweiten Mal seine Heimatstadt Bad Kreuznach verlassen hatte. Denn sein ganzes Leben in Frankreich  – und auch das seiner Mutter – war geprägt durch die politische Betätigung seines Vaters. Entsprechendes galt für seine – späte – Rückkehr nach Bad Kreuznach und sein Scheitern in der neuen Familie Salzmann dort. Manches hätte Hugo Salzmann in diesen Jahren in Bezug auf seinen Sohn anders machen können, anderes hätte er relativieren und Nachsicht üben können, wenn er sich klar gemacht und danach gehandelt hätte, dass er die Ursache für manche Verhaltensweisen und Charakterbildung seines Sohnes war. 

Wir wissen nicht, ob sich Hugo Salzmann diese selbstkritischen Gedanken gemacht hat und warum er (gleichwohl?) so hart gegenüber seinem Sohn reagierte. War es Enttäuschung über seinen Sohn, war es der Missbrauch des Vertrauens alter Kameraden? Sicherlich war es beides und noch anderes mehr. Hinzu kam das, was Hugo Salzmann senior immer als „Geradlinigkeit“ beschwor: Das einmal als richtig Erkannte konsequent weiter zu verfolgen und danach zu handeln. Auch muss man dieses Verhalten im Licht der bei ihm wohl bestehenden Traumatisierung durch sein Lebensschicksal sehen.

Wie dem auch sei. Für die DDR war der Verlust von Hugo Salzmann juniors „Abstimmung mit den Füßen“ nicht besonders groß. Inzwischen hatte sich nämlich das politische Klima in der DDR etwas entspannt. Ende 1963 hatte es nicht nur das 1. Passierscheinabkommen gegeben, das erstmals seit dem Mauerbau West-Berlinern ermöglichte, ihre Verwandten über Weihnachten und Neujahr in Ost-Berlin zu besuchen, sondern DDR-Rentner durften nun jährlich einmal zum Verwandtenbesuch in die Bundesrepublik oder nach West-Berlin reisen. Dabei nahm die DDR billigend in Kauf, dass manche Rentner bei ihren Verwandten in der Bundesrepublik blieben und nicht mehr in die DDR zurückkehrten. Schließlich war die DDR sie dann los und brauchte ihnen keine Rente mehr zu bezahlen.

Diese Umstände ließen die Übersiedlung von Hugo Salzmann junior aus der Sicht der DDR bestimmt in einem milderen Licht erscheinen. Denn er war ein „Westler“ und auch keine in der DDR dringend benötigte Fachkraft. Zudem war  - bei der ökonomischen Betrachtungsweise - vorauszusehen, dass der spastisch gelähmte Sohn Peter einen ganz erheblichen Betreuungsaufwand und  beträchtliche Kosten verursachen werde. In diesem Klima fiel es der DDR wohl nicht so schwer, Hugo junior und seine kleine Familie ggf. „laufen zu lassen“

Auch Franz Dahlem verschmerzte die Flucht des Sohnes seines alten Kameraden Hugo Salzmann ganz gut. Denn im Mai 1966 schrieb Hugo Salzmann der „lieben Freundin Käthe (Dahlem)“ einen Brief, in dem er mit Stolz davon berichtete, dass in Bad Kreuznach ein Schweigemarsch und eine Kundgebung gegen eine NPD-Versammlung einen guten aufklärerischen Erfolg gehabt hätten. Der Brief endete mit einem „recht herzlichen Gruß Euch allen Hugo“. Und zu Weihnachten desselben Jahres sandten Franz und Käthe Dahlem dem „lieben Hugo, der lieben Maja und Julianna“ „herzlichste Grüße“. Ganz natürlich und unbefangen hieß es in der Weihnachtspost: „Euch Dreien alles, alles Gute! Was machen die Berufspläne von Julianna? Hoffentlich seid Ihr gesund. Bei uns gibt es, wie immer, viel Arbeit.“ – Von einem Zerwürfnis, bitteren Vorwürfen oder wenigstens einer schweren Verstimmung war keine Spur.

Man kann es sehen wie man will und drehen und wenden auch: Es bleiben dunkle Schatten, die auf Hugo Salzmann senior fallen. Diese Schatten werden noch länger, wenn man sieht, wie sich der Sohn Hugo und auch die langjährige Freundin der Familie Lore Wolf bemüht haben, diesen einseitigen Bruch des Vaters mit seinem Sohn wieder zu kitten.

So versuchte Hugo in einem Brief vom 21. August 1966 an seine Stiefschwester Julianna am Vater vorbei wieder Kontakt zur Familie zu bekommen. Der Brief endete mit der Grußformel „immer Dein Bruder Hugo“. Lore Wolf schrieb auf diesen Brief an Julianna noch einen Zusatz:

Lore Wolf am 21. August 1966 an Julianna Salzmann: 

“Liebe Grüße Lore,
Dein Bruder, liebe Julianna, ist kein Verräter. Er ist ein armer, lieber Bub, der Mutter und Vater nur all zu sehr im Leben entbehrt hat. Hugo ist sehr krank. Lore.“

 

Immer wieder suchte Lore Wolf den Briefkontakt zu Hugo Salzmanns Frau Maria und deren Tochter Julianna („Lass Dich mal ganz fest ans Herz drücken. Dir bin ich immer gut gewesen, weil Du ein so lieber Kerl bist.“), warb für den Sohn Hugo und wollte die Familie  nach dem „Verrat-Brief“ wieder zusammenbringen:

Brief von Lore Wolf vom 16. November 1966 an Maria Salzmann: 

„Ich verstehe den Großen und ich verstehe ihn doch nicht mehr. Er, der sich in alle Menschen hineinversetzen kann, er kann es nicht bei seinem eigenen Kind. Die Worte, die er schrieb, haben den Kleinen an den Rand der Verzweiflung gebracht. Ich traf ihn krank, sehr krank an. 90 Blutdruck, vollkommen nervlich erledigt. (…)

Ich billige Hugos Handlungsweise auf keinen Fall, aber ich habe viel Verständnis für ihn. (…) Versteht Ihr das denn nicht, dass er Liebe suchte? Seinen Vater hat er einfach abgöttisch geliebt. Für ihn war der Große einfach alles, das ganze Leben, und noch heute liebt er ihn und leidet darunter, dass ein solches Verhältnis besteht. (…)

Also nochmals: Hätte sich der Große ein wenig mehr um den Kleinen gekümmert, so wäre dies alles nicht passiert. Das ist mein Vorwurf. (…) Ja, das sage ich Dir: Wenn ich einmal nach Kreuznach gekommen wäre, so wäre ich bestimmt nicht an Eurem Haus vorbeigegangen. Das hätte ich nie und nimmer fertig gebracht, aber ich war seit damals nie mehr in Kreuznach. Inzwischen war aber der Große x-mal hier, er hat alle möglichen und unmöglichen Menschen aufgesucht, und ich habe es immer erfahren, aber er ist an meinem Haus vorbeigegangen. Er hat nie den Weg gefunden. (…)

Mein innigster Wunsch ist nun der, dass Ihr einmal Hugo schreibt. Keinen Vorwurfsbrief, einen einfachen menschlichen Brief. Ihr verhelft ihm damit zur Gesundung und zur Kräftigung seines Bewusstseins. Ihr helft ihm damit, den Weg ins Leben wieder zu finden. Seid doch keine Herrgötter, seid doch Menschen!! Wenn ich mich recht erinnere, hat Hugo der Große als Gewerkschafter vielen Flüchtlingen von drüben geholfen, oft hat er davon erzählt. Und sein Kind, das nicht aus politischen Gründen einen anderen Weg gesucht hat, das verdammt er. 

Nun, er soll einmal über alles nachdenken. Er müsste mich ja schließlich auch verdammen. Vielleicht tut er das auch. Nun, ich denke, einmal werden wir wieder zusammenkommen, einmal werden wir uns sehen, das weiß ich gewiss, dann rappelt es. Dann reiß ich den Alten in Stücke, zu viel ist in mir aufgespeichert. Aber dann, glaube ich, dann können wir wieder Freunde sein. Wenn auch nicht mehr die alten, die füreinander in den Tod gegangen wären, von denen einer für den anderen das Herzblut hergegeben hätte, die sich ein Süpplein durch ganz Paris getragen hätten, aber immerhin Freunde.

Ich grüße Euch herzlich 

Lore

Während ich schreibe, strömen mir die Tränen, das kommt von ganz innen raus. Ich schäme mich nicht, dies einzugestehen.“

 

Das von Lore Wolf angesprochene Gespräch hat dann tatsächlich im Jahr 1968 bei den Salzmanns in Bad Kreuznach stattgefunden. Lore Wolf war mit einigen Frankfurter Genossen gekommen. Bei dem Treffen ging es hoch und kontrovers her. Hugo junior war nur ein Randthema. Die Genossen diskutierten über die Zeit des Widerstandes und die aktuelle politische Situation. Man sprach über den vor kurzem von den Truppen des Warschauer Paktes niedergeschlagenen und von den Sowjets „abgewürgten“ „Prager Frühling“, der neben Wirtschaftsreformen im Sinne der „sozialistischen Marktwirtschaft“ einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ hatte verwirklichen wollen. Während Lore Wolf und andere den „Prager Frühling“ begrüßten, verteidigte Hugo Salzmann das Einschreiten der Truppen des Warschauer Paktes.

Weiter äußerten Anwesende die Vermutung, Hugo Salzmann habe seinerzeit gegenüber der Gestapo Kameraden verraten – denn anders sei wohl die Verurteilung durch den Volksgerichtshof zu „nur“ acht Jahren Zuchthaus nicht zu erklären. Diesen Vermutungen trat Hugo Salzmann entschieden entgegen und verwies auf seine Geradlinigkeit, die einen solchen „Verrat“  ausschlösse. Tatsächlich findet sich in den zahlreich eingesehenen Akten kein Hinweis auf eine schwerwiegende Denunziation von ihm. Salzmann hat zwar insgesamt zwei Personen namentlich als aktive Emigranten erwähnt. Diese beiden wusste Hugo Salzmann indessen in Sicherheit. Jedenfalls konnte die Gestapo mit diesen Informationen nachweisbar nichts anfangen.

Diese Kontroversen waren nun keine gute Grundlage für die Beilegung des Vater-Sohn-Konflikts. Dazu kam es tatsächlich auch nicht. 

Aber auch später tat Lore Wolf noch viel, um das Verhältnis zu verbessern. In einer Karte vom 25. November 1970 berichtete sie Hugo Salzmann von ihrem Besuch bei Anna Seghers in Ost-Berlin und fuhr fort:

Karte von Lore Wolf vom 25. November 1970 an Hugo Salzmann:

„Bei Franz Dahlem war ich einen halben Tag und (wir) haben uns auch über die leidvolle Angelegenheit ‚Hugo’ unterhalten. Er ist nicht mehr böse. Erzähle Euch alles mündlich.“

 

Trotz allem hat sich das Vater-Sohn-Verhältnis nie mehr gebessert.

 

Weiter politisch aktiv.

 

Auch weiterhin blieb Hugo Salzmann seinen politischen Überzeugungen und seiner „Geradlinigkeit“ treu. 

So war es für ihn selbstverständlich, dass er sich – im Rahmen seiner Möglichkeiten im fortgeschrittenen Alter und in Bad Kreuznach – bei den wichtigsten innenpolitischen Themen Mitte der 1960er Jahre, der Notstandsgesetzgebung und dem Aufkommen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), engagierte.

Die seit 1960 von der CDU konkret geplanten Notstandsgesetze waren gerade bei den Gewerkschaften stark umstritten. Während die SPD nicht grundsätzlich dagegen war, sondern sie „nur“ auf den äußeren Notstand – also auf den Verteidigungsfall – begrenzt wissen und außerdem ihre Handhabung der Kontrolle von Bundestag und Bundesrat unterstellen wollte, waren die Gewerkschaften von Anfang an und prinzipiell gegen jede Art von Notstandsgesetzgebung. Sie sahen die Gefahr, dass im „Notfall“ die Exekutive das Streik- und Koalitionsrecht einschränken und mit polizeilichen oder gar militärischen Mitteln gegen streikende Arbeiter vorgehen könnte. 

Vor diesem Hintergrund fand im Mai 1965 die Jahreshauptversammlung der IG Metall im Kreis Bad Kreuznach statt. Sie  sprach sich gegen die Notstandsgesetze aus und nahm eine Entschließung dazu an. In der zum Teil hitzigen Aussprache ergriff auch Hugo Salzmann das Wort. Er beschwor die schlechten Erfahrungen in der Weimarer Zeit herauf, insbesondere das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten aufgrund des Artikels 48 Absatz 2 der Weimarer Verfassung („Diktaturparagraf“), aufgrund dessen der Reichspräsident bei „erheblicher Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Grundrechte außer Kraft setzen konnte. Salzmann forderte namentlich Wilhelm Dröscher („der gute Mensch von Kirn“), der sowohl SPD-Bundestagsabgeordneter als auch Gewerkschafter war, auf, seiner „Pflicht als Gewerkschafter“ nachzukommen und die „Anweisungen der Gewerkschaften“ zu befolgen. Dieser Appell wie auch andere jahrelange Proteste gegen die Notstandsgesetze, zuletzt der Sternmarsch nach Bonn, blieben bekanntlich ohne Erfolg. Am 30. Mai 1968 verabschiedete der Bundestag die Notstandsverfassung mit deutlicher Mehrheit (384 gegen 100 Stimmen).   

Mit der 1964 gegründeten NPD wurden frühere Anhänger der NSDAP und deren Parolen und „Gedankengut“ wieder salonfähig. Ab 1965 fand sie auch einen gewissen Zulauf und erreichte erste Erfolge bei Kommunalwahlen in Mittelfranken und in Schleswig-Holstein. Für Hugo Salzmann war es eine Selbstverständlichkeit, gegen diesen auf- kommenden Nazismus aufzustehen und „Flagge zu zeigen“. Das tat er u.a. mit einem Schweigemarsch und einer Kundgebung gegen eine NPD-Versammlung am 4. Mai 1966 in Bad Kreuznach. Die davon noch erhaltenen Fotos zeigen das Engagement der Demonstranten, zeugen aber auch von einer damals noch anderen „Protestkultur“ als heute. 

Protestmarsch des DGB gegen eine NPD-Versammlung im Oranienhof, 1966 (Quelle: privat)

 

In seinem Denken und Fühlen war Hugo Salzmann auch nach dem Verbot der KPD Kommunist geblieben. Das ist ja auch ganz natürlich. Schon Anfang der 1920er Jahre war er im Kommunistischen Jugendverband aktiv, hatte in der Weimarer Republik für die KPD und gegen die NSDAP gekämpft, musste wegen seiner kommunistischen Gesinnung ins Exil fliehen, engagierte sich in Frankreich weiter, musste als Kommunist die Internierung in Le Vernet und die Ver- folgung durch Hitler-Deutschland erleiden, überlebte krank, musste nach dem Krieg von vorn anfangen und war wieder bzw. immer noch Kommunist. Das Verbot der KPD 1956 und die damit verordnete politische Abstinenz änderten an dieser politischen Grundhaltung auch nichts. Wie denn auch, hatte sie sich doch durch seine Lebensgeschichte in ihm weiter eingeprägt und verfestigt und war sie ein wesentliches Stück von ihm geworden.

So war es nur konsequent, dass Hugo Salzmann der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) schon nach deren inoffizieller Gründung Ende 1968 beitrat. Mit ihr entstand seit dem Verbot der KPD im Jahr 1956 in der Bundesrepublik wieder eine legale kommunistische Partei. Ihr Ziel war, die „sozialistische Gesellschafts- und Staatsordnung“ im Rahmen des Grundgesetzes zu verwirklichen. Damit hatte Hugo Salzmann wieder eine legale politische Heimat gefunden.  

Mitgliedsausweis Hugo Salzmanns für die DKP (Quelle: privat)

Hugo Salzmann wird an diese Neugründung - wie andere auch – große Erwartungen geknüpft und auf das Entstehen einer „Massenpartei“ gehofft haben. Denn die DKP erhielt zunächst einen Zulauf aus intellektuellen, vor allem studentischen Kreisen, arbeitete mit der Deutschen Friedens-Union (DFU) zusammen und unterhielt einen aufwändigen Parteiapparat (der heimlich von der SED mitfinanziert wurde). All dies konnte nichts daran ändern, dass die Wahl- ergebnisse der DKP weit hinter den Erwartungen zurückblieben. Bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europaparlament kam sie nie über 5 Prozent der Stimmen hinaus. Bei den Landtagswahlen war es kaum besser. Die DKP war und blieb eine „Splitterpartei“ – auch zur großen Enttäuschung Hugo Salzmanns. 

 

Ruhestand und immer noch engagiert.

 

Mit Erreichen der Altersgrenze schied Hugo Salzmann im Jahr 1968 aus dem Beschäftigungsverhältnis als Rechtsschutzsekretär des DGB aus. So aktiv wie er in allem war, hat er seinen Schreibtisch bestimmt nur sehr ungern geräumt. Aus den Auseinandersetzungen um seine fristlose Entlassung im Jahr 1952 wissen wir zwar, dass er damals – also 16 Jahre vor seinem letztendlichen Ausscheiden aus dem Dienst – einen Rentenantrag gestellt und diesen mit seinem Gesundheitszustand begründet hatte. Als die Kündigung dann aber aufgehoben wurde, wollte er von einem vorzeitigen Ausscheiden nichts mehr wissen, sondern arbeitete trotz allem bis zuletzt weiter.  

Rückblickend stellte Hugo Salzmann am Ende des einen und zu Beginn des neuen Lebensabschnitts fest: „Das Leben ist oft härter als Stein“. Aber in seinen Worten lag keine Bitterkeit – auch nicht in seiner weiteren Feststellung: „Lorbeeren vertrocknen und landen auf dem Abfall der Vergangenheit.“

Der Amtsnachfolger Hugo Salzmanns Carsten Pörksen, MdL, erzählt von seinem Vorgänger:

 

Damit hatte Hugo Salzmann das Kapitel Ehrungen angesprochen, die bei markanten Geburtstagen verdienter Persönlichkeiten immer wieder im Raume stehen. So war es auch bei ihm. Der DGB wollte ihn  für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes vorschla- gen. Als er im Vorfeld bei Salzmann anfragte – offenbar war man sich seiner Zustimmung nicht so sicher -, ob er mit der Verleihung einverstanden sei, lehnte er kurz und bündig ab. Er begründete das damit, dass er keinen „Orden“ haben möchte, den „heute viele ehemals bekannte und berüchtigte Nazis tragen“. – Da war er wieder, der widerständige Hugo Salzmann. In seiner „Geradlinigkeit“ verzichtete er auf diese hohe Ehrung – obwohl er Anerkennungen und Ehrungen keineswegs abgeneigt war. Auch dürfte seine Kritik an der Ordensverleihung überzogen gewesen sein – wenn auch zugegebenermaßen der eine oder andere Geehrte diese Auszeichnung überhaupt nicht verdient hatte. Aber Hugo Salzmann war nicht für „halbe Sachen“, für ihn waren es „viele bekannte und berüchtigte Nazis“.

Hugo Salzmann an seinem Schreibtisch als Gewerkschaftssekretär, den er 1968 räumen musste. (Quelle: privat)

„Geradlinig“ im Sinne Hugo Salzmanns war es aber schon. Konsequent war auch, dass er sich in dem 1968/69 ent- stehenden „Arbeitskreis für Demokratie“ engagierte und die Bürger von Bad Kreuznach und Umgebung gegen das weitere Hochkommen der NPD mobilisieren wollte.

Dieser Arbeitskreis war es auch, der unter maßgeblicher Beteiligung Hugo Salzmanns mit dem Vorschlag an die Stadt herantrat, auf dem Platz der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel anzubringen. Wie schon bei dem Mahnmal für die Opfer des Krieges und des Faschismus, das Hugo Salzmann erst nach jahrelangem Engagement durchsetzen konnte, war es auch hier ein weiter Weg bis zur Realisierung der Tafel. Dabei kann es am Geld nicht gelegen haben. Denn von den Gesamtkosten in Höhe von 5.000 DM sammelte er allein 2.800 DM. Am 27. März 1971, in der „Woche der Brüderlichkeit“, konnte die Gedenktafel von Oberbürgermeister Fink enthüllt und in die Obhut der Stadt genommen werden. Unglücklicherweise enthielt die Tafel einen sachlich falschen Text und dann wurde auch noch der Standort der Tafel – Mauerreste der alten Synagoge – beseitigt. Immerhin fand man einen neuen Standort für die Tafel und Hugo Salzmann konnte am 9. November 1978 noch die zweite Einweihung der Gedenktafel miterleben. Allerdings war die Tafel die alte und der Text deshalb teilweise falsch. 

Die Vergangenheit und die Erinnerung ließen Hugo Salzmann – wie denn auch - nicht los. Als der Kreuznacher Otto Gillmann, der langjährige Verbandspräsident und 1. Bundesvorsitzende der VAW Bonn, Verbandspräsident der G 131er im Mai 1973 „in Anerkennung seiner Verdienste für die Wiederherstellung geordneter Rechtsverhältnisse innerhalb der Bundesrepublik“ das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, war wieder Hugo Salzmann der Mahner und Kritiker, der in einem offenen Brief die Mitgliedschaft Gillmanns in der NSDAP und dessen - seiner Meinung nach – fördernde Rolle in der Kreuznacher Verwaltung zur NS-Zeit anprangerte. Aber Salzmanns Kritik prallte an Gillmann ab und er konnte Salzmanns Vorwürfe – so will es im Nachhinein scheinen – entkräften. Mag sein, dass Hugo Salzmann inzwischen alt geworden war. Hinzu kam, dass er infolge seiner Flucht vor den Nazis und seines Exils die Nazizeit in Bad Kreuznach nicht selbst erlebt hatte.

Hugo Salzmanns Themen waren eigentlich auch andere – zumindest jetzt in seinem letzten Lebensjahrzehnt: Immer mehr rückte das eigene Erleben und das seiner Mitkämpfer in den Vordergrund sowie auch die Dokumentation hierzu. 

Schon zu Beginn seines Ruhestandes hatte er sich vorgenommen, seine Lebenserinnerungen, seine Autobiografie zu schreiben. Angefangen hatte er damit ja Mitte der 1930er Jahre in Paris im Arbeitskreis des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (SDS). Damals hatte die langjährige Freundin der Familie Lore Wolf diese in Hans Marchwitzas kaltem Hotelzimmer und mit knurrendem Magen auf einer klapprigen Schreibmaschine zu Papier gebracht. Der Text teilte aber das Schicksal vieler in der Emigrantenzeit entstandener Arbeiten und ging spätestens durch die Repressalien zu Beginn des Zweiten Weltkrieges verloren. Deshalb musste Hugo Salzmann mit seinen Erinnerungen wieder von vorn anfangen. Das war auch wohl der Grund dafür, dass zunächst nichts Greifbares entstand.

Natürlich freute sich der Pensionär Hugo Salzmann über besondere Anlässe, um mit alten Bekannten und Weggefährten zusammen zu sein und Erinnerungen an gemeinsame Zeiten auszutauschen. Ein solcher Anlass war sein 70. Geburtstag am 4. Februar 1973. Wieder berichtete die Zeitung darüber und zitierte ihn – den „alten“ Pazifisten – mit seinem Geburtstagswunsch: 

Wunsch Hugo Salzmanns zum 70. Geburtstag:

„Möge die Menschheit künftig von alle dem verschont bleiben, was wir als schreckliche Vergangenheiten erlebt haben und möge der Vietnamkrieg der letzte auf dieser Welt gewesen sein.“

 

Und zahlreiche Kreuznacher Weggefährten gaben ihm die Ehre und freuten sich mit dem Jubilar, dass er auch noch im Ruhestand so rüstig und in vielerlei Hinsicht aktiv war. 

Hugo Salzmann bei einem geselligen Treffen,
Anfang der 1970er Jahre (Quelle: privat)

Erinnerungen an die Emigrationszeit und den Widerstand dabei hielten die Treffen der Interessengemeinschaft ehemaliger deutscher Widerstandskämpfer in den vom Faschismus okkupierten Ländern (IEDW) wach. Ein großes Wiedersehen gab es für Hugo Salzmann bei der 2. Bundeskonferenz der IEDW am 14. April 1973 in Saarbrücken. Dort trafen sich vornehmlich Kommunisten mit einer ähnlichen Biografie wie er, wie etwa Alphonse Kahn oder Lore Wolf. 

Immer wieder unterbrach Hugo Salzmann die Erinnerungsarbeit auch gern für politische Aktionen, wie etwa die die 1. Mai-Veranstaltung im selben Jahr in Bad Kreuznach, bei der sich Salzmann  und Karl Thorwirth, der frühere Landesvorsitzende des DGB und zwischenzeitliche Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion sehr herzlich begrüßten.

Hugo Salzmann und Karl Thorwirth (SPD)
beim 1. Mai 1973 in Bad Kreuznach (Quelle: privat)

Carsten Pörksen, MdL, erzählt von dem Gewerkschafter Hugo Salzmann:

 

 

Abschied von Stationen seines Lebens.

 

Jenseits der Siebzig zog es Hugo Salzmann wiederholt nach Frankreich. Die Zeit des Exils in Paris und der Internierung im Konzentrationslager Le Vernet bestimmten sein Leben und Fühlen immer mehr. Er wollte noch einmal an die Orte aufsuchen, an denen er mit seiner Frau Julianna und dem Sohn Hugo gelebt hatte, wollte Erinnerungen mit ihren Unterstützern dort austauschen, sich mit der eigenen Biografie versöhnen, dann auch die Internierung in Le Vernet vor dem geistigen Auge erstehen lassen und in Gedanken auch von den damaligen Kameraden dort Abschied nehmen, ein letztes Mal. 

Im Jahr 1975 besuchte er mit seiner Frau Maria Paris und die Eheleute Gaston und Emma Honoré. Es war ein freudiges Wiedersehen mit den beiden und den Orten in Paris, an denen die Eheleute Honoré und andere Hugo Salzmann und seine kleine Familie in der Illegalität Unterkunft gewährt und ihnen auch sonst geholfen hatten. Obwohl Hugo Salzmann damals und auch inzwischen kaum Französisch gelernt hatte, war die Verständigung sehr gut, war doch seine Frau mit ihren Französischkenntnissen eine hervorragende Dolmetscherin. Nach dem Besuch blieben die Eheleute noch in Briefkontakt miteinander. Drei Jahre später starb aber Frau Honoré, dann im folgenden Jahr Hugo Salzmann und weitere drei Jahre später Herr Honoré.

Hugo Salzmann zu Besuch bei seinen stillen Helfern
Gaston und Emma Honoré in Paris, 1975 (Quelle: privat) 

Inzwischen hatte sich im Jahr 1971 die Lagergemeinschaft von Le Vernet („L’amicale des anciens internès politiques et résistants du Camp du Vernet d’Ariège) gebildet. Von Anfang an war Hugo Salzmann dort Mitglied. So weit das möglich war, hielt er zu ihr Kontakt, spendete den einen oder anderen Betrag  und bezog auch das im Jahr 1973 erstmals von der Amicale herausgegebene Bulletin. Verantwortlich für die Herausgabe des Bulletins war der in Südfrankreich wohnende Millan Bielsa. Zu ihm nahm er mit einem Brief vom 25. April 1975 Kontakt auf. Bielsa freute sich sehr darüber und druckte diesen im Bulletin Nr. 5 der Amicale auszugsweise ab. 

Brief von Hugo Salzmann vom 25. April 1975 an Millan Bielsa, veröffentlicht im Bulletin Nr. 5 der Amicale von 1975:

1975 beging die Lagergemeinschaft den 30. Jahrestag der Befreiung des Lagers Le Vernet. Das war ein Anlass für besondere Aktivitäten. Hugo Salzmann schickte Bielsa daraufhin die eine oder andere Anekdote von ihm wie die „Muster ohne Wert“ und auch einige Kopien der Zeichnung vom „Latrinenkommando“. Dies und anderes mehr wurde dann in dem Bulletin der Lagergemeinschaft veröffentlicht. Damit  konnte Hugo Salzmann mit seinen Unterlagen aus der Ferne zu diesen Aktivitäten einen gewissen Beitrag leisten.

 

Brief vom 25. April 1975 (in frz.)  HIER lesen

Im folgenden Jahr, 1976, waren Hugo Salzmann und seine Frau Maria dann  eine Woche lang in Le Vernet. Der Besuch dort hat Hugo Salzmann nachhaltig berührt und viele Erinnerungen wieder ganz aktuell in Bildern und Gefühlen wach gerufen. Dabei war dieses Erinnern noch weitgehend inner- licher Art. Denn eine Gedenkstätte wie heute existierte damals noch nicht. Das einzige, was die Erinnerung unterstützte, war ein Friedhof, auf dem die toten Kameraden bestattet waren sowie ein Mahnmal.

Erinnerungskarte der „Amicale“ an den 30. Jahrestag
der Befreiung des Konzentrationslagers, 1975

Bei seinem Besuch in Le Vernet lernte er auch Millan Bielsa persönlich kennen und schätzen. Der Kontakt wurde enger und freundschaftlicher. Auch die Ehefrauen nahmen daran Anteil. Das erleichterte die Kommunikation wesentlich, sprach doch Maria Salzmann perfekt Französisch. Daraus entwickelte sich eine richtig gehende Freundschaft.

Diese Rückkehr an die Stätten seines früheren Lebens ließen Hugo Salzmanns Erinnerungen offenbar so übermächtig werden, dass er jetzt seine schon längst geplante Autobiografie erkennbar in Angriff nahm. Das begann mit dem näheren Kontakt zu R. Hoffmann und Hermann W. Morweiser. Morweiser sammelte schon seit Jahren Dokumente und Berichte von Opfern und Tätern in der NS-Zeit und hatte damit ein privates „Antifa-Archiv“ bei sich aufgebaut.

Besuch von Hugo und Maria Salzmann (Bildmitte) 
bei den Eheleuten Bielsa in Südfrankreich. (Quelle: privat)

Da war es nahe liegend, mit Hugo Salzmann ins Gespräch zu kommen, zumal beide Kommunisten und inzwischen in der DKP waren. 

Viel diskutierten die Drei über alte Zeiten und frischten Erinnerungen auf. Aus dieser Zeit stammen Mitschnitte von Diskussionen. Vor allem hat Hugo Salzmann auf dem damals eingeführten  „Kassettenrekorder“ von seiner Kindheit und Jugend sowie von seinem Aufenthalt im Konzentrationslager Le Vernet erzählt. Diese Tondokumente haben ebenso Eingang in diese Ausstellung gefunden wie die von Hugo Salzmann niedergeschriebenen Episoden aus der Zeit des Pariser Exils und der Internierung in Le Vernet.

Einen wichtigen Anstoss für die Niederschrift seiner Biografie erhielt Hugo Salzmann durch einen angehenden Historiker namens Joachim Neumann. Neumann wollte in einem Sammelband einen Beitrag über das Konzentrationslager Le Vernet schreiben und hatte dadurch einen Briefkontakt zu Hugo Salzmann gefunden, der 1976 noch zu einem Besuch in Bad Kreuznach führte. Daraufhin schrieb Hugo Salzmann seine Lebenserinnerungen nieder. Sie bezogen sich allerdings nur auf die Zeit vom Transport von Le Vernet ins Gefängnis in Castres und dann bis zur Befreiung im Zuchthaus Butzbach, also auf den Zeitraum von Anfang Oktober 1941 bis Ende April 1945. Diese eingehende Ausarbeitung wurde weder von Hugo Salzmann noch von Joachim Neumann weitergeführt oder gar in welcher Form auch immer veröffentlicht. Der Kontakt zu Neumann brach dann wohl schon zu Lebzeiten von Hugo Salzmann ab.

 

Ehrungen und Tod.

 

In Bad Kreuznach hatte Hugo Salzmann inzwischen eine Tradition begründet: Immer zum Volkstrauertag gedachte man  am Mahnmal der Opfer des Krieges und des Faschismus auf dem Hauptfriedhof. Im Jahr 1977 fand die Veranstaltung eine besondere Resonanz, auch in der Presse. Auch diesmal war es Hugo Salzmann, der in Anwesenheit u.a. des Oberbürgermeisters Peter Fink, des SPD-Landtagsabgeordneten Günther Leonhardt und des DGB-Kreisvorsitzenden Carsten Pörksen die Gedenkrede hielt. In seiner Ansprache erinnerte er an die vielen, größtenteils namenlosen Opfer des Nationalsozialismus. Weiter appellierte er an die Kommunalpolitiker, die Erinnerung an Bad Kreuznacher Antifaschisten wach zu halten, und etwa Straßen nach ihnen zu benennen.

 

Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag 1977 mit Hugo Salzmann (ganz rechts)
und u.a. seinem Nachfolger als Gewerkschaftssekretär Carsten Pörksen (in der Bildmitte, hinter dem Kranz), 1977 (Quelle: privat)

 

Carsten Pörksen, MdL, erzählt von Hugo Salzmanns Gedenkarbeit für NS-Opfer:

 

Am 4. Februar 1978 vollendete Hugo Salzmann sein 75. Lebensjahr. Es war abzusehen, dass es ein „großer Bahnhof“ für ihn werden sollte und er auch die eine oder andere Ehrung erfahren werde. Sozusagen als Einleitung dieser Feierlichkeiten übte er erst einmal Kritik an einer anderen Auszeichnung – um der Wahrheit und des  Namens und der Ehre willen „eines bald 60 Jahre aktiven Gewerkschafters und Widerstandskämpfers“ wie er schrieb. Anlass war ein Bericht des DGB-Kreisvorsitzenden Carsten Pörksen über die Verleihung der Hans-Böckler-Medaille an die Gewerk- schafterin Toni Frommke, geb. Kohl. 

Pörksen hatte geschrieben, dass „nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (…) Toni Frommke eine der ersten um Hugo Salzmann und Franz Schulze (+) (war), die in Bad Kreuznach die Gewerkschaftsarbeit wieder aufnahm.“ Das war nach Salzmanns Erinnerung nicht der Fall gewesen. In einem Brief an den Landesvorsitzenden des DGB Julius Lehlbach beschwerte er sich über diese Formulierung und fragte ihn direkt: „Lieber Kollege Julius, wie kann ein Kollege, der die Vergangenheit, die Arbeiterbewegung meiner Heimat, bis heute nicht kennt, selbständig Vorschläge zu Ehrungen und Auszeichnungen machen, ohne noch lebende Kollegen, welche die Vergangenheit kennen, wenigstens per Telefon zu befragen? Man kann doch nicht die höchst ehrenvolle Hans-Böckler-Medaille verteilen wie ein Bäckermeister seine trockenen Brötchen!!!“ 

Abschließend heißt es in dem Brief:

Brief Hugo Salzmanns vom 15. Januar 1978 an den Landesvorsitzenden des DGB Julius Lehlbach:

„Du weißt, lieber Kollege Julius, dass ich kein Hascher für Auszeichnungen bin, keine Arroganz noch Überhobenheit habe, meine Auszeichnung ist mein ehrbarer Name. Einst gehasst – von den Menschen meiner Heimat geachtet – lasse ich meinen Namen nicht missbrauchen. Das ist die Ehre eines bald 60 Jahre aktiven Gewerkschafters und Widerstandskämpfers.“ 

 

Carsten Pörksen, MdL, erzählt von Hugo Salzmanns Einstellung zu Ehrungen und Auszeichnungen:

 

Hugo Salzmann selbst erfuhr zu seinem 75. Geburtstag in Anwesenheit vieler Vertreter des öffentlichen Lebens viel Anerkennung und Lob für sein jahrzehntelanges politisches, insbesondere auch soziales Engagement. Der Öffentliche Anzeiger berichtete über die Feier im Hotel „Kleines Klapdor“ unter der Überschrift: „Gewerkschafter mit Charakter und ein guter Mensch“.

Bericht des Öffentlichen Anzeigers vom 6. Februar 1978:

„Umfassend und auch mit heiterer Note wurde am Samstag das Porträt des Menschen Hugo Salzmann gezeichnet, der – so hieß es in verschiedenen Varianten der Glückwünsche – zeitlebens immer auf der Seite der Armen und Schwachen gestanden habe. (…) Der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Julius Lehlbach, überreichte ihm den Ehrenteller des DGB. Aus der Hand von Alphonse Kahn, dem Geschäftsführer der (IEDW) erhielt er die Erinnerungsmedaille dieser Gemeinschaft. (…)

In allen Glückwunschadressen wurde das besondere soziale Engagement Hugo Salzmanns gewürdigt, der mit nüchternem Verstand, schlagfertig und mit dem Herzen auf dem rechten Fleck seinen Dienst am Nächsten getan habe. 

Dabei kam weder das Anekdotische zu kurz, das in der Würze Salzmannscher Zwischenrufe während seiner Tätigkeit im Kreis- und Stadtparlament begründet ist, noch seine künstlerischen Ambitionen mit Schnitzmesser, Zeichenstift und Pinsel. (…)

(Schließlich) hängte Richard Walter, Präsident der Großen Karnevals-Gesellschaft, dem Ex-Ratsherrn, das historische Rathaus vom Eiermarkt, den Saisonorden der ‚Großen‘, um den Hals. Dazu meinte der Präsident, Narren und Politiker hätten vieles gemeinsam.“

 

Der frühere Redakteur und Karnevalspräsident Richard Walter erzählt von Hugo Salzmanns 75. Geburtstag:

 

In Hugo Salzmann wird noch das Wort des IG Metall-Bevollmächtigten Kurt Vittinghoff nachgeklungen haben, der die Gemeinsamkeiten aller Gäste wohl am besten in die Worte fasste:

IG-Metall-Bevollmächtigter Kurt Vittinghoff zu Hugo Salzmann:

„Wir sind gerne gekommen, weil Du unser Freund bist!“

 

Außerdem erhielt Hugo Salzmann die Medaille der Interessengemeinschaft ehemaliger deutscher Widerstandskämpfer in der vom Faschismus okkupierten Ländern überreicht und von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) die Ehrenmedaille verliehen für „hervorragende Verdienste im Widerstandskampf gegen das nationalsozialistische Gewaltregime und für die Wiederherstellung von Freiheit und Demokratie“.

Ehrenurkunde der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
(VVN/BdA), 1978 (Quelle: privat)

Urkunde über die Verleihung der Medaille ehemaliger
deutscher Widerstandskämpfer (IEDW), 1978 (Quelle: privat)

Glückwünsche wurden auch von der Amicale (Lagergemeinschaft) von Le Vernet für sein „mutiges Auftreten im Lager Vernet“ übermittelt. Zugleich gab man der Hoffnung Ausdruck, dass er bei bester Gesundheit mit der Lagergemeinschaft auch in Zukunft „so aktiv wie bisher für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit eintreten (kann)“.

Wenn Hugo Salzmann – wie er schrieb – kein „Hascher für Auszeichnungen“ war, so fand er mit seinem Einverständnis doch zahlreiche und verschiedene Ehrungen – Auszeichnungen, die er im Gegensatz zum Bundesverdienstkreuz gern annahm. 

Diese weiteren Auszeichnungen passten zu den Ordensverleihungen, die er in Anfang der 1950er Jahre als Widerstandskämpfer erhalten hatte.

Hugo Salzmann, ausgezeichnet mit Verdienstmedaillen als Widerstandskämpfer, Anfang 1950er Jahre 
(Quelle: privat)

Die Ehrungen fanden im Oktober 1978 ihren Abschluss mit der Auszeichnung der IG Metall für 60 Jahre Mitgliedschaft.

Ehrung Hugo Salzmanns für 60 Jahre Mitgliedschaft in der Metallarbeitergewerkschaft/IG Metall 
(links IG-Metall-Bevollmächtigter Kurt Vittinghoff), 1978 (Quelle: privat)

Zwischen diesen zahlreichen Ehrungen besuchte Hugo Salzmanns Sohn seinen Vater zusammen mit seiner Frau Hertl und seinem Sohn Hanno in Bad Kreuznach. Salzmann junior war mit seiner Familie zu Lore Wolf, der lieben Freundin der Familie schon zu den Pariser Zeiten, auf Besuch nach Frankfurt/Main gekommen. Ihr gelang es dann auch, den Sohn mit seiner Familie zu einer Stippvisite bei dem Vater zu überreden. Seit dem Krankenhausaufenthalt von Salzmann Senior in Magdeburg im Jahr 1959 und dem späteren Bruch von Vater und im Jahr 1965, war es nach fast 20 Jahren wieder der erste persönliche Kontakt mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter; seinen Enkel Hanno kannte er noch gar nicht

Eine Stunde lang erzählte Hugo Salzmann seinen Besuchern von seiner Arbeit und seinen Skulpturen. Er fand ein inter- essiertes Publikum, das seinen Schnitze- reien und seiner Person viel Aufmerksam- keit und Sympathie entgegenbrachte. Aber es war nur ein Werkstattbesuch bei einem Künstler und eine Präsentation eines Künstlers vor einem Publikum. Hugo Salzmann erkannte seinen eigenen Sohn und auch seine Schwiegertochter nicht. Man war sich fremd und blieb es auch nach diesem Besuch. Es war eine kurze Be- gegnung, die keinerlei Folgen hatte. Nur zum Schluss erfuhr Hugo Salzmann zufällig, dass er seine Familie zu Gast gehabt hatte. Zum Abschied schenkte er seinem Enkel noch eine seiner Arbeiten.

Hugo Salzmann erklärt seinem Sohn Hugo und seinem Enkel Hanno,
die er nicht erkennt, in seinem Atelier seine Arbeiten, 1978 (Quelle: privat)

Alles in allem hatte Hugo Salzmann in seinen letzten Lebensjahren für sich und für andere eine beachtliche Erinnerungsarbeit geleistet – aber so wie er sich erinnern wollte.

Die Skulptur „Der Zufriedene“,
ein Geschenk Hugo Salzmanns an seinen Enkel Hanno, 1978 (Quelle: privat)

Carsten Pörksen, MdL, erzählt von dem Künstler Hugo Salzmann:

 

Anfang der 1970er Jahre hatte er einen Teil seiner Lebensgeschichte und einzelne Episoden niedergeschrieben, Tonaufnahmen erstellt, 1975 war er bei den Unterstützern Honoré in Paris, 1976 besuchte er das Camp Le Vernet, 1977 erinnerte er in besonderer Weise am Mahnmal an die Bad Kreuznacher Widerstandskämpfer, 1978 erfuhr er für sein Lebenswerk viel Anerkennung und Ehrungen. Im Nachhinein kann man fast sagen, Hugo Salzmann habe damit seine Lebensgeschichte ein Stück weit aufarbeiten und abschließen wollen. 

Nur zu seinem Sohn und dessen Familie hat er keinen Kontakt gesucht und sich auch nicht bemüht, mit ihnen ins Reine zu kommen. Bis zu seinem Tod im folgenden Jahr blieb er unversöhnt. Immerhin hatte Lore Wolf „Schicksal gespielt“ und erreicht, dass die Drei wenigstens im Vorbeigehen den Vater, Schwiegervater und Opa gesehen und mit ihm kurz gesprochen hatten.

 Hugo Salzmann, in seinem „Schlösschen“, Ende 1970er Jahre (Quelle: privat)

Noch im selben Jahr quälte Hugo Salzmann eine Krankheit, an der er schon lange litt. Es war nicht das Magenleiden, das in den 1920er Jahren zum ersten Mal zum Ausbruch gekommen war und das ihm gerade auch in den Hungerjahren der Verfolgung immer wieder zu schaffen machte Nein, es rächte sich jetzt, dass er viele Jahre seine geliebten Stumpen geraucht hatte. Sie waren sicherlich Ursache für seine stets stärker werdenden Hustenanfälle und schließlich auch für den Lungenkrebs, der im Herbst 1978 voll zum Durchbruch kam. 


Carsten Pörksen, MdL, erzählt von den letzten Monaten Hugo Salzmanns:

 

Er, der ein Leben lang gegen Unrecht, gegen das Vergessen und für eine bessere sozialistische und friedliche Welt gekämpft hatte, kämpfte seinen ganz persönlichen Kampf gegen diese tückische Krankheit. Wie so oft in seinem Leben war er dabei aber nicht allein. Diesmal hatte er seine Frau Maria an seiner Seite, die für ihn tat, was man tun konnte. Aber dies war ein ungleicher Kampf. 

Hugo Salzmann mit seiner geliebten Baskenmütze, Ende 1970er Jahre (Quelle: privat)

Hugo Salzmann hatte keine Chance und starb einen langsamen, qualvollen Tod. Er starb am 14. Oktober 1979 in seinem „Schlösschen“ in Bad Kreuznach.

Sein Tod löste Trauer und Betroffenheit aus. Der Öffentliche Anzeiger brachte die Nachricht mit einer Würdigung seiner Person und seiner Verdienste gerade auch für seine Heimatstadt Bad Kreuznach.

Nachruf auf Hugo Salzmann im Öffentlichen Anzeiger vom 16. Oktober 1979:

„Hugo Salzmann war ob seiner aufrechten Art in Bad Kreuznach eine beliebte und viel geachtete Persönlichkeit. Das war ihm wohl der Schönste Lohn für ein arbeitsreiches Leben, das ihm nichts erspart hat.“

 

Die Nachricht vom Tod Hugo Salzmanns ging bis nach Frankreich
und führte zu einer Meldung der Zeitung  „La Dépeche“ vom 20. 10. 1979.

Franz Dahlem kondolierte aus (Ost-)Berlin schriftlich Maria Salzmann zum Tode „(s)eines teuren Freundes und Kameraden Hugo“ und fuhr fort:

Franz Dahlem zum Tod Hugo Salzmanns:

„Nach der Zeit der Auslieferung an die Gestapo und in die Hitlerischen Konzentrationslager blieben wir jahrelang eng verbunden, und ich konnte seine rührige Solidaritätsarbeit und die kleinen und großen Holzschnitzereien kennen lernen und ihm behilflich sein, in Berlin eine Ausstellung durchzuführen.

Nun ist auch dieser tapfere Kämpfer, wie viele unserer Generation, dahingeschieden. Aber sein Name wird weit über das Nahetal hinaus – sowohl in der Bundesrepublik wie auch bei seinen Kameraden in der DDR – unvergessen bleiben.“

 

Während in Wort und Schrift viele Hugo Salzmann in lieber und treuer Erinnerung gedachten und ihm auch das letzte Geleit auf dem Friedhof in Bad Kreuznach gaben, erfuhr sein Sohn Hugo erst auf Umwegen von seinem Tod und seiner Beerdigung. Es war wieder einmal die treue, Jahrzehnte lange Freundin der Familie, Lore Wolf, die ihm die Nachricht überbrachte. Sie hatte auch nur über Genossen aus Frankfurt von Hugo Salzmanns Ableben erfahren und das dann seinem Sohn mitgeteilt. Wie der Sohn nahm auch sie an der Beerdigung nicht teil. Hugo Salzmanns Verhältnis be- stimmte auch künftig den (Nicht-)Umgang miteinander. Lore Wolf fasste es gegenüber Hugo Salzmann junior in die treffenden Worte: „Unversöhnt ist er gegangen.“

So blieb es mehr als drei Jahrzehnte. Seit dem Jahr 2010 hat sich das Verhältnis der Geschwister zueinander gebessert. Der österreichische Schriftsteller Erich Hackl mit seiner Erzählung „Familie Salzmann“ und auch diese virtuelle Aus- stellung haben dazu beigetragen. Aber vor allem für Hugo Salzmann junior bleiben die langen Schatten der Ver- gangenheit, die Traumatisierung durch die Verbrechen der Nazis – womöglich ein Leben lang. Wenigstens haben Hugo und Julianna Salzmann jetzt über ihre Familiengeschichte gesprochen und dabei noch vieles erst erfahren.

Hugo Salzmann, mit einem „Stumpen“, 
Ende 1970er Jahre (Quelle: privat)