Kapitel 9: Aktiv in den 1950er Jahren.

 

Der politische Einfluss der KPD nimmt weiter ab.

 

Das Ergebnis der Wahl zum 1. Deutschen Bundestag am 14. August 1949 hatte Hugo Salzmann und seine Kampfgefährten, Kameraden und Genossen mit Sicherheit schwer getroffen. Dazu muss man nur an die Worte von Maria Weiterer, der Lebensgefährtin des von den Nazis hingerichteten Siegfried Rädel, denken. Sie hatte Hugo Salzmann geschrieben: „Wir müssen unsere Partei so stark machen, dass sie allen Anstürmen der Reaktion auf alle Zeit widerstehen kann, so stark machen, dass wir den Sozialismus verwirklichen können. Wenn wir das getan haben, dann sind unsere teuren Toten gerächt.“

Wie weit war man 1949 von einer solch starken KPD entfernt! Und dabei reihte sich das Ergebnis der Bundestagswahl in die schlechten Nachrichten für Hugo Salzmann und für die Kommunisten in Westdeutschland generell ein. 

Schon die erste Wahl, die zur Stadtverordnetenversammlung in Bad Kreuznach am 15. September 1946 brachte für Hugo Salzmann zwar nach dem Krieg den Wiedereinzug in den Stadtrat - wie die Kreistagswahl seinen Wiedereinzug in den Kreistag -, aber die Ergebnisse waren für die Partei doch sehr enttäuschend. Bei den Beratungen zur Verfassung von Rheinland-Pfalz waren die Kommunisten zwar mit beteiligt, sie konnten sich aber mit ihren Vorstellungen nicht durchsetzen. In den ersten Wahlen zum rheinland-pfälzischen Landtag am 18. Mai 1947 kam die KPD bei 100.739 für sie abgegebenen Stimmen auf 8,7 Prozent der Stimmen und 8 Mandate. In den ersten Regierungen von Rheinland-Pfalz - der vorläufigen, von den Franzosen eingesetzten Regierung, im ersten aufgrund von Wahlen hervorgegangenen Kabinett Dr. Wilhelm Bodens und im ersten Kabinett Peter Altmeiers – war der Kommunist Willy Feller Minister für Wiederaufbau und Verkehr. Dessen Amtszeit endete aber bereits am 7. April 1948 – nachdem CDU und SPD ihm ihr Misstrauen ausgesprochen hatten, weil er die Einbeziehung von Rheinland-Pfalz in den Marshall-Plan kritisiert hatte.

Auf Bundesebene nahmen zwar auch Kommunisten an den Beratungen zum Grundgesetz teil, sie spielten aber keine Rolle. Im Parlamentarischen Rat gab es zwei kommunistische Vertreter – Max Reimann und Heinz Renner. Beide weigerten sich, dem Grundgesetz zuzustimmen, und sprachen sich gegen die Bildung eines westdeutschen Teilstaats aus. Heinz Renner erklärte dazu: „Ich unterschreibe nicht die Spaltung Deutschlands.“ Bei der Bundestagswahl 1949 erreichte die KPD wie bereits erwähnt 5,7 Prozent und stellte 15 von insgesamt 402 Abgeordneten. Bundespräsident wurde der FDP-Vorsitzende Theodor Heuss und Bundeskanzler der CDU-Vorsitzende  Konrad Adenauer. Die SPD, wie die KPD aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen, war eine Oppositionspartei und unter ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher eindeutig antikommunistisch. Die antifaschistisch-demokratische Kraft, als die sich die KPD in den ersten Nachkriegsjahren darstellte, wurde ab 1948/49 nicht (mehr) gebraucht.

 

Die Aufbauarbeit beginnt.

 

Eines der ersten Gesetze, die der 1. Deutsche Bundestag beschloss, war das Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 31. Dezember 1949. Bundeskanzler Adenauer hatte es mit den Worten begründet: „Wir haben so verwirrte Zeitverhältnisse hinter uns, dass es sich empfiehlt, generell Tabula rasa zu machen.“ Das Gesetz fand eine breite Zustimmung – auch bei der SPD und sogar bei der KPD. In den Genuss der Amnestie kamen bis zum 31. Januar 1951 insgesamt 792.176 Personen. Kein Zahlenwerk weist es aus, aber es ist zu vermuten, dass zu den Profiteuren dieses Gesetzes zehntausende NS-Täter gehörten. Damit war sicherlich eine Ausgangssituation geschaffen, die es der jungen Bundesrepublik schwer machte, NS-Straftaten und ihre Täter zu verfolgen. 

Inzwischen hatte man sich im Westen auch mit der neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung abgefunden und sogar angefreundet. In der frühen Nachkriegszeit waren hier planwirtschaftliche Erwägungen mit der Vorliebe für die Enteignung von Industriebetrieben und Banken besonders populär. Die SPD war dafür, Teile der  CDU  – ihr linker Flügel – auch. Aber insbesondere die Amerikaner hatten hier gegengesteuert und Fakten geschaffen und sie wirken lassen. So zeigten der Marshall-Plan und die Währungsreform inzwischen ihre Wirkung. Dabei war beim Marshall-Plan viel Psychologie dabei. Durch ihn hatten auf einmal die Besiegten wieder eine Perspektive: den Anschluss an das amerikanische Wohlstandsimperium. Ein kluger Schachzug der Amerikaner war es zudem, die Industrieanlagen weniger stark zu demontieren – und die Demontage im Jahr 1951 ganz zu beenden. 

Auch die Währungsreform von Juni 1948 zeitigte Erfolge. Das war allerdings nicht allein ein Verdienst Ludwig Erhards. Vielmehr kamen mehrere günstige Faktoren zusammen. Ein Umstand war, dass die zum Teil hochmodernen Industrieanlagen aus der NS-Zeit den Krieg besser überstanden hatten, als man zunächst geglaubt hatte. Außerdem erwiesen sich die Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen als Motor der Entwicklung. Und alle Deutschen packten nach dem Krieg tatkräftig an. Der Fleiß der westdeutschen Bevölkerung war legendär. Der Publizist Graf von Krockow brachte es auf den Punkt mit dem Satz: „Arbeit ersetzt die Trauerarbeit.“ Hinzu kam ab Mitte 1950 dann noch der Boom der Weltwirtschaft – vornehmlich ausgelöst durch den Krieg zwischen Nord- und Südkorea („Korea-Krieg“ - „Korea-Boom“). 

Psychologisch wichtig war, dass sich die Ernährungssituation im Jahr 1950 deutlich verbesserte. Im Januar wurden die letzten Lebensmittelkarten ausgegeben und im April endete das Rationierungssystem, das 11 Jahre zuvor eingeführt worden war. – „Darf es etwas mehr sein?“ lautete die neue Standardfrage der Verkäuferinnen. 

Und dann kam das, was man bald das „deutsche Wirtschaftswunder“ nannte: Von 1950 bis 1960 wuchs die Wirtschaft jedes Jahr um über 8 Prozent im Durchschnitt. Die Westdeutschen verdoppelten zwischen 1950 und 1959 das Bruttosozialprodukt. Sie verzehnfachten ihren Exportüberschuss und stiegen zur weltweit erfolgreichsten Handelsmacht nach den USA auf. Auch die soziale Lage besserte sich. Die Arbeitslosenquote ging von 11 Prozent (1950) auf 2,6 Prozent (1959) und später sogar auf 0,5 Prozent (1965) zurück. 6 Millionen Neubauwohnungen wurden aus dem Boden gestampft, in denen über 16 Millionen Menschen ein Unterkommen fanden. Nie zuvor sind Deutsche schneller wohlhabend geworden als jene in der Bundesrepublik in dem Vierteljahrhundert nach 1950.

Da wollte auch Hugo Salzmann mit seiner Familie nicht abseits stehen. Wer konnte ihm das verübeln, ihm, der so viel Verfolgung erlitten und sich immer und überall für andere Menschen eingesetzt hatte. Immerhin hatte er nach den ersten notdürftigen Sofortmaßnahmen inzwischen eine gewisse Entschädigung nach dem Landesgesetz über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus in Rheinland-Pfalz vom 27. Mai 1950 er-halten. Im selben Jahr erwarb er von der Stadt Bad Kreuznach ein kleines Grundstück in der Robert-Danz-Straße und errichtete darauf ein kleines Haus. Im April 1951 zog er mit seiner Familie dort ein. Es war für ihn – wie er es nannte – sein „Paradies“. Und man will es ihm glauben, wenn man die Familienbilder jener Jahre sieht. Fast ist man beim Anblick dieser Fotos erinnert an die damalige „Erklärungsformel“ dieser Welt: 1-2-3-4, was bedeutete: „ein Ehepartner, zwei Kinder, drei Räume, vier Räder“.

Maria Salzmann mit Tochter Julianna und Hugo junior, um 1950 (Quelle: privat)

Inzwischen hatte auch Sohn Hugo in seiner Geburtsstadt Tritt gefasst. Wegen des Schicksals seiner im Konzentrationslager ums Leben gekommenen Mutter wurde er als Opfer des Faschismus anerkannt und erhielt später auch eine bescheidene finanzielle Wiedergutmachung. Sein Vater sorgte – wie seinerzeit versprochen - für ein Volontariat als Zahntechniker bei einem Kreuznacher Dentisten. Hugo junior brach es allerdings nach einem halben Jahr ab; 

Hugo Salzmann mit Frau Maria und Tochter Julianna, um 1958 (Quelle: privat)

angesichts zu vieler Inter- essenten sah er für sich dort keine Berufsperspektive.Not- gedrungen entschied er sich im Mai 1949 für eine dreijährige Verwaltungslehre bei der Stadtverwaltung Bad Kreuznach. Auch dabei half ihm sein Vater mit seinen guten Beziehungen. Diese halfen Hugo junior auch, Kontakt zu Kommunisten vor Ort zu knüpfen; so wurde er schon bald Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in Bad Kreuznach.

Hugo Salzmanns „Paradies“ in der Robert-Danz-Straße (Quelle: privat)

 

Die KPD wird isoliert.

 

Diese Idylle bei den Salzmanns trog aber. Die Eheleute hatten nicht nur jeder für sich mit gesundheitlichen und beide mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Vielmehr verschlechterte sich das Bild der Sowjetunion und des Kommunismus im Westen – was dann auch  Auswirkungen auf die Situation der Familie haben sollte. Inzwischen wuchs im Westen nämlich der Argwohn gegen die Kommunisten. Dazu leisteten die Sowjets ihren nicht zu unterschätzenden Beitrag. Ungeachtet aller Friedens- und Demokratiebeteuerungen hatten sie die Polen und die Tschechen unter Druck gesetzt, die angebotene Hilfe aus dem Marshall-Plan abzulehnen. Dann sorgten sie dafür, dass die kommunistische Partei der Tschechoslowakei mit einem „legalen“ Staatsstreich am 25. Februar 1948 die Macht übernahm. Innerhalb weniger Monate errichtete die Regierung der „Erneuerten Nationalen Front“ eine „Volksdemokratie“ – mit einer neuen Verfassung, der Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft einschließlich der Zwangsvereinigung von Kommunisten und Sozialdemokraten und der Entfernung zehntausender Beamter und Funktionsträger aus dem öffentlichen Leben wegen „politischer Unzuverlässigkeit“, einem offenen Kampf gegen die katholische Kirche und der Eingliederung der tschechoslowakischen Volkswirtschaft in das sowjetische Wirtschaftssystem. 

Auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) vergrößerte die UdSSR ihren Einfluss und forcierte mit aller Macht deren Bolschewisierung (Stalinisierung). Unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ sorgte sie dafür, dass der Großgrundbesitz aufgeteilt wurde und Landbesitz tatsächlicher oder vermeintlicher NS-Führer und Staatsgüter in einen Bodenfonds überführt wurden. Zudem schwächten die Sowjets durch Reparationszahlungen und Demontagen die Wirtschaft. Es wurden nicht nur große Betriebe der Schwer- und Metall verarbeitenden Industrie zu Staatseigentum. Auch zahlreiche Großbetriebe, die insgesamt mehr als ein Viertel der gesamten Industriekapazität der SBZ ausmachten, gingen direkt als Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) – für einige Jahre - in sowjetisches Eigentum über. Um ein drastisches Beispiel nehmen: Fast das komplette zweite Gleis der Reichsbahn wurde auf den Hauptstrecken herausgerissen, rund 12.000 Kilometer Schienen und viele Lokomotiven landeten in der Sowjetunion. Zudem blieben die wirtschaftliche Entwicklung und die Lebenslage der ostdeutschen Bevölkerung stets hinter der Situation im Westen zurück. Die Rationierung der Lebensmittel etwa endete erst Ende Mai 1958. Schlecht für das „Image“ war auch, dass Stalin deutsche Kriegsgefangene erst spät frei gab.

Nachteilig waren für das Bild der SBZ selbst  neben der Bodenreform auch  die Umstände, die zum Zusammenschluss der KPD und der SPD in der SBZ geführt hatten. Zwar erschien auch im Westen ein Zusammenschluss von SPD und KPD vielen als logische Konsequenz aus dem fatalen Bruderkampf innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung, der Hitler mit ermöglicht hatte. Aber die wieder gewonnene Einheit der Arbeiterklasse im Osten war ein „Produkt aus massiver Einschüchterung und opportunistischer Anpassung“ (Heinrich August Winkler). Denn sie geschah von Seiten der SPD kaum freiwillig, sondern vor allem unter Druck („Zwangsvereinigung“). Nach der Vereinigung wurde die SPD dann von der KPD-Seite  in der neu gegründeten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vereinnahmt. Es folgte eine politische Gleichschaltung sowohl innerhalb der SED als auch in den anderen, nun „Blockparteien“ genannten Parteien.

Die SED orientierte sich am sowjetischen Modell der „Partei neuen Typs“, d.h. an der Durchsetzung des Demokratischen Zentralismus, und sorgte dafür, dass die Direktiven der Parteispitze sich in den eigenen Reihen schnell und vollständig durchsetzten. Der Stalinismus begann das politische Leben der SBZ und dann der DDR zu bestimmen. Alles getreu der Losung des SED-Chefs Walter Ulbrichts: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“  

Die KPD in den Westzonen hielt zur KPD in der SBZ bzw. dann zur SED engen Kontakt und war mit ihr seit 1947 in der „Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft“ eng verbunden. Es dauerte dann noch bis Anfang 1949, bis sich die KPD als westdeutsche Partei konstituierte und dann noch bis zum Parteitag im Jahr 1951, bis sie sich ein eingenes Programm und Statut gab.

Nimmt man dann noch hinzu, dass die Nazis – ungeachtet des Hitler-Stalin-Paktes – mit schlimmster Propaganda vor der bolschewistischen Gefahr und den russischen „Untermenschen“ gewarnt, die Flüchtlinge und Vertriebenen ihre eigenen unmittelbaren traumatischen Erlebnisse mit der Roten Armee gehabt hatten und der Kalte Krieg durch den Korea-Krieg weiter eskalierte, dann wird klar, dass die KPD im Westen von Anfang an vor einer unlösbaren Aufgabe stand. Erforderlich gewesen wäre eine breite Bündnispolitik mit SPD, Gewerkschaften, dem „linken Flügel“ der CDU und anderen Demokraten und Pazifisten unter Führung der KPD gewesen.

Eine solche „antifaschistisch-demokratische „Einheitsfront“ hatte die KPD nicht nur nicht bilden können, sondern diese hatte gerade in der SPD und vor allem in der Gestalt des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher einen dezidierten Gegner.

Zudem wurde die KPD für die Politik mit verantwortlich gemacht, die die sowjetische Besatzungsmacht in der SBZ und alsbald in der DDR wie auch in den anderen Staaten des sich bildenden „Ostblocks“ durchsetzten und diese Staaten selbst gestalteten. Die KPD blieb damit in einer Außenseiterposition und stand unter dem Verdacht der Außensteuerung. Selbst wenn sie sich auf Themen und Positionen anderer Parteien berief und diese ebenfalls verfolgte, konnte sie sich von dem Verdacht nicht befreien.

 

Plakat der CDU zur Bundestagswahl 1953

 

Kampagnen und Wahlen.

 

Um aus dieser Isolation herauszukommen, unternahm die KPD verschiedene Anstrengungen. Dazu gehörten die Versuche, Kampagnen für die nationale Einheit sowie gegen die Wiederbewaffnung zu initiieren. An beiden Kampagnen war Hugo Salzmann auf regionaler Ebene engagiert, so dass hierauf kurz eingegangen werden soll. 

Bereits Anfang 1949 leiteten führende KPD-Funktionäre die Kampagne für die nationale Front ein. Den Anfang machte der KPD-Vorsitzende Max Reimann. Er nannte das Besatzungsstatut das „Kolonialstatut für diesen westdeutschen Staat“. Wenig später forderte der stellvertretende KPD-Vorsitzende Walter Fisch eine breite nationale Front - selbstverständlich unter der Führung der Arbeiterklasse und ihres organisierten Vortrupps, der KPD, an der Spitze -  mit den Worten:

Aufruf zur „Nationalen Front“:

„Wenn es wahr ist, dass mit Ausnahme der kleinen Schicht von nationalen Verrätern…, die unter dem Kolonialregime die Interessen unseres Volkes an die ausländischen Kapitalherren verkaufen, alle Schichten unseres Volkes an der Wiedergewinnung unserer nationalen Unabhängigkeit interessiert sind, dann steht die Partei, vor der großen Aufgabe, aus allen diesen Gruppen unseres Volkes, unter Führung der Arbeiterklasse eine mächtige nationale Einheitsfront zustande zu bringen. Das heißt also: die Partei stellt sich die Aufgabe, die Lebensinteressen der gesamten Bauernschaft, des Mittelstandes, ja auch der kleinen Industrie …, der Intelligenz,…der jungen Generation… (der) Rentner … (der) Flüchtlinge … mit ihrer ganzen Kraft zu vertreten.“
(zitiert nach: Dietrich Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, in: Richard Stöss (Hrsg.) Parteien-Handbuch, a.a.O., S. 1705)

 

Das war sicherlich für „alt gediente“ Kommunisten wie Hugo Salzmann, die zu Zeiten der Weimarer Republik den proletarischen Klassenkampf und den Internationalismus vehement vertreten hatten, ein Kurswechsel, der nur schwer nachzuvollziehen war. Er wurde aber offizielle Politik der KPD. Und mit diesem Programm zog etwa die rheinland-pfälzische KPD in den Wahlkampf zum 2. Landtag am 29. April 1951. Hugo Salzmann war Kandidat der KPD für den Landtag. 

Hugo Salzmann machte auch für sich selbst Werbung für seine Wahl in den Landtag. U.a. war er auf einem Wahlplakat zu sehen, mit seinem Porträt des Kreuznacher Kommunisten Heinrich („Heini“) Stephan:

Gegen die unsoziale  Wohnraumsteuer
Abzug aller Besatzungstruppen
Einstellung der Demontage
Für ein einiges, unabhängiges, friedliches Deutschland!

Aber diese Kampagne blieb erfolglos. Nicht nur Hugo Salzmann zog nicht in den Landtag ein, sondern die KPD insgesamt schaffte nicht den Wiedereinzug. Diesmal konnte die KPD nur 62.483 Wähler für sich gewinnen. Das ergab 4,35 Prozent der abgegebenen Stimmen und – wegen der damals geltenden Fünf-Prozent-Klausel für den Einzug von Parteien in das Parlament – kein einziges Mandat für die KPD. Die KPD war „außerparlamentarisch“ und auf Landesebene zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Die „Vorhut der Arbeiterklasse“ verlor auch immer mehr Mitglieder. Waren es im Jahr 1947 noch rund 20.000, so reduzierte sich 1951 diese Zahl auf ca. 6.500. (Dieser Trend war übrigens unumkehrbar: Bei den nächsten Landtagswahlen im Jahr 1955 fand die KPD nur noch 50.896 Wähler und brachte es auf 3,2 Prozent der abgegebenen Stimmen, damit reichte es wiederum nicht zum Einzug in den Landtag.). Im Landtag waren – wie nach den späteren Wahlen auch – nur noch drei Parteien vertreten: CDU, SPD und FDP, wobei die CDU bis zur Wahl im Jahr 1991 den Ministerpräsidenten stellte und entweder allein regierte oder mit der FDP eine Koalitionsregierung bildete.

 

Einige Zeit später lief die Kampagne gegen die Wiederbewaffnung (Remilitarisierung). Sie hatte ihren Ursprung in dem „Komitee der Kämpfer für den Frieden in Westdeutschland“. Die KPD wollte damit die politischen Ziele der SED und der KPdSU unterstützen und sich an die Spitze einer breiten Friedensbewegung in der Bundesrepublik setzen, die die „Aggressivität des amerikanischen Imperialismus entlarven“ sollte. Hintergrund war wohl die optimistische Annahme, Remilitarisierung und Westintegration der Bundesrepublik stoppen zu können. Die Losung hieß:  „Fort mit Adenauer und seinem Krieg“. Die Aktion machte aber keine rechten Fortschritte. Ende 1950/Anfang 1951 bildete die KPD mit den Resten einer Initiative, die ursprünglich von evangelischen Christen ausging, einen „Ausschuss gegen die Remilita- risierung“. Thematisch traf man damit die Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung. Denn die meisten Deutschen lehnten damals, wenige Jahre nach dem zweiten verlorenen und opfervollen Weltkrieg und als noch längst nicht alle Kriegsgefangenen zurückgekehrt waren, die Wiederbewaffnung ab.

Aber auch in diesem Bereich war eine breite Front bzw. zumindest eine Zusammenarbeit mit der SPD nicht möglich. Das musste auch Hugo Salzmann erfahren, als er Anfang Februar 1951 bei dem Kreuznacher SPD-Führer Karl Kuhn um eine Zusammenarbeit der KPD und der SPD für eine Aktionseinheit gegen die Remilitarisierung warb und Kuhn dies ablehnte. Hugo Salzmann nahm an der Sitzung  bzw. den Sitzungen der „Remilitarisierungskommission“ allein teil. 

Trotz dieser Ablehnung arbeitete Hugo Salzmann weiter vor Ort gegen die Remilitarisierung. Das Thema blieb aktuell. Denn im Frühjahr 1952 kamen die Verhandlungen des Bundeskanzlers Adenauer mit Frankreich, Italien und den Benelux-Staaten über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zum Abschluss: Die west- europäischen Staaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland sollten ihre Streitkräfte in eine integrierte europäische Armee unter gemeinsamem Oberbefehl einbringen. Adenauer versprach sich damit nicht nur mehr Sicherheit. Vielmehr sollte als Gegenleistung für diesen „Wehrbeitrag“ das Besatzungsstatut beendet und die innere und äußere Souveränität wieder hergestellt werden. (Dieser „Deutschland-Vertrag“ bzw. „Generalvertrag“ sowie der EVG-Vertrag scheiterten dann aber, was am Rande zu bemerken ist, zwei Jahre später an der Ablehnung durch das französische Parlament).

Während dieser Verhandlungen zwischen den Staaten brachte Hugo Salzmann im Februar 1952 für die kommunistische Stadtratsfraktion einen Antrag ein, der Stadtrat von Bad Kreuznach möge sich gegen die Wiederbewaffnung aus- sprechen, weil dies den Bestimmungen des Grundgesetzes widerspreche, über die Aufstellung einer Wehrmacht bzw. deutscher Divisionen könne nur das deutsche Volk in freier und geheimer Wahl entscheiden. Wie vorauszusehen war, fand dieser Antrag keine Mehrheit. 

Darüber hinaus suchte Hugo Salzmann vor Ort Partner für ein Aktionsbündnis gegen die Wiederbewaffnung und den da- mit in engem Zusammenhang stehenden Generalvertrag. Bekannt – weil folgenreich – ist ein Treffen in der Kreuznacher Gaststätte „Bauernschänke“ am 14. Mai 1952. Hierzu hatte Hugo Salzmann als „Privatmann“ Vertreter verschiedener Parteien und Betriebsräte eingeladen. 26 bis 28 Personen kamen zusammen, die sich über diese damals heiß diskutier- ten Themen austauschten. Hugo Salzmann stellte dabei auch ein Plakatentwurf eines Kreuznacher Künstlers vor, der das Zitat aus dem Kriegslied von Matthias Claudius: „Und ich begehre, nicht schuld daran zu sein“, als Motto hatte. 

Plakat eines Kreuznacher Künstlers für ein Aktionsbündnis gegen die Wiederbewaffnung, 1952 (Quelle: privat)

 

Fristlose Kündigung als Gewerkschaftssekretär.

 

Hugo Salzmann wollte dieses Plakat gegen den Krieg herausgeben und mit den anderen zusammen etwas unternehmen, um die Bevölkerung der Stadt Bad Kreuznach und auch die des Kreises gegen die Wiederbewaffnung zu mobilisieren. 

Unter den erwähnten 26 – 28 Teilnehmern an dem Treffen waren zwei, die die anderen später „Söldlinge und bezahlte Verbrecher“ nannten. Diese schwärzten Hugo Salzmann beim Landes- bezirksvorstand des DGB an. Deren Denunziation fiel dort auf fruchtbaren Boden. Denn in- zwischen war das Verhältnis zwischen dem DGB und der KPD stark getrübt. Beigetragen dazu hatten die vom Parteitag der KPD im März 1951 beschlossenen Thesen. Darin wurden die Führungen der westdeutschen Gewerkschaften, speziell die des DGB, erstmals und in aller Ausführlichkeit beschuldigt, sie versuchten „im Auftrage und im Interesse des amerikanischen Imperialismus und im Einklang mit den deutschen Monopolisten“, die „Gewerkschafts- morganisation in den Dienst der Kriegsvorbereitung zu stellen.“ Das löste Attacken der Gewerkschaftsführung gegen die KPD-Mitglieder aus, die sich bis dahin noch in den Gewerkschaften hatten halten können.

Hugo Salzmann, Anfang der 1950er Jahre (Quelle: privat)

Angesichts dessen ist es nachvollziehbar, dass die DGB-Spitze in Rheinland-Pfalz die Anschuldigungen gegen Hugo Salzmann – obwohl er sich persönlich bisher nichts hatte zu- schulden kommen lassen – mit Interesse zur Kenntnis nahmen und dann auch gegen ihn verwandten. Dabei ließen aber jede Fairness vermissen, gaben ihm nicht einmal Gelegenheit,....................................
sich zu den Vorwürfen zu äußern, informierten im Vorfeld auch nicht den Kreisausschuss des DGB im Kreis Bad Kreuznach und versuchten auch gar nicht erst, die übrigen Teilnehmer des Treffens dazu zu befragen. Stattdessen verfassten sie sofort das nachfolgende Schreiben, mit dem sie Hugo Salzmann als Gewerkschaftssekretär fristlos kündigten.

Entlassungsschreiben des DGB - Landesbezirk Rheinland-Pfalz - vom 23. Mai 1952 - an Hugo Salzmann: 

Entlassungsschreiben!

Werter Kollege!

Wir haben soeben Kenntnis davon erhalten, dass Du am 14. Mai 1952 in Bad Kreuznach, Gaststätte „Bauernschänke“ eine Versammlung abgehalten hast, zu der eine Reihe von Betriebsräten geladen war. In Deinem Referat hast Du die Anwesenden aufgefordert, die Kampfmaßnahmen des DGB gegen das Betriebsverfassungsgesetz auch zu Aktionen (Streiks usw.) gegen den Generalvertrag zu benutzen. Die anwesenden Betriebsräte sollten in ihren Betrieben die Belegschaftsmitglieder zu Resolutionen gegen die Führung des DGB veranlassen, sie sollten handeln und vor nichts zurückschrecken. Fette und vom Hoff müssten abtreten: denn diese wären bereits von den Kapitalisten gekauft.

Diese Vorgänge zwingen uns, Dein Anstellungsverhältnis zum DGB mit sofortiger Wirkung zu lösen. Es kann nicht geduldet werden, dass ein Angestellter des DGB derartige, durch nichts begründete Verleumdungen über seine Vorstandsmitglieder verbreitet und die gewerkschaftliche Einheit durch derartige Machenschaften zu zersetzen versucht. Diese Verfehlungen sind so schwerwiegend, dass uns die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann.

Im Hinblick auf § 11 des Kündigungsschutzgesetzes wird aber ausdrücklich festgestellt, dass die Entlassung notfalls auch als Kündigung zum nächst zulässigen Termin gelten soll.“


Überbracht wurde das Entlassungsschreiben vom rheinland-pfälzischen DGB-Vorsitzenden Adolf Ludwig und dessen Stellvertreter Blum. Beide gaben Hugo Salzmann dabei noch den Rat, doch selbst zu kündigen und es nicht auf die Kündigung durch den DGB ankommen zu lassen. Denn schließlich habe er – so die DGB-Verantwortlichen – bereits einen Rentenantrag gestellt. Dieser könne doch weiterlaufen und bei einer Kündigung durch ihn behalte er auch seinen Rentenanspruch. Diesen „wohlmeinenden“ Rat nahm Hugo Salzmann aber nicht an. Stattdessen gab er den Herren zur Antwort:

Äußerung Hugo Salzmanns anlässlich seiner fristlosen Entlassung als Gewerkschaftssekretär (leicht sprachlich überarbeitet):  

„Ich muss sagen, ich habe schon viel Leid mitgemacht und habe in der Vergangenheit auch meinen Kopf vor dem Schafott verteidigen müssen. Ich habe in der Vergangenheit immer eine saubere Weste gehabt, weil ich für die Menschheit mein Ziel gehabt habe. Ich habe geblutet mit meiner ersten Familie. Ich stehe heute durch den DGB in derselben Situation. Aber das kann ich nicht über das Herz bringen, dass ich meine Überzeugung und mein ehrliches Gewissen für eine Pension, für mich und meine Familie, verleugne. Aufgeben soll ich mein eigenes Ich. Das kann ich nicht, selbst wenn ich in noch größere Not komme. Schließlich geht es hier um Millionen von Menschen und nicht nur allein um mich und mein Wohlsein. Und wenn Kollege Ludwig mir auch noch einmal sagen sollte, ich hätte, da mein Rentenantrag läuft, die Möglichkeit, von mir aus vorzeitig auszuscheiden, so danke ich dafür. Ich werde aber meinen Arbeitsplatz nicht klaglos aufgeben. Schließlich bin ich „sauber“. Ich zweifle auch nicht eine Sekunde daran, dass es beiden Zeugen teuer zu stehen käme, wenn sie ihre gegenüber dem DGB gemachten Äußerungen vor Gericht wiederholen werden. Denn dann hätten sie einen, nein zwei Meineide geleistet und müssten damit rechnen, für ihre Lügen ins Gefängnis zu gehen. 

Ich werde also nicht zurückweichen. Vielmehr werde ich im Interesse der Arbeiterschaft weiter arbeiten und damit dem Wohl der Arbeiterklasse und dem Fortschritt dienen.“

 

Umgehend reichte Hugo Salzmann beim Arbeitsgericht Klage auf Feststellung ein, dass die Kündigung rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis weiter besteht. Auch meldete er sich als arbeitslos, wie eine auf ihn ausgestellte Arbeitslosen-Meldekarte belegt.

Arbeitslosen-Meldekarte des Arbeitsamtes Bad Kreuznach vom 28. Mai 1952 für Hugo Salzmann (Quelle: privat)

Hugo Salzmann erfuhr aber auch schnelle und gute Unterstützung, etwa vom Vorsitzenden des Kreisausschusses Bad Kreuznach Franz Schulze, der der Familie Salzmann zum bevorstehenden Pfingstfest trotz allem eine gute Zeit wünschte und 200.—DM beifügte („Aus Anlass des Pfingstfestes wünschen wir trotzdem frohe Feiertage und fügen in der Anlage DM 200.- bei, damit sie nicht ganz ohne Mittel dastehen und hoffen, dass es nach den Feiertagen baldmöglichst wieder in Ordnung kommt.“).

Noch im Mai befasste sich der Vorstand des Kreisausschusses mit der fristlosen Entlassung und bekundete seine Solidarität mit Hugo Salzmann. Am 30. Mai 1952 fand eine Sitzung mit dem DGB-Landesvorsitzenden Ludwig und dessen Stellvertreter statt. Der Kreisausschuss stellte sich geschlossen hinter Salzmann und die Teilnehmer des fraglichen Treffens am 14. Mai 1952 stellten einmütig fest, dass Hugo Salzmann die ihm zur Last gelegten Äußerungen nicht getan habe. Bezeichnend war die Aussage des Betriebsrats Kolling von den Seitz-Werken: 

Aussage des Betriebsrats Kolling von den Seitz-Werken:

„Ich war in der Sitzung und ich glaube, dass ich weit davon entfernt bin, ein Kommunist zu sein. Derjenige, der heute für den Frieden eintritt und sagt: "Ich nehme keine Knarre mehr in die Hand“, dem hält man entgegen: „Er ist ein Kommunist!“ Ich werde das, was vorhin gesagt wurde, unter Eide nehmen. Der Kollege Salzmann hat nie das gesagt, was von den „beiden Kollegen“ wenn ich sie überhaupt als Kollegen bezeichnen kann, behauptet wird.“ 


Die Aussagen der Teilnehmer am Treffen vom 14. Mai 1952 und die Solidarität der Gewerkschafter vor Ort waren so eindeutig, dass dem Landesbezirksvorstand gar nichts anderes übrig blieb, als die Kündigung vom 23. Mai 1952 zurückzunehmen. Das geschah dann auch umgehend, allerdings nicht, ohne Hugo Salzmann eine „scharfe Rüge“ zu erteilen und ihm zu drohen.

Aus dem Schreiben des DGB, mit dem die fristlose Entlassung zurückgenommen wurde: 

„Der Vorstand rügt jedoch auf das Schärfste die Ausnutzung der gewerkschaftlichen Position zu parteipolitischen Zwecken und macht auf die unabwendbaren Konsequenzen im Wiederholungsfall aufmerksam.“


Damit hatte Hugo Salzmann erfolgreich um seinen Arbeitsplatz und um ein Stück seiner Identität gekämpft. Das wird ihm eine gewisse Genugtuung verschafft haben – zumal die Rücknahme der Entlassung so schnell erfolgte und der dabei so viel Solidarität erfahren hatte. Es dürften aber auch Spuren der Kränkung und auch der Wut bei ihm zurückgeblieben sein. Denn dies war nicht die erste Denunziation dieser Art, sondern die fünfte. 

Angaben von Hugo Salzmann zu den Denunziationen jener Tage:

„Ich möchte nur erwähnen, dass es nicht die erste Denunziation gewesen ist, sondern die fünfte. Es war einmal ein anonymes Schreiben „Der Betriebsrat der Seitz-Werke“, dann „die Arbeiter des Kreises und der Stadt Kreuznach“. Es kam ein anonymes Schreiben zum Teil mit gefälschten Namen. Ich habe den DGB gebeten, mir doch die Urschrift zukommen zu lassen, um einmal festzustellen, wo kommt die Maschine her, aus welchem Kreis kommen die Leute. Dem wurde nicht entsprochen. Ich habe hier Briefe, die an mich und auch an den Kollegen Schulze geschrieben worden sind. Sie sind mir so schmutzig, aufgrund der Vergangenheit, die wir gemeinsam erlebt haben und erfahren, um sie in der Öffentlichkeit zu verlesen, so dreckig, so schmutzig und gemein sind sie. Sie gehen nicht nur bis zur Drohung, dass ich nachts einmal verschwinden würde.“ 

 

 

Der Kampf gegen Kommunisten wird härter.

 

Mit den letzten Worten  meinte Hugo Salzmann sicherlich ein Drohschreiben der „Vereinigung der ‚Schwarzen Schatten‘“ vom 17. April 1950, das ihn abgestempelt in Bad Kreuznach einige Tage später in seinem Gewerkschaftsbüro erreichte. Es befindet sich in seinem Nachlass und soll hier auszugsweise wiedergegeben werden – mit Ausnahme der Ekelhaftigkeiten, die sich nicht auf Hugo Salzmann unmittelbar beziehen. 

Drohschreiben der „Vereinigung der ‚Schwarzen Schatten‘“ vom 17. April 1950:

„Hugo Salzmann sieh dich vor. Deine Stelle wie sie 1945 war ist vorbei. Männer kommen heute wieder an die Macht, die du in scheußlichster Weise belogen, betrogen und denunziert hast. Sie rächen sich alle an dir. Das Beste ist, wenn du bald wie bereits 1933 heimlich verschwindest, sonst kehrst du eines (Tages) nicht mehr nach Hause (zurück). Du weißt ja, wie dieses in der Ostzone geht. Das wird auch bald hier eingeführt. Halte jedenfalls das Maul und sondere dich vom öffentlichen Leben ab. Wir warnen dich rechtzeitig. Deine Stunde ist bald gekommen. Solltest du von unserer Vereinigung noch nichts gehört haben, so wende dich einmal nach Karlsruhe oder Frankfurt, dort ist in letzter Zeit allerhand passiert. Als nächstes Opfer bist du ausersehen. Wir geben Dir noch eine Chance, indem du zum anständigen Leben zurückkehrst und nicht dein Maul allzu groß aufreißt und anständig bleibst. Sonst ist dein Leben bald auch nur noch ein Schatten. Suche dir eine anständige Arbeit und lass die Gewerkschaft laufen. Du bist vorgesehen und verschwindest. Da hilft dir keine Besatzungsmacht und auch keine Polizei. Unsere Männer sind frühere Gestapo-Angehörige usw. und mit sämtlichen Raffinessen ausgestattet. Dafür bist du viel zu dumm. Richtig genommen bist du ein großes Arschloch und Idiot, sonst würdest du das Maul halten. Niemand nimmt dich für voll, weil du saublöd und dumm bist. Dein großes Maul hilft dir aber diesmal nicht.

Zum Schluss sagen wir dir nochmals, sei vorsichtig sonst schließt du in kürzester Frist dein Schlappmaul für immer. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Niemand wird wie in anderen Fällen von deinem Verschwinden je eine Spur finden. Der Schwarze Schatten findet die Verleumder alle. Deine Macht ist zu Ende. (…)“


Diese Denunziationen, Diffamierungen und Drohungen waren sicherlich extrem – aber es waren „nur“ schlimme Auswüchse einer Stimmungslage und Situation, wie sie damals von einem exzessiven Freund-Feind-Denken geprägt war.

Bereits im Sommer 1950 arbeiteten die Bundesregierung und die Landesregierung von Rheinland-Pfalz an einem Erlass, um, wie es hieß, die „staatsfeindliche Betätigung von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes“ zu unterbinden – indem man sie aus dem öffentlichen Dienst entfernte. Vorreiter war das Land Rheinland-Pfalz mit einem Erlass des Innenministeriums vom 18. August 1950. Unter dem Datum des 19. September 1950 folgte dann der Beschluss der Bundesregierung:

Beschluss der Bundesregierung vom 19. September 1950:

„Die Gegner der Bundesrepublik verstärken ihre Bemühungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu untergraben. Jede Teilnahme an solchen Bestrebungen ist unvereinbar mit den Pflichten des öffentlichen Dienstes. Alle im unmittelbaren oder mittelbaren Bundesdienst stehenden Personen haben sich gemäß § 3 des vorläufigen Bundespersonalgesetzes durch ihr gesamtes Verhalten zur demokratischen Staatsordnung zu bekennen. Wer als Beamter, Angestellter oder Arbeiter im Bundesdienst an Organisationen oder Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Staatsordnung teilnimmt, sich für sie betätigt, oder sie sonst unterstützt, wer insbesondere im Auftrag oder im Sinne der auf Gewalthandlungen abzielenden Beschlüsse des 3. Parteitages der kommunistischen SED (auf dem III. Parteitag vom 20. bis 24. Juli 1950 charakterisierte sich die SED als „Partei der deutschen Arbeiterklasse, ihr bewusster und organisierter Vortrupp, geleitet vom Marxismus-Leninismus [„Partei von Typus“]; SED-Chef Ulbricht propagierte den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus und die Notwendigkeit einer Verschärfung des Klassenkampfes“, Erg. d. Verf.) und des sogenannten „Nationalkongresses“ wirkt, macht sich einer schweren Pflichtverletzung schuldig.
Zu den Organisationen, deren Unterstützung mit den Dienstpflichten unvereinbar sind, gehören insbesondere:

  1. die Kommunistische Partei Deutschlands mit allen ihren Unterorganisationen (…) 
...
...
10. die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).

Die Bundesregierung ersucht die Dienstvorgesetzten, gegen Beamte, Angestellte und Arbeiter, die ihre Treuepflicht gegenüber der Bundesrepublik durch Teilnahme an solchen Organisationen oder Bestrebungen verletzen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Gegen Schuldige ist unnachsichtlich die sofortige Entfernung aus dem Bundesdienst, und zwar bei Beamten auf Lebenszeit durch Einleitung eines förmlichen Dienststrafverfahrens unter gleichzeitiger vorläufiger Dienstenthebung und Gehaltseinbehaltung, bei Beamten auf Widerruf durch Widerruf, bei Angestellten und Arbeitern durch fristlose Kündigung herbeizuführen.

Die Bundesregierung empfiehlt den Landesregierungen, sofort entsprechende Maßnahmen zu treffen.“
(zitiert nach: Gemeinsames Ministerialblatt (GMBl.) 1950, S. 93)


Dieser „Empfehlung“ der Bundesregierung kam die rheinland-pfälzische Landesregierung umgehend nach und passte ihren bereits erwähnten Erlass vom 18. August 1950 in dem Erlass vom 27. September 1950 den Vorgaben der Bundesregierung an.

Erlass der Landesregierung vom 27. September 1950:

„Die rückläufige Entwicklung der kommunistischen Partei im Bundesgebiet und ihre Ablehnung durch die Bevölkerung hat seit Beginn dieses Jahres das Politbüro der SED veranlasst, ihre Parole und Ziele im Bundesgebiet propagandistisch durch getarnte Organisationen, Vereinigungen, Komitees, Ausschüsse, Arbeitskreise und dergl. verbreiten zu lassen. Nachdem anlässlich des Parteitages der SED vom 20. – 24. Juli d. J. der Generalsekretär der SED, Ulbricht, offen ausgesprochen hat, dass es das Ziel der SED ist, über die von ihr gesteuerten Organisationen die demokratischen Verhältnisse in der Bundesrepublik zu untergraben und den „Nationalen Widerstand“ gegen die Bundesrepublik zu organisieren, steht fest, dass die Tätigkeit dieser Vereinigungen, Arbeitskreise, Komitees und so weiter auf eine Untergrabung und Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung gerichtet und als ein Angriff auf die demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 133 Abs. 1 der Landesverfassung zu werten ist. Auch rechtsradikale Organisationen bemühen sich, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu untergraben.

Eine Betätigung für Organisationen der vorgenannten Art ist mit der Bekleidung eines öffentlichen Amtes unvereinbar. (…) Als Unterstützung solcher Bestrebungen ist u.a. auch die Mitgliedschaft in den eingangs näher bezeichneten Organisationen zu werten, da z. B. bereits die Zahlung eines Beitrages an solche Organisationen eine Unterstützung bedeuten kann. (…)

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Verstoß gegen die Treuepflicht vorliegt, wenn der Bedienstete nach der Veröffentlichung des Erlasses des MdI (Ministeriums des Innern, Erg. d. Verf.) betr. Staatsfeindliche Betätigung von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes vom 18. August 1950 (181-01), der zufolge der eingangs erwähnten Erklärung des Generalsekretärs der SED, Ulbricht, herausgegeben wurde, seine Betätigung für Organisationen der vorerwähnten Art fortgesetzt hat.

Hat der Bedienstete nach diesem Zeitpunkt seine Verbindung zu diesen Organisationen oder Bestrebungen gelöst, so ist zu prüfen, ob die Lösung nicht etwa nur aus Tarnungsgründen erfolgt ist. (…)“


Abschließend heißt es dann in dem Erlass, die nachgeordneten Behörden würden angewiesen, zwecks Durchführung dieses Erlasses in ihrem Bereich in geeignet erscheinender Weise eine Überprüfung des gesamten Personals vorzunehmen“ sowie: „wird nicht im Ministerialblatt veröffentlicht.“

Dies war der erste „Radikalenerlass“. Er traf vor allem aktive kommunistische Antifaschisten, die – wie Hugo Salzmann – schon gegen den aufkommenden Nationalsozialismus gekämpft hatten, dann hatten fliehen müssen, gegen den Nationalsozialismus im Westen gekämpft hatten und nach der Befreiung zum Aufbau des anderen, besseren Deutschlands zurückgekehrt waren.

Einer von ihnen war der Jurist, Jude und Kommunist Alphonse Kahn. Er war als Oberregierungsrat Referent in der Entschädigungsabteilung des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr und gleichzeitig Leiter des Landesamtes für Wiedergutmachung sowie Richter am Landesentschädigungsgericht Rheinland-Pfalz. Kahns Klage gegen seine Entlassung wies das Landesverwaltungsgericht, wie das heutige Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz damals noch hieß, wiederum mit dem Hinweis auf die Rede Ulbrichts auf dem Parteitag der SED und auf die tatsächliche Entwicklung der politischen Verhältnisse in den Ländern hinter dem eisernen Vorhang ab. Diese zeige – so das Urteil weiter - wohin die in den Propagandaschriften und Reden von der KP dauernd propagierte Freiheit und Demokratie in Wahrheit führe und dass das Bekenntnis für diese Art von Freiheit und Demokratie in Wirklichkeit eine völlige Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung darstelle. Das war das erste Berufsverbot seit 1945.
(Urteil vom 11. Dezember 1951 – 2 LVG 222/51 -)

Am 26. Juni 1951 wurde dann mit Beschluss der Bundesregierung die FDJ in Westdeutschland in der gesamten Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes (betr. Vereinsverbote) verboten. Zur Begründung hieß es, sie sei von der SED abhängig und arbeite eng mit der KPD zusammen. (Das Verbot wurde mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juli 1954 bestätigt.) 

Mit einer ähnlichen Begründung wurde die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in einigen Bundesländern und dann auch in der gesamten Bundesrepublik verboten. Allerdings hatte das Verbot nur in Rheinland-Pfalz Bestand.

Noch im Jahr 1951 – an 22. November 1951 – beantragte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD. Die Antragstellung war von Beginn des Verfahrens an umstritten. Eine Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland durch „den“ westdeutschen Kommunismus hat es nie gegeben. Die „kommunistische Gefahr“ war ein Schreckgespenst, das wohl durch die Teilung Deutschlands Auftrieb erhalten hatte. Bezeichnend war, dass die kommunistischen Parteien in West- und Südeuropa generell nicht verboten waren. Mit dem Verbotsantrag zog die Bundesregierung gleich mit den Diktaturen Spanien und Portugal und wie auch mit Griechenland. Kritische Stimmen fragten schon damals, ob es nicht eher schädlich sei, eine bereits marginalisierte Gruppierung zu verbieten und auf diese Weise politische Märtyrer zu schaffen. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zog sich jahrelang hin – nicht weil es dem Gericht verfassungsrechtlich sehr problematisch erschien, sondern weil man es für politisch wenig opportun hielt.  Schließlich war die KPD Anfang der 1950er Jahre in den allermeisten westdeutschen Landtagen nicht mehr vertreten und auch nach den Wahlen im Jahr 1953 nicht mehr im Deutschen Bundestag präsent.

 

Politisches Strafrecht gegen Kommunisten.

 

Während das KPD-Verbotsverfahren gerade erst angelaufen war, griff bereits eine andere Maßnahme gegen die Kommunisten: das am 30. August 1951 erlassene (Erste) Strafrechtsänderungsgesetz. Es hatte eine breite Zustimmung im Deutschen Bundestag – auch bei den Sozialdemokraten – gefunden, im Wesentlichen hatten nur die wenigen Abgeordneten der KPD dagegen gestimmt. Das Gesetz regelte vor allem die Strafvorschriften wegen Hochverrat, Staatsgefährdung und Landesverrat. Es enthielt also das seit dem Untergang des NS-Strafrechts fehlende politische Strafrecht. Dabei verlagerte es den strafrechtlichen Schutz des Staates sehr weit nach vorn. Besonders weit ging der neue § 90a des Strafgesetzbuches. 

§ 90a des Strafgesetzbuchs:

„(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, oder wer die Bestrebungen einer solchen Vereinigung als Rädelsführer oder Hintermann fördert, wird mit Gefängnis bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt werden. Daneben kann Polizeiaufsicht zugelassen werden.

(3) Ist die Vereinigung eine politische Partei im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so darf die Tat erst verfolgt werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die Partei verfassungswidrig ist.“


Damit war alles verboten, was die KPD und ihre Ziele unterstützte und förderte. Strafbar war das bloße Plakate kleben für die KPD oder die Äußerung von Ansichten, die auch von den Kommunisten vertreten wurden. Dabei musste man noch nicht einmal Kommunist sein, um bestraft zu werden. Allein zwischen 1953 und 1958 gab es 46.476 Ermittlungsverfahren in politischen Strafsachen. Die meisten Verfahren betrafen KPD-Anhänger. Diese Ermittlungen führten zu „nur“ 1.905 Verurteilungen. Dabei sprach das Missverhältnis weniger für die Milde der Justiz als vielmehr für den Eifer der Ermittler. Dies vergiftete naturgemäß das politische Klima ganz erheblich. In der öffentlichen Meinung waren die KPD und ihre Anhänger bereits „verurteilt“ – auch wenn das Verbot der KPD durch das Bundes- verfassungsgericht noch Jahre auf sich warten ließ. 

Selbst der „Kronjurist“ der SPD-Bundestagsfaktion, Dr. Adolf Arndt, der 1951 für das Strafrechtsänderungsgesetz gestimmt hatte, übte einige Jahre später (nach dem KPD-Verbotsurteil) Kritik an der sich entwickelnden Strafpraxis – wobei er die Schuld weniger beim Gesetzgeber als bei den Gerichten sah, die dieses Gesetz anwandten.

SPD-Politiker Dr. Adolf Arndt zur Bestrafung nach dem Strafrechtsänderungsgesetz:

„Gesetze solcher Art, wie sie damals 1950/51 beschlossen sind, sind notwendig. Die moderne Demokratie ist militant und muss sich auch schon im Vorfeld – das heißt: ihre Freiheiten - verteidigen. Gesetze werden notwendigerweise abstrakt abgefasst; es kommt also darauf an, wie man sie handhabt. Leider geht da die Rechtsprechung viel zu weit. Dort liegt der entscheidende Punkt. Verboten ist ausschließlich die KP als Organisation. Infolgedessen darf nur strafbar sein und ist auch nach meiner Überzeugung nur strafbar, wer ein Organisationsdelikt begeht, das heißt sich daran begibt, die im Untergrund illegal befindliche Kommunistische Partei wieder zu reorganisieren. 

Leider hat die Rechtsprechung aber jede Unterstützung oder Förderung der Kommunistischen Partei für strafbar angesehen, also weit über das Verbot hinaus. Denn es ist nicht verboten in Deutschland, Kommunist zu sein, und es ist nicht verboten, sich kommunistisch zu äußern. Es ist auch nicht verboten, zu kommunistischen Veranstaltungen ins Ausland zu fahren; das würde durchaus gegen den freiheitlichen Charakter unserer Demokratie sein.

Aber eine Rechtsprechung, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, hält das für strafbar. Infolgedessen laufe ich jetzt schon Gefahr, dass, wenn ich das alles politisch kritisiere, ich mich damit objektiv einer angeblichen Förderung der KP schuldig mache. Sehen Sie, das bedroht unser aller Freiheit.“
(zitiert nach: Lutz Lehmann: Legal und opportun, a.a.O., S.109 (Diskussionsbeitrag)


Da half es auch wenig, dass das Bundesverfassungsgericht zehn Jahre später mit Urteil vom 21. März 1961 § 90a des Strafgesetzbuchs für verfassungswidrig erklärte, soweit er das Gründen und Fördern politischer Parteien mit Strafe bedroht hatte. Außerdem setzte es den Absatz 3 vollends außer Kraft, weil er das durch die Verfassung besonders geschützte Privileg politischer Parteien verletzte. So richtig die Entscheidung auch war, so kam sie doch viel zu spät. Zehn Jahre lang hatte dieses verfassungswidrige Gesetz seine repressive und disziplinierende Wirkung erfüllt.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 21. März 1961, BVerfGE 12, S. 296 – 308 – Leitsätze -:

„1. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen. Insofern kommt dieser Entscheidung konstitutive Bedeutung zu.
2. Das in erster Linie die Parteiorganisation schützende Privileg des Art. 21 Abs. 2 GG erstreckt sich auch auf die mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitende parteioffizielle Tätigkeit der Funktionäre und Anhänger einer Partei. Ihre Tätigkeit ist durch das Parteienprivileg auch dann gestützt, wenn ihre Partei durch eine spätere Entscheidung des BVerfG für verfassungswidrig erklärt wird.
3. Die Rechtsordnung kann nicht ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die verfassungsrechtlich eingeräumte Freiheit, eine Partei zu gründen und für sie im Verfassungsleben zu wirken, nachträglich als rechtswidrig behandeln.“


Es ist erstaunlich, dass gegen Hugo Salzmann zunächst kein Ermittlungsverfahren dieser Art eingeleitet wurde – obwohl zum Beispiel seine Aktivitäten im Zuge der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik aus der Sicht der Behörden hätten Anlass geben können. Das gilt auch mit Blick darauf, dass er schon bald regelmäßig seinen Vater in Mylau besuchte. Offensichtlich ist es ihm in all dieser Zeit gelungen, den privaten Charakter der Besuche zu dokumentieren.

 

Sohn Hugo bekommt Probleme.


Bekannt ist lediglich, dass im Sommer 1951 ein Verfahren „wegen verfassungsmäßiger politischer Tätigkeit“ eingeleitet, dies dann aber vom Oberstaatsanwalt Bad Kreuznach mit Verfügung vom 14. August 1951 „mangels Beweises“ eingestellt wurde. Näheres dazu ist nicht bekannt und auch nicht zu ermitteln. Nach den gesamten Umständen spricht viel dafür, dass dieses Verfahren nicht Hugo Salzmann senior sondern seinen gleichnamigen Sohn betroffen hat. Denn in Hugo Salzmanns Nachlass findet sich nur die Mitteilung über diese Einstellung, jedoch keine weiteren Informationen. Diese wären aber sicherlich angefallen und/oder von ihm hergestellt worden, wenn das „sein“ Verfahren gewesen wäre. So hat er lediglich unter seinem Namen und seiner Adresse diese Post entgegen genommen und abgeheftet, ohne damit viel zu verbinden.

Tatsächlich ging es in dem Ermittlungsverfahren wohl um seinen bei ihm wohnenden Sohn Hugo, wie sich aus den weiteren Umständen und späteren Schwierigkeiten, die man ihm machte, anzunehmen ist.

Hugo Salzmann junior war nämlich als FDJler dem Aufruf der kurz zuvor in der Bundesrepublik als verfassungsfeindlich verbotenen FDJ gefolgt, an den ersten Weltfestspielen der Jugend und Studenten in (Ost-)Berlin vom 5. bis 19. August 1951 teilzunehmen. Ohne die erforderliche Ausreisegenehmigung zu besitzen, machte sich Hugo Salzmann junior mit einer Gruppe Jugendlicher auf, nach (Ost-)Berlin zu gelangen. Obwohl sie schon den Zug mieden und zu Fuß die Grenze zur DDR überqueren wollten, wurden sie von den zahlreichen eingesetzten Polizeibeamten an der Grenze gestellt und dann in ihre Heimatorte zurückgeschickt. 

Kaum war Hugo Salzmann junior nach Bad Kreuznach zurückgekehrt, hatte dieser „illegale Grenzübertritt“ die ersten Wellen geschlagen. Dabei war das erwähnte Ermittlungsverfahren, das ersichtlich ihm galt, noch recht „harmlos“, wurde es doch kurz darauf „mangels Beweises“ eingestellt. 

 Hugo Salzmann junior, Anfang der 1950er Jahre (Quelle: privat)

Schwerwiegender war, dass der Vorfall seinem Arbeitgeber, dem Bürgermeister von Bad Kreuznach, gemeldet wurde. Angesichts der zuvor erwähnten Erlasse, insbesondere des Erlasses der Landesregierung vom 27. September 1950, konnte man dies als eine staatsfeindliche Betätigung für die inzwischen verbotene FDJ werten. Damit stand das Lehrverhältnis zwischen Hugo Salzmann junior zur Stadt Bad Kreuznach zur Disposition. Dieser Sachverhalt findet aber erstaunlicherweise keinen Niederschlag in der Personalakte des Sohns. Daraus wird man vermuten können, dass die Stadt kein größeres Interesse daran hatte. Sicherlich auch dem Vater zuliebe, der sich für seinen Sohn verwandt haben dürfte, hoffte man, die Angelegenheit im Sande verlaufen zu lassen. So kam es dann auch. Hugo Salzmann junior konnte seine Lehre bei der Stadtverwaltung Bad Kreuznach zu Ende führen.

Trotz allem sollte Sohn Hugo der „illegale Grenzübertritt“ noch nachteilig sein. Das geschah in einem Vorgang, in dem man das ursprünglich gar nicht vermutete – im Rahmen der Beantragung eines Reisepasses.

Am 6. Juni 1952 beantragte Hugo Salzmann junior die Ausstellung eines Reisepasses für das In- und Ausland, insbesondere für eine Urlaubsreise nach Österreich, um dort seine Tante und langjährige „Ersatzmutter“ Ernestine zu besuchen. Dies wurde vom Landrat nach dem neuen Passgesetz mit der Begründung abgelehnt, er sei Mitglied der inzwischen verbotenen FDJ gewesen und das rechtfertige die Annahme, er werde als Inhaber eines Reisepasses die innere und äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Dem daraufhin erhobenen Widerspruch gab der Kreisrechtsausschuss statt. Dessen Auffassung nach gelte die beabsichtigte Reise einem Verwandtenbesuch in Österreich, demgegenüber sei seine frühere politische Tätigkeit in der nunmehr aufgelösten FDJ nicht geeignet, ihm den Reisepass zu versagen. 

Gegen diese Entscheidung des Kreisrechtsausschusses erhob der Regierungspräsident/die Bezirksregierung in Koblenz zum Verwaltungsgericht Koblenz die so genannte Beanstandungsklage. Damit sollte die ablehnende Entscheidung des Landrats wieder hergestellt werden. Während des gerichtlichen Verfahrens wurden aus – wie es hieß – „ Quellen des geheimen Nachrichtendienstes“ bekannt, dass Hugo Salzmann junior noch nach dem Verbot der FDJ im September 1950 aktiv dort mitgearbeitet hatte. Außerdem wurde der versuchte illegale Grenzübertritt zu den Weltjugend- festspielen in das verwaltungsgerichtliche Verfahren eingeführt.

Mit Urteil vom 14. Januar 1953 (1 K 239/52) gab das Verwaltungsgericht der Klage des Regierungspräsidenten/ der Bezirksregierung statt, hob die Entscheidung des Kreisrechtsausschusses auf und beließ es damit bei der Versagung des Reisepasses. Zur Begründung heißt es: Der Versagungsgrund des § 7 des Passgesetzes sei hier gegeben. Als Inhaber eines Reisepasses werde Hugo Salzmann junior die innere und äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Dafür spräche seine Mitgliedschaft in der in Westdeutschland als staatsfeindlich aufgelösten FDJ sowie auch die versuchte Teilnahme an den Weltjugendfestspielen, „einer von kommunistischen Ideologie getragenen Veranstaltung“ in Berlin am 5. bis 12. August 1951. Weiter heißt es wörtlich:

Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 14. Januar 1953 zur Versagung des Reisepasses an Hugo Salzmann junior:

„Es spricht nichts dafür, dass Salzmann sich etwa in der Zwischenzeit von den sich zweifellos aus seiner Zugehörigkeit zur aufgelösten FDJ ergebenden Bindungen zu den von außen, d.h. außerhalb Westdeutschlands, gelenkten kommunistischen Organisationen und Tarnorganisationen gelöst hat, vielmehr ist nach der allgenmeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass Erziehung und Einfluss des Elternhauses auch auf das politische Denken und Handeln des Jugendlichen von entscheidender Bedeutung geblieben sind, zumal da, wie hier, (sein) Vater als alter kommunistischer und exponierter politischer Funktionär der KPD im Kreise Kreuznach bekannt ist. 

Bei dieser vom Kreisrechtsausschuss nicht gewürdigten Sachlage unterliegt es nach der Auffassung des Gerichts schon im Hinblick auf die erhebliche Intensität und Aktivität der kommunistischen Funktionäre keinem Zweifel, dass u.a. auch politische Intentionen des Vaters, in dessen Haus (Salzmann junior) wohnt, für diesen Jugendlichen auf seiner Auslandsreise bestimmend sein würden, umso mehr, als dieser im Jahre 1951 zweimal in renitenter Weise bestrebt war, an einer offensichtlich gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichteten kommunistischen Veranstaltung in Ost-Berlin teilzunehmen.

Das politische Hervortreten (von Salzmann junior) in der Vergangenheit sowie die häusliche politische Erziehung rechtfertigen somit vollauf die Annahme des (...) Landrats, dass Salzmann junior gelegentlich seiner beabsichtigten Auslandsreise durch sein Verhalten die innere und äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik stören werde.“


Unter diesen Umständen half Hugo Salzmann junior auch nicht der Hinweis, er wolle den Reisepass für einen Besuch seiner Angehörigen in Österreich benutzen, um diese, vor allem seine Tante und jahrelange „Ersatz-Mutter“ Ernestine, nach vielen Jahren wieder zusehen. 

 

Hugo Salzmann bleibt sich und seiner Linie treu.



Während man so viele Kommunisten, die in der NS-Zeit Verfolgung erlitten hatten, kriminalisierte und ausgrenzte, integrierte man NS-Täter und Mitläufer in den neuen Staat und baute mit vielen von ihnen Verwaltung und Justiz wieder auf. Ein Großteil machte sofort an den alten Arbeitsplätzen weiter. Andere, die aufgrund der Entnazifizierung aus ihren früheren Positionen im Staatsdienst entlassen worden waren, drängten auf Wiedereinstellung. Hinzu kamen Tausende von Beamten, die durch die Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten und den von Hitler-Deutschland besetzten Territorien ihre Posten verloren hatten. Für die letzteren, oft schwer Belasteten, hatte schon das Grundgesetz von 1949 eine „Verheißung“: In Artikel 131 verpflichtete der Verfassungsgeber den einfachen Gesetzgeber, eine Regelung über die Wiederbeschäftigung und Versorgung der Beamten zu erlassen, die 1945 aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen hatten ausscheiden müssen.

Im Mai 1951 kam der Bundestag diesem Verfassungsauftrag nach und beschloss – auch mit den Stimmen der SPD – das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131). Dieses Gesetz verpflichtete die öffentlichen Arbeitgeber, 20 Prozent ihrer Planstellen für die Einstellung dieses Personenkreises der „131er“ zu verwenden. Damit erhielten auch etwa 150.000 Personen ihre Versorgungsansprüche und Arbeitsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst zurück, die im Zuge der Entnazifizierung ihr Amt verloren hatten. – Bald hieß es mit Blick auf die 1945 befreiten Antifaschisten – zu Recht -: „Die ‚131er‘ haben über die ‚45‘ gesiegt.“

Von allem ließ sich Hugo Salzmann aber nicht wirklich entmutigen. Er blieb sich und seiner Linie treu – geradlinig, wie er zu sagen pflegte. 

 Hugo Salzmann, Anfang der 1950er Jahre (Quelle: privat)

Weiterhin war er vor Ort, in seiner Heimatstadt Bad Kreuznach, der große Kümmerer, der die Not und das Elend der Menschen kannte und der ihr Schicksal und ihre Lebensbedingungen verbessern wollte. Exemplarisch deutlich wird dies etwa bei einer Besichtigung der Baracken an der Lindenallee im Herbst 1950. Dabei stellte Salzmann das noch anzutreffende Elend fest und setzte sich für Verbesserungen ein. In seinem Protokoll heißt es u.a.:

Besichtigung der Baracken an der Lindenstraße:

„Sp. (Name anonymisiert, Erg. d. Verf.): Es wohnen in zwei kleinen Räumen 8 Personen. Hierbei wohnt die geschiedene Frau H. (Name anonymisiert, Erg. d. Verf.), die mit ihrer 14jährigen Tochter und ihrem 16jährigen Sohn in einem Bett schläft. Ich hatte schon dieserhalb Mitteilung an den Bürgermeister und das Wohnungsamt gemacht. Dach ist undicht. Es regnet in das Bett. DM 6,50 wird für Miete von der Wohlfahrtsunterstützung in Abzug gebracht.

K. M. (Name anonymisiert, Erg. d. Verf.): 4 erwachsene Personen – 2 Räume. Mann – Frau – Tochter 30 Jahre alt – Sohn 26. Letzterer ist vor 8 Monaten aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und schläft wegen Platzmangel im Keller mit seinem Neffen auf dem blanken Zementboden vor einem Haufen Kohlen. Als Lagerstatt hat er lediglich einen einfachen Strohsack. Im Keller selbst keine Lichtzufuhr, nass, dumpfig. Untragbare Verhältnisse.

L. S. – D. (Name anonymisiert, Erg. d. Verf.): Ein abgemittelter Raum, sauber, insgesamt 2 Familien mit 4 Kindern., 8 Monate bis 7 Jahre. Elektrische Leitung funktioniert nicht, wie in den meisten angeführten Fällen. Dadurch, dass die Holzbaracken durch Regen durchnässt sind, besteht jederzeit leicht die Gefahr eines Brandes infolge Kurzschlusses.

B., M. (Name anonymisiert, Erg. d. Verf.): 4 Kinder, lebt mit einem Mann zusammen. Frau besitzt ein Pferd – ohne Gewerbe. Provisorischer Pferdestall. „Stall Bethlehem“. 

Familie L. (Name anonymisiert, Erg. d. Verf.): 5 Kinder im Alter von 1 bis 12 Jahren, zwei Räume. Die Wohnung ist zum Teil mit Brettern als Wände zugenagelt, da gehen Sturm und Regen durch. Familie L. musste die so genannte Wohnung noch mit einem Flüchtling K. (Name anonymisiert) teilen, der den „Wohnraum“ mit einem Lattengestell abteilte, in dem mindestens 20 voll gestopfte Säcke, Pappschachteln gefüllt mit alten Knochen, Lumpen usw. aufbewahrt sind. In diesem lebensgefährlichen Raum ist eine richtige Rattenzucht, daher große Gefahr für Krankheitsübertragungen. In einem Hasenstall hat der Flüchtling eine erwachsene Ziege untergebracht. Das Tier muss ständig mit den Knien auf dem Boden liegen.“


Abschließend hielt Hugo Salzmann zu einer Baracke, dem Kinderhort und dem Auslauf der Abwasser fest:

„Die Baracke selbst ist nicht mehr wert, als dass alles auszieht und diese dann angesteckt wird, damit alle Krankheitskeime erstickt werden. Die Verhältnisse im Kinderhort sollen geändert werden: Wasseranlage, elektrische Leitung, Klosett-Verhältnisse. Der Auslauf der Abwasser in das städtische Straßennetz ist vollständig versumpft, verschlammt; ein Herd für Mücken, sehr gesundheitsschädlich.“  


Weiter kämpfte Hugo Salzmann dafür, dass NS-Täter für ihre Taten zur Verantwortung gezogen wurden. So stellte er im Jahr 1951 einen Strafantrag gegen den ehemaligen NS-Kreisleiter Ernst Schmitt wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Sein Vorwurf richtete sich dahin, Schmitt habe seinerzeit bei der Vichy-Regierung einen Antrag gestellt, dass er – Hugo Salzmann – an die Gestapo ausgeliefert werden solle. Begründet hätte dies Schmitt  mit einer Sabotage Salzmanns 1933 im Betrieb Ost & Scherer in Bad Kreuznach - das wollte Salzmann bei seiner Vernehmung bei der Gestapo in Koblenz erfahren haben.  Die daraufhin durchgeführte Zeugenvernehmung hat diese Darstellung aber nicht bestätigt. Daraufhin ist das Verfahren mangels Beweises eingestellt worden. 

Zur gleichen Zeit stellte Hugo Salzmann Strafanzeige gegen den ehemaligen SA-Obersturmbannführer Christian Kappel ebenfalls wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Ihm warf Salzmann  die Misshandlung der jüdischen Familie Baruch in der Johannisnacht 1935 vor. Eine weitere Anschuldigung lautete dahin, Kappel habe als SA-Sturmbannführer 1944 Ausländer in der Umgebung von Bad Kreuznach aufgehängt. In einem Fall soll er einen Polen, der bei dem Fuhrunternehmer Philipp Dillmann, Bad Kreuznach, Rüdesheimer Straße, beschäftigt gewesen sei und der mit einem bei Dillmann beschäftigten deutschen Dienstmädchen Geschlechtsverkehr gehabt habe, im Heddesheimer Steinbruch aufgehängt haben. Dazu gab Salzmann weiter an, die auf dem städtischen Lagerplatz als Arbeitskolonne untergebrachten und die im Kreis beschäftigten ausländischen Arbeiter hätten bei der Hinrichtung zuschauen müssen. Damit sie nicht fortliefen, seien sie mit einem Maschinengewehr in Schach gehalten worden. Zwei Polen hätten später gar ausgesagt, Kappel habe nach der Hinrichtung des Polen dem Erhängten mit einem Glas Wein noch zugeprostet. Das Verfahren wurde nicht weiter betrieben, weil Kappel bald darauf starb.

Mit großem Interesse und mit starker Emotion verfolgte Hugo Salzmann auch das Verfahren gegen die Denunziantin seiner im Konzentrationslager umgekommenen Frau Julianna, Lucie Marquise de Villevert, geborene Minna Otto. Sie war inzwischen aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt. Aber man zog sie nicht etwa zur Verantwortung für ihre Spitzeltätigkeit bei der Gestapo, die nicht nur Julianna Salzmann ins KZ brachte, sondern vielmehr war es genau umgekehrt. Die Villevert strengte gegen das Land Rheinland-Pfalz einen Zivilprozess an, bei dem es um die Rückerstattung von Vermögenswerten in Höhe von 1 ½ Millionen D-Mark ging. Zur Begründung machte sie geltend, die u.a. ihr gehörenden Rheinkaolin-Werke in Oberwinter und (Bonn-)Beuel sowie die Kaolingruben in Oberwinter seien am 18. Juni 1941 von der Gestapo beschlagnahmt und eingezogen und sie verhaftet worden, weil sie eine Gegnerin des NS-Regimes gewesen sei. Man habe ihr staatsfeindliche Betätigung vorgeworfen und sie ihres Vermögens beraubt. Dies stellte nun die Wahrheit auf den Kopf: Sie, die Denunziantin und Gestapo-Agentin, die politische Gefangene ans Messer geliefert hatte, behauptete nun, eine NS-Gegnerin gewesen zu sein und verlangte auch noch eine Rückerstattung in Höhe von 1 ½ Millionen D-Mark. 

Es war nur konsequent, dass Hugo Salzmann, als er von diesem Verfahren erfuhr, alle Hebel in Bewegung setzte, um das Verwerfliche dieser Taten und dieser Frau öffentlich zu machen und auch ein Strafverfahren gegen die Gräfin de Villevert zu initiieren. Eine sehr wichtige Rolle in einem derartigen Strafverfahren hätte der damalige Gefängnispfarrer Paul Fechler spielen können. Denn er kannte deren Machenschaften und hatte Hugo Salzmann seinerzeit im Koblenzer Gefängnis davon erzählt. Das Problem war aber wohl seine Schweigepflicht als Seelsorger. In einem Schreiben, das in einer Tageszeitung veröffentlicht wurde, appellierte Hugo Salzmann an den inzwischen zum Diözesan-Caritasdirektor und Monsignore ernannten Paul Fechler und an die Staatsanwaltschaft mit folgenden Worten:

Aufforderung Hugo Salzmanns zu Aussage und Ermittlungen gegen die Marquise de Villevert:

„Aber Herr Gefängnispfarrer, Sie wissen viel aus Ihrer damaligen Tätigkeit. Hier ist das Gelübde des Schweigens nicht angebracht. Herr Pfarrer Fechler war in damaliger Zeit ein Pfarrer mit Mut. Er wagte es, als ich die Anklageschrift des Volksgerichtshofs zugestellt bekam, die auf Hochverrat lautete, sie mit aus der Zelle zu nehmen, um mit Rechtsanwälten über die Anklagepunkte zu sprechen. Anderntags brachte er sie zurück. Herrn Pfarrer Fechler hätte diese Tat bei einer Zellenkontrolle zumindestens KZ kosten können.

Ich appelliere an ihn, da die Staatsanwaltschaft aufgrund dieses Berichtes Anklage erheben muss, den Mut von 1940 erneut zu beweisen, um eventuell, wenn diese Marquise de Villevert identisch ist mit der „Agentin de Villevert“, zu helfen, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt. Unserem Gewissen, den Opfern des Faschismus, den Millionen Toten sind wir es schuldig. Bitte, Herr Staatsanwalt, Ihre Arbeit beginnt.“


Trotz dieses leidenschaftlichen Appells von Hugo Salzmann kam es zu keinem Strafverfahren gegen die Marquise. Das Zivilverfahren zog sich jahrelang über mehrere Instanzen hin. Die Klage blieb letztlich erfolglos, nachdem das Oberste Rückerstattungsgericht in Rastatt die Revision der Marquise gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz von 1959 mit Urteil vom 19. Mai 1961 (Aktenzeichen ORG I/61) zurückgewiesen hatte.

 

Weiter Gewerkschafter und Stadtrat.

 

Hugos Salzmann war auch nach der zurückgenommenen Entlassung weiterhin als DGB-Gewerkschaftssekretär für Arbeits- und Sozialrecht tätig.

Ausweis des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)
– Landesbezirk Rheinland-Pfalz – für Gewerkschaftsfunktionäre, Nr. 004, um 1950 (Quelle: privat)

Jubilarenehrung und Weihnachtsfeier der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden in Bíngen, Weihnachten 1952 (Quelle: privat)

Auch kommunalpolitisch war Hugo Salzmann weiter aktiv. Während die KPD weder bei den Wahlen am 29. April 1951 den Wiedereinzug in den rheinland-pfälzischen Landtag (mit 62.483 Stimmen = 4,3 Prozent), noch bei den Wahlen am 9. November 1952 den Wiedereinzug in den Kreistag Bad Kreuznach (mit 2.127 Stimmen = 3,6 Prozent) noch bei den Wahlen am 6. September 1953 den Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag (mit 607.860 Stimmen = 2,2 Prozent) schaffte, gelang der Kreuznacher KPD und Hugo Salzmann immerhin ein Achtungserfolg, der sie wenigstens vor Ort weiter aktiv bleiben ließ. Bei den Stadtverordnetenwahlen am 9. November 1952 verlor die Kreuznacher KPD zwar einen Sitz, sie brachte es aber immerhin auf zwei Stadtverordnete, einer von ihnen war Hugo Salzmann.

Veranstaltung des DGB am 1. Mai 1951 (Quelle: privat)


Der frühere Redakteur Richard Walter erzählt von Hugo Salzmann als Stadtrat :

 

 

Der frühere Redakteur Richard Walter erzählt von Hugo Salzmann als  Mitglied des Kreistags:

 

Die Kreistagsmitglieder mit Landrat Gräff vor dem alten Landratsamt in der Salinenstraße (1952).
Das Gebäude wurde in den 1970er Jahren abgerissen. (Quelle: privat)

 

Die Stadtverordneten mit Oberbürgermeister Dr. Jungermann
bei der Besichtigung des Standorts für die neue Berufsschule in der Rheingrafenstraße (Quelle: privat)

 

Hugo Salzmann junior „macht rüber“

 

Anfang der 1950er Jahre hatte sich ein Deutschland zu etablieren begonnen, das Hugo Salzmann und seine Genossen so nicht gewollt hatten: Eine wirkliche Entnazifizierung hatte nicht stattgefunden. Bis in die höchsten Spitzen von Staat, Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft saßen viele der ehedem mehr als 8 Millionen Nazis, mehrere hunderttausend für den Tod ihrer Mitmenschen Verantwortlicher waren unbehelligt geblieben, ungezählte Schreibtischtäter saßen wieder an ihren Schreibtischen. Aber: Es war zu keinem politischen oder bürokratischen Chaos gekommen. In wenigen Jahren etablierte sich eine stabile Demokratie mit einer hohen Wahlbeteiligung und klaren Mehrheiten, eine funktionsfähige Regierung und loyale Beamte. Bundeskanzler Adenauer hatte sein Hauptziel erreicht: „Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb.“

Wenn Hugo Salzmann diese Entwicklung auch sehr bedauert hatte, so hatte er sich in diese Verhältnisse mittlerweile doch hineingefunden, um nicht zu sagen arrangiert. Es blieb ihm ja auch kaum etwas anderes übrig. Bad Kreuznach war seine Heimat, hier hatte er seine Familie, seine Arbeit, seine Freunde, sein Haus. Wo wollte, wo sollte er auch hin? Etwa in die DDR? In den ersten „Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“? Nein, das war keine Alternative für ihn. Im Übrigen: Die Zu- und Abwanderung  verlief auch eher in die andere Richtung: von Ost nach West.


Übersiedler/Flüchtlinge aus der DDR und dem Ostsektor von Berlin 1949 bis 1956:

Es gab aber auch eine Wanderungsbewegung von West nach Ost – wenn auch in sehr viel geringerem Umfang und vielfach aus einer anderen Motivation. Manche dieser DDR-Zuwanderer kamen aus Pflichtgefühl, wie beispielsweise der Pfarrer Horst Kasner, der Vater der heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihn hatte seine Kirche 1954 von Hamburg nach Brandenburg geschickt. Andere gingen in die DDR aus familiären Gründen oder weil sie ein Haus geerbt hatten. Literaten wie Peter Hacks oder Adolf Endler kehrten ebenfalls der Bundesrepublik den Rücken in Richtung Osten. Andere Intellektuelle und junge westdeutsche Linke, die sich in der Adenauer-Republik am laxen Umgang mit der braunen Vergangenheit und dem strammen Antikommunismus rieben, fühlten sich durch die Eigenwerbung der DDR als „antifaschistischer“, fortschrittlicher“ und „friedliebender“ Staat angezogen. Einer von ihnen war Wolf Biermann, Sohn eines in Auschwitz ermordeten kommunistischen Hafenarbeiters. Er ging 1953 als 17-Jähriger  von Hamburg nach Schwerin.

Ein anderer war - Hugo Salzmann junior. Er hatte inzwischen die Verwaltungslehre bei der Stadt Bad Kreuznach erfolg- reich abgeschlossen und war dort Verwaltungsangestellter geworden. Sein Vater hatte sich für seine Berufsausbildung und seinen Start in den Beruf sehr engagiert. Aber sonst hat es zwischen den alten und dem jungen Hugo nicht so richtig geklappt. Der Senior war weiterhin stark gewerkschaftlich und kommunalpolitisch engagiert. Da blieb ihm nicht viel Zeit für seine Familie. Und seine Familie war vor allem seine neue Familie, seine Frau Maria und seine Tochter Julianna. Sohn Hugo war nach langen Jahren der Trennung und der Verfolgung und des Heranwachsens bei seiner Tante Ernestine in der Steiermark ein wenig fremd geworden. Auch hatte sich Hugo junior – enttäuscht und notgedrungen – Gleichgesinnten in Bad Kreuznach weiter angeschlossen. Ein Indiz dafür war schon sein letztlich gescheiterter Versuch, im Sommer 1951 mit anderen FDJlern an den Weltjugendfestspielen in Berlin-Ost teilzunehmen. Im Übrigen darf man nicht übersehen, dass seit Großvater Peter seit dem Jahr 1933 in der Heimat seiner zweiten Frau, in Mylau im Vogtland, lebte und auch Hugos Tante Anni dort seit Jahren wohnte. 

Tatsächlich zog Hugo Salzmann junior, als er Ende 1953 „nach drüben machte“,  zu seinem Großvater Peter und seiner Frau und seiner Tochter Anni nach Mylau. 

 

Die DDR damals.

 

Das geschah offensichtlich mit viel Enttäuschung in Bad Kreuznach und mit viel Sympathie für die DDR – mit so viel, dass der gerade einmal 21 Jahre alte Hugo junior das ihn in der DDR erwartende Umfeld nicht wahrgenommen hatte. Denn inzwischen hatten sich die Verhältnisse in dem unter dem Einfluss der Sowjetunion stehenden Ostblock wesentlich verändert. Und das galt auch für die DDR.

Ungewollter Auslöser dieser Entwicklung waren die jugoslawischen Kommunisten unter Josip Tito. Sie hatten entscheidenden Anteil daran, dass das von Hitler-Deutschland besetzte Jugoslawien fast ausschließlich von der Partisanenarmee befreit wurde. Dadurch entwickelten die Kommunisten ein Selbstbewusstsein und eine relativ große Unabhängigkeit von der kommunistischen Führungsmacht Sowjetunion.

In dieser Eigenständigkeit Titos sah Stalin eine Gefahr für die Hegemonie der UdSSR. Dementsprechend wurde die kommunistische Partei Jugoslawiens aus dem Kominform, dem Zusammenschluss moskautreuer kommunistischer Parteien Osteuropas unter Führung der KPdSU, ausgeschlossen und Jugoslawien mit einem Wirtschaftsboykott belegt. 

Ein weiteres Mittel, den Einfluss Titos zurückzudrängen und ihn zu isolieren, waren Schauprozesse in den Staaten des Ostblocks. Mit ihnen sollten „Abweichler“ vom Kurs Stalins als „Titoisten“ diffamiert und kriminalisiert werden. Zugleich disziplinierten solche Prozesse die kommunistischen Parteien und deren Mitglieder im Ostblock. Einen besonderen Aspekt erhielten diese Prozesse, wenn man mit ihnen angebliche „Agenten des Imperialismus“ anklagen und verurteilen konnte. Hierfür boten sich natürlich eher frühere West-Emigranten als nach Moskau geflohene Kommunisten an. 

Zentrale Figur in diesen Schauprozessen gegen „Agenten des Imperialismus“ war der Amerikaner Noel H. Field. Field war während des Krieges in Frankreich und der Schweiz für eine christliche US-amerikanische Flüchtlings-Organisation (den Unitarian Service Committee – USC) tätig gewesen und hatte in dieser Eigenschaft gerade auch Hilfskontakte zu kommunistischen Emigrantengruppen aufgenommen. Insbesondere hatte sich Field um die Kommunisten im Konzentrationslager Le Vernet in Südfrankreich gekümmert und sie mit Lebensmitteln, Geld, Ausweispapieren und persönlichen Informationen versorgt. So hatten sich zwischen Field und ungarischen, deutschen, tschechischen und polnischen kommunistischen Emigranten auch persönliche Beziehungen entwickelt, die jedenfalls - was die deutsche Seite anbetraf - der Parteiführung ordnungsgemäß gemeldet waren. Nach dem Krieg kehrten viele dieser  Emigranten in ihre Heimatländer zurück und bekleideten hohe Partei- und Staatsämter. 

Aus dieser Situation heraus konstruierten die Sowjets und ihre Helfer in den einzelnen Ostblockstaaten, dass Field schon während des Krieges ein amerikanischer Spitzenspion hätte gewesen sein müssen. Nach dem Krieg habe er dann bei seinen Reisen und Kontakten in den Ostblock-Staaten als Gegenleistung für seine Hilfe diese Funktionäre als Agenten angeworben. Dementsprechend wurde Field im Jahr 1949 unter dem Verdacht, für den US-amerikanischen Geheimdienst zu arbeiten, in Prag festgenommen und nach Budapest verschleppt. Jahrelang blieb er im Gefängnis, ohne dass man ihm bis dahin und auch später den Prozess machte. Im Jahr 1954 wurde er aus der „Untersuchungshaft“ entlassen, weil sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als „haltlos“ erwiesen hatten. Er war – wie der Titel eines Dokumentarfilms über ihn lautet – „der erfundene Spion“. Noel H. Field  starb 1970 in Budapest. Noch während seiner Haft schrieb Field über seine Verhöre:

Noel H. Field über den Zweck seiner Verhöre:

„Das Hauptziel der Verhöre war nicht so sehr, mich selbst zu überführen (meine Schuld war als feststehend vorausgesetzt), sondern mich  - objektiv – zum Denunzianten meiner ‚Agenten‘ zu machen. (…)  Es genügte jeder nähere Kontakt mit mir als Verdachtsmoment. (…) Ich stand mit Dutzenden von Genossen der verschiedensten Länder in Freundschafts- oder Arbeitsbeziehungen. Von meiner Schuld oder Unschuld hing deshalb das Schicksal von 50  bis 100 Genossen ab.“ (zitiert nach: Bernd-Rainer Barth/Werner Schweizer (Hrsg.): Der Fall Noel Field, a.a.O., S. XV)


Als erste der Kontaktpersonen Noel Fields wurden der ungarische Innen- und spätere Außenminister László Rajk  und das ZK-Mitglied Tibor Szönyi sowie sechs weitere KP-Mitglieder und frühere Untergrundkämpfer  in Budapest wegen „Titoismus“ und Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdiensten angeklagt. Rajk, Szönyi und zwei weitere wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, die übrigen erhielten lebenslange und hohe Zuchthausstrafen. 

Kaum war der Rajk-Prozess abgeschlossen, beschloss das Sekretariat der SED Ende Oktober 1949, „die Genossen, die nach 1945 aus der westlichen Emigration oder Kriegsgefangenschaft in die SBZ zurückgekehrt waren, einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen. Sogleich bildete das Zentralkomitee der SED (ZK) der DDR eine Sondergruppe, die alle Kontakte deutscher Genossen zu Noel Field aufdecken sollte. Sehr früh ins Fadenkreuz der Zentralen Parteikontrollkommission  (ZPKK) geriet Maria Weiterer, die Lebensgefährtin Siegfried Rädels. Von Siegfried Rädel hatte sich Hugo Salzmann in Le Vernet schweren Herzens verabschiedet („Tief und ernst schaute er mir in die Augen: ‚Hugo, Du weißt, welchen Weg Du gehen musst. Ich weiß, Du bist standhaft. Ein schwerer Weg, Hugo, lieber Hugo.’“). Maria Weiterer hatte Hugo Salzmann kurz nach dem Krieg noch geschrieben: „Ich lebe, um sein Vermächtnis zu erfüllen: alle die toten Genossen zu rächen. Wir müssen unsere Partei so stark machen, dass sie allen Anstürmen der Reaktion für alle Zeiten widerstehen kann, so stark machen, dass wir den Sozialismus verwirklichen können. Wenn wir das getan haben, dann sind unsere teuren Toten gerächt. Daran arbeiten wir ja alle.“
  
Maria Weiterer denunzierte zu keiner Zeit Noel Field und seine Frau Herta, wusste sie doch, dass er alles versucht hatte, um Siegfried Rädels Leben zu retten. Für sie blieben die Eheleute Field – wie sie im Oktober 1949 an die ZPKK schrieb – Menschen, „die bereit waren, für unsere Genossen zu sorgen, soweit das in ihren Möglichkeiten lag, die sich auch persönlich einsetzten, wenn es not tat. Ich habe sie als ehrliche und aufrichtige Menschen kennen gelernt. (…) Jedenfalls verdanken viele Genossen aus der genannten Emigration Field und der Unterstützung, die durch ihn möglich wurde, Leben und Gesundheit. Ich persönlich hatte immer Gefühle der Dankbarkeit und Hochachtung für diese beiden Menschen.“

Wenn man die Westemigranten in der DDR ausschalten wollte, hätte es nahe gelegen, die beiden ranghöchsten Bekannten Fields innerhalb der SED – Franz Dahlem und Paul Merker - ihrer Ämter zu entheben und ihnen den Prozess zu machen. 

Paul Merker, Hugo Salzmanns guter Kamerad im Konzentrationslager Le Vernet, war 1942 die Flucht aus dem Lager und die Emigration nach Mexiko gelungen. Dann  war er 1946 in den Osten Deutschlands zurückgekehrt und hatte Karriere gemacht als Mitglied des Parteivorstands des Zentralsekretariats der SBZ und des Politbüros der SED, Abgeordneter des Brandenburger Landtages, Mitglied des Volksrats und der Provisorischen Volkskammer der DDR und seit 1949 als Staatssekretär im DDR-Landwirtschaftsministerium. 

Franz Dahlem war, bevor er wie Hugo Salzmann im September 1939 festgenommen und nach Le Vernet verschleppt worden war, Leiter des Auslandssekretariats in Paris und in dieser Funktion bis zum Kriegsbeginn nach dem Vorsitzenden Wilhelm Pieck der zweite Mann der KPD-Führung gewesen.

Wie Hugo Salzmann war er dann in das Geheimgefängnis in Castres verschleppt und von dort der Gestapo ausgeliefert worden. 

Zunächst kam er in Gestapohaft in Berlin, anschließend brachte man ihn ins KZ Mauthausen („Mordhausen“) in Niederösterreich. Dahlem war dort Mitglied des Lagerkomitees im Untergrund und wurde dann befreit. Schon bald nach der Rückkehr in den Osten Deutschlands war Dahlem Abgeordneter der Volkskammer und im ZK und im Politbüro des ZK der SED aktiv. Er war Leiter der Abteilungen für Personalpolitik, für Internationale Zusammenarbeit und der „Westabteilung“ und maßgeblich für die Aufrüstung in der DDR verantwortlich.

An beide, Merker und Dahlem, wagten sich die Sowjets und ihnen folgend Ulbricht und seine Gefolgsleute aber (noch) nicht heran. 

Unabhängig davon hatte sich das politische Klima in der DDR schon Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre wesentlich geändert. Die Zeichen standen auf Sturm. Deutlich wird dies u.a. an der Rede des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck, der auf dem III. Parteitag der SED am 20. Juli 1950 folgende Situationsbeschreibung abgab:

Rede des DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck über „Schädlingsarbeit“:

„Die anglo-amerikanischen Agenten und andere Verbrecher schrecken vor Diversionsakten, Brandstiftungen, Eisenbahnattentaten und Sabotageakten gegen unsere Volkswirtschaft nicht zurück. Die Regierung unserer Republik beantwortete diese feindlichen Anschläge mit der Schaffung des Ministeriums für Staatssicherheit, das berufen ist, die Schädlinge, Saboteure und Attentäter, alle Feinde unserer Republick zu fassen und unschädlich zu machen. (Beifall.)…

Unsere Volkspolizei, die Organe der Staatssicherheit und der Justiz sind weiter zu festigen. Es muss erreicht werden, dass sie mit dem Volk verbunden sind, auf die Signale der Werktätigen achten, sich in ihrer gesamten Tätigkeit auf das Volk stützen und sich dem Volke verantwortlich fühlen….

Gleichzeitig wurden aus der Partei viele Karrieristen, zersetzte und korrumpierte Elemente, die ihrer persönlichen Vorteile willen in die Partei gekommen waren,  und auch feindliche Agenten ausgeschlossen, die von imperialistischen Spionagediensten in unsere Reihen geschickt worden waren. Es versteht sich von selbst, dass die Vertreibung feindlicher Spione und parteifremder Elemente die Partei gefestigt hat…

Schädlingsarbeit auf dem Gebiet der Ideologie ist in gewissem Sinne gefährlicher als auf dem Gebiete der Wirtschaft. Durch sie wird versucht, die Partei vom richtigen marxistisch-leninistischen Wege abzubringen, ihre fremde Ansichten und Weltanschauungen aufzuzwingen.“  
(zitiert nach: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Geschichte der DDR, a.a.O., S. 22) 


Auf diesem Parteitag wurde auch das „Lied der Partei“ uraufgeführt. Es hatte den Refrain “Die Partei hat immer recht.“  Diese Hymne der SED war die „richtige“ Begleitmusik für die Verfolgung der Westemigranten und die stalinistischen Säuberungen.

Mit seiner Rede hatte Wilhelm Pieck nicht nur die Westemigranten gemeint, sondern u.a. auch den Stellvertretenden Vorsitzenden der westdeutschen KPD und Abgeordneten des Deutschen Bundestags Kurt Müller. Ihm machte die SED-Führung den Vorwurf, fortwährend Verbindungen zum Geheimdienst einer ausländischen Macht unterhalten und diesen über parteiinterne Angelegenheiten unterrichtet zu haben. Im März 1950 hatte man ihn durch ein Telefonat mit dem westdeutschen KPD-Vorsitzenden Max Reimann nach Ost-Berlin gelockt und – nach einem Gespräch mit dem Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK) der SED Walter Ulbricht – im ZK-Gebäude von Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes unter Missachtung seiner parlamentarischen Immunität verhaftet. 

Zeitweise wurde er vom damaligen Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Erich Mielke verhört. Nach einigen Monaten übergab man ihn dem sowjetischen Staatsicherheitsdienst MGB und überführte ihn in dessen zentrales Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. Im Jahr 1955 verurteilte ein Sondergericht in Moskau Müller in Abwesenheit zu 25 Jahren Haft. Ironie des Schicksals war es dann, dass er im Rahmen der Abmachungen des Bundeskanzlers Konrad Adenauers über die Entlassung von Kriegsgefangenen bald darauf aus der sowjetischen Haft in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren konnte. Nach seiner Freilassung beschwerte er sich bitter in einem Schreiben vom 31. Mai 1956  an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, auf das er nie eine Antwort erhielt.

Schreiben Kurt Müllers vom 31. Mai 1956 an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl HIER lesen
zitiert nach: Hubertus Knabe (Hrsg.): Gefangen in Hohenschönhausen, a.a.O., S.101 ff. 

Im August 1950 hatten der sowjetische Geheimdienst (das Ministerium für Staatssicherheit – MGB), der Geheimdienst der DDR (die „Stasi“) und die SED so lange daran gearbeitet, dass sie das Material zur Denunzierung und Kriminalisierung von Paul Merker, Maria Weiterer und anderer Westemigranten zusammengestellt hatten. Einen Tag vor der entscheidenden Sitzung des Zentralkomitees der SED wurde Maria Weiterer dann eröffnet, dass man sie wegen ihrer Kontakte zu Noel H. Field aus der SED und der VVN ausschließen werde. Daraufhin wandte sie sich  „in äußerster Bedrängnis“ an den DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck. In dem Brief heißt es u.a.:

Brief von Maria Weiterer vom 23. August 1950 an den DDR-Staatspräsidenten Wilhelm  Pieck: 

„Ich bin noch ganz fassungslos über diese Mitteilung. Seit 29 Jahren bin ich Mitglied der Partei und habe nur den Aufgaben, die die Partei mir stellte, gelebt. Mein ganzes Leben war den Interessen der Partei untergeordnet. (…)

Mir wird besonders die falsche Einschätzung Fields vorgeworfen, die beruhte auf dem Eindruck, den ich von ihm durch seine Hilfstätigkeit für unsere Genossen hatte. Hätte ich damals schon den Rajk-Prozess gekannt und die Rolle, die Field gespielt hat, würde ich so etwas niemals niedergeschrieben haben. Die ganze Angelegenheit erfüllt mich mit tiefem Abscheu und Hass gegen diese Menschen, die die Ursache sind, dass ein solcher Schatten auf meine lange saubere Parteivergangenheit fallen muss. 

Trotzdem mir bewusst ist, dass Ihr strengste Maßnahmen ergreifen müsst, bitte ich Euch inständig: nehmt mir nicht die Parteimitgliedschaft. Gebt mir die Möglichkeit, innerhalb der Partei zu beweisen, dass ich eine ehrliche, der Partei treu ergebene Genossin bin, die zwar schwer gefehlt hat durch Außerachtlassung der Prinzipien der Wachsamkeit, die aber gewillt ist, ihren Fehler durch doppelte Arbeit und äußerste Wachsamkeit wieder gut zu machen.

Hilf Du mir, Genosse Pieck. Mein Leben ist sehr arm geworden durch den Verlust von Siegfried, aber es war erfüllt, weil ich die Parteiarbeit hatte, für die ich mich restlos einsetzen konnte. Schließt mich nicht aus der Partei aus.“


Dieser Bittbrief hatte Pieck noch nicht erreicht, da beschloss das Politbüro des ZK am 24. August 1950 die „Erklärung des Zentralkomitees und der Zentralen Parteikontrollkommission der SED zu den Verbindungen ehemaliger deutscher politischer Emigranten zu dem Leiter des Unitarian Service Committee Noel H. Field“. Zugleich wurde Paul Merker als Staatssekretär entlassen und als Leiter einer HO-Gaststätte in Luckenwalde angeschoben. Maria Weiterer schloss das ZK aus der SED und aus der VVN aus und schickte sie in eine Seidenweberei, wo sie Büroarbeiten zu erledigen hatte. 
Zur Begründung hieß es zu Maria Weiterer in dem ZK-Beschluss:

Das ZK der SED zum Parteiausschluss von Maria Weiterer:

„Die ideologische Unklarheit der Genossin Weiterer als Folge ihrer kleinbürgerlichen Einstellung hindert sie auch heute noch, die Rolle Fields zu erkennen und bringt sie damit in Gegensatz zur Partei und somit in das Lager des Klassenfeindes. (…Sie ist) von Funktionen jeder Art zu entheben.“


Am 1. September 1950 wurde die Erklärung vom 24. August 1950 im Neuen Deutschland zugleich mit erzieherischen Handlungsanweisungen veröffentlicht. Darin wurde den Lesern nahe gelegt, dazu beizutragen, dass die Partei „noch stärker werden und noch überlegener alle Anschläge des Klassenfeindes abwehrten“ könne. In dem Aufruf zur Wachsamkeit hieß es:

Aufruf des ZK der SED zur Wachsamkeit:

„Wenn etwas geschieht, was du nicht verstehst, wenn du einen Fehler gemacht hast, ein schlechtes Gefühl über eine deiner Handlungen hast – gehe zur Partei. Sie hat für vieles Verständnis, wenn sie weiß, du bist ehrlich und verschweigst ihr nichts.“ Denn: „Der verdient nicht den Namen eines Genossen, der vor der Partei etwas verbirgt, ihr die Aufklärung verweigert, die Auffindung der schwachen und faulen Stellen erschwert.“
(zitiert nach: Doris Danzer: Zwischen Vertrauen und Verrat, a.a.O., S. 466)


Weder für Paul Merker noch für Maria Weiterer regte sich eine helfende Hand – auch nicht eine der „Männer von Vernet“, die durch die Hilfstätigkeit Noel H. Fields und die Kontakte Maria Weiterers und Paul Merkers zu ihm und der amerikanischen Unterstützungsorganisation so viel profitiert hatten. In der Seidenweberei, in die Maria Weiterer geschickt wurde, zeigte sie übrigens einen „ungeheuren gesellschaftlichen Einsatz“, dadurch gelang ihr im Jahr 1954 die Wiederaufnahme in die SED und später sogar ihre Rehabilitation.

Noch schlimmer erging es Fritz Sperling, dem Nachfolger Kurt Müllers als stellvertretendem Vorsitzenden der KPD in der Bundesrepublik. Er war 1951 in einem Ostberliner Krankenhaus festgenommen und dann bis 1954 in dem inzwischen von der Staatssicherheit der DDR übernommenen Untersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen trotz einer schweren Herzerkrankung inhaftiert worden. In einem Schauprozess wie dem Rajk-Prozess in Budapest sollte er wegen Spionage für die Amerikaner verurteilt werden. Das Verfahren zog sich aber hin, weil Sperling nicht das von ihm erwartete „Geständnis“ seiner „Verbrechen“ ablegte und die Stasi kein Beweismaterial gegen ihn hatte. 1954 wurde er als „Agent der Amerikaner“ wegen „Verbrechen gegen den Frieden“ verurteilt, dann 1956 begnadigt und aus der Haft entlassen. Dabei musste er sich verpflichten, nicht in die Bundesrepublik überzusiedeln, sondern in der DDR zu bleiben. Zwei Jahre später starb er im Alter von 46 Jahren.

Bericht von Fritz Sperling über seine Haft im Stasi-Untersuchungsgefängnis HIER lesen
zitiert nach: Hubertus Knabe (Hrsg.): Gefangen in Hohenschönhausen, a.a.O., S.147 ff.

Wenn auch damals die Einzelheiten über die Verfolgung dieser beiden stellvertretenden Vorsitzenden der westdeutschen KPD in der DDR nicht bekannt waren, so kann man sich doch gut vorstellen, dass schon die Fakten und die wenigen nach dem Westen dringenden Informationen hierzu schlimme Folgen hatten, zumindest was die Stimmung der westdeutschen KPD-Mitglieder anbetraf. Denn dadurch waren sie eines Teils ihrer Führungspersönlichkeiten beraubt und mit Sicherheit stark verunsichert.

Doch damit nicht genug. Die stalinistischen Säuberungen gingen weiter. Sie haben Hugo Salzmann besonders berührt, waren jetzt doch seine Kameraden aus dem Konzentrationslager Le Vernet Paul Merker und Franz Dahlem persönlich und hart betroffen. 

Initiiert wurde ihre Entmachtung und Verfolgung durch den Slánský-Prozess in Prag. Rudolf Slánský war kein Westemigrant, sondern 1938 nach Moskau gegangen. Nach dem Krieg wurde der erst Generalsekretär der tschechischen KP und 1951 stellvertretender Ministerpräsident. Nur zwei Monate später wurde er verhaftet. Eine Rolle spielte dabei ein Brief, in dem Franz Dahlem und Paul Merker Slánský um Hilfe für Noel H. Field baten. Damit war einerseits der Bezug Slánskýs zum Noel H. Field-Komplex hergestellt, andererseits waren  Dahlem und Merker durch den Slánský-Prozess belastet.

Slánský und einer größeren Anzahl tschechischer Kommunisten, vor allem jüdischer Herkunft, machte man dann im November 1952 einen Schauprozess. In ihm wurde Slánský als angeblicher „Leiter eines staatsfeindlichen Verschwörungszentrums“ ebenso wie zehn Mitangeklagte  zum Tode verurteilt. Diese 11 tschechischen Kommunisten waren noch nicht hingerichtet und ihre Asche auf eine vereiste Straße von Prag verstreut, da war Paul Merker schon von der Stasi festgenommen worden. Die Schmähschrift des ZK „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slánský“ wurde bald nachgeliefert. Merker sollte der „deutsche Rajk oder Slánský“ werden. Ihm und Franz Dahlem  warf man ihre Kontakte zu Noel H. Field  vor und brandmarkte sie als „Zionisten“. Während Paul Merker bereits in Stasi-Haft einsaß, wurde Dahlem als „Zionist“  aus dem ZK der SED ausgeschlossen, von allen Partei- und Staatsfunktionen entbunden und ebenfalls verhaftet. 

Wie für Maria Weiterer so fand sich auch für diese beiden so bedrängten „Männer von Vernet“ niemand, der sich für sie einsetzte. Im Gegenteil: Nicht wenige meldeten sich bei der Zentralen Parteikontrollkommission der SED und denunzierten weitere Personen. 

Vor diesem Hintergrund nimmt sich das Schreiben Hugo Salzmanns vom 17. Januar 1953 „zu der Auseinandersetzung der KPD gegen die Saboteure der sozialistischen Entwicklung“ noch vergleichsweise harmlos aus. Es soll hier auch zur Illustrierung der realen – und nicht geschönten – Verhältnisse im Lager Le Vernet auszugsweise wiedergegeben werden.

Hugo Salzmann in einem Brief vom 17. Januar 1953: „zu der Auseinandersetzung in der KPD gegen die Saboteure der sozialistischen Entwicklung“:

„Ich wurde damals von verschiedenen Gefängnissen mit den Genossen Dahlem, Merker, Eisler, Jungmann usw. nach dem KZ Vernet transportiert. Dort waren die ersten Lagerinsassen Teilnehmer der Internationalen Brigaden. Es kamen im Lager durch die Verbindung der führenden Genossen große Mengen von Paketen an, die geschickt waren, um sie gemeinsam unter allen Genossen zu verteilen, um dem Hunger Einhalt zu gebieten. Dahlem, Eisler, Merker, Jungmann nahmen sich im Durchschnitt aber zuerst die besten Sachen heraus und den Rest des Überflusses gaben sie an die notleidenden Genossen, die keine Verbindung hatten, weiter. 

Damals schritt ich gegen diese Methodik ein, und es wurde dann bei der Ablieferung etwas besser. Die mich in diesem Kampf unterstützten, waren die Genossen Philipp Daub, Friedrich Hey, beide Saargebiet, und der hingerichtete ehemalige Reichstagsabgeordnete Siegfried Rädel.
Jungmann war der Sekretär Dahlems im Lager Vernet, und er lag mit dem Schriftsteller Friedrich Wolf nebeneinander. Jungmann sowie Eisler waren von meinem Standpunkt, auch der Genosse Dahlem, innerhalb des Lagers gegenüber den anderen Mitgefangenen etwas sehr überhoben.“


Ungeachtet dessen, dass die erwähnten Personen – Maria Weiterer, Paul Merker und Franz Dahlem - Jahre später mehr oder minder öffentlich rehabilitiert wurden, hatte ihre Diffamierung und – bei Merker - Anklage und Verurteilung das politische Klima in der DDR mit geprägt. Nur 3 ½ Jahre nach ihrer Gründung war die DDR eine stalinistische Diktatur – mit Enteignungen, politischen Säuberungen, Schauprozessen, Agentenhysterie und Apparatschik-Herrschaft. Da wundert es nicht, dass die Stimmung in der DDR im Frühjahr 1953 auf dem Nullpunkt angelangt war. Mittlerweile verließen ca. 37.000 Menschen monatlich die DDR. 

Sowjetische Panzer in Ost-Berlin gegen den Aufstand am 17. Juni 1953 
(Quelle: Bundesarchiv/Wikipedia)

Als dann der Ministerrat der DDR die Erhöhung der Arbeitsnormen in allen Be- trieben der volkseigenen Industrie um durchschnittlich 10 Prozent beschloss – was eine reale Lohnsenkung von 25 bis 30 Prozent bedeutete -, begann der Aufstand vom 17. Juni 1953. Die Bauarbeiter der Berliner Stalinallee legte ihre Arbeit nieder, formierten einen Demonstrationszug ins Stadtzentrum, um beim Ministerrat die Herabsetzung der Normen zu fordern. Die Nachricht, dass der Ministerrat die Erhöhung der Normen inzwischen zurückgenommen habe, konn- te die Protestbewegung nicht mehr stoppen. Nunmehr forderten die Demon- stranten den Rücktritt der Regierung sowie freie Wahlen. Aus dem Protest- marsch entwickelte sich ein Aufstand, der in den darauf folgenden Tagen nahezu alle Bevölkerungsschichten erfasste.

Dieser sehr bald und brutal von der zu Hilfe gerufenen Roten Armee niedergeschlagene Aufstand vom 17. Juni 1953 war nach der Propaganda der SED kein Aufstand des Volkes gegen die eigene Regierung und das Herrschaftssystem, sondern vielmehr das „Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländi- scher Mächte und ihrer Helfershelfer aus deutschen kapitalistischen Monopolen“.

Der bereits geplante Schauprozess fand aber nicht statt. Grund dafür war Stalins Tod im März 1953. Danach hielten es die Sowjets nicht mehr für angezeigt, aufgrund der Kontakte zu Noel H. Field einen Schauprozess gegen  ehemalige Westimigranten zu inszenieren. Dahlem wurde aus der Haft entlassen und konnte ab 1955 wieder öffentliche Ämter bekleiden.

Merker hingegen, blieb, wo er war: im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Er wurde in einem Geheimprozess  wegen seiner Aktivitäten im Exil angeklagt und mit Urteil vom 30. März 1955 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Begründet wurde es mit Verstößen gegen Artikel 6 der DDR-Verfassung, d.h. wegen Bekundung von Rassen- und Völkerhass, Kriegshetze u.a., und wegen Verstößen gegen das zur Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern erlassene Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrates. Ein Jahr später wurde er aus der Haft entlassen und dann auch freigesprochen. Offiziell rehabilitiert wurde er bis zu seinem Tod im Jahr 1969 nicht.

Wenn Ende 1953 die Situation auch nicht mehr so explosiv war wie ein halbes Jahr zuvor, so war dies doch letztlich der Hintergrund, vor dem Hugo Salzmann junior seine Heimatstadt Bad Kreuznach und die erst wieder gefundene Familie Salzmann verließ und in die DDR übersiedelte.

Erklärung der DDR-Regierung 
zur Niederschlagung des Aufstands am 17. Juni 1953

 

Im Kalten Krieg.

 

Die Übersiedlung seines Sohnes sah Hugo Salzmann sicherlich zwiespältig. Wenn er sich wohl auch freute, dass er sich für den ersten „Arbeiter- und Bauernstaat“ auf deutschem Boden entschieden hatte, so musste er sich doch eingestehen, dass er als Vater seinem Sohn nicht die Geborgenheit einer Familie hatte schaffen können, die sich sein Sohn nach den vielen Jahren der Trennung von seinem Vater erhofft hatte und auch erwarten durfte. Die Übersiedlung in die DDR war auch ein Stück persönlicher Misserfolg für Hugo Salzmann.

Auch politisch gab es Misserfolge. Die KPD verlor immer mehr an Einfluss auf den politischen und sozialen Prozess in der Bundesrepublik. Sie war nicht mehr in der Lage, aus eigener Kraft nennenswerte Initiativen zu entwickeln. In den vier Jahren von 1948 bis 1952 hatte sie fast die Hälfte ihrer Mitglieder verloren und in den nächsten vier Jahren sollte sich die Zahl der Mitglieder noch einmal halbieren. 

Das Absinken der KPD auf den Status einer Kleinpartei und die soziale Stigmatisierung ihrer Mitglieder und Funktionäre trieb die Partei weiter in die Selbstghettoisierung. Mehrheitsgesellschaft und KPD erklärten sich gegenseitig zu Feinden. Die KPD sah sich als die „einzige Partei in Westdeutschland, die auf der Grundlage eines konkreten und konsequenten Aktionsprogramms gegen die Politik des deutschen Imperialismus … für die Wiedervereinigung auf friedlicher und demokratischer Grundlage auftrat. Aus diesem Grund hasste und verfolgte die Reaktion die Kommunisten.“ (Max Reimann). Für die Mehrheitsgesellschaft wurde die KPD mehr und mehr zur Partei der anderen Seite. Diesen Eindruck bestätigte die KPD eher noch durch wortreiche Treuebekundungen zur Politik der Sowjetunion, des sozialistischen Lagers und  der SED. Die Partei – voran ihr Apparat – begriff sich als Vorposten des sozialistischen Lagers und speziell der DDR. Ihr die Treue zu halten, wurde zum entscheidenden Moment der identitätsstiftenden Weltanschauung. 

Auch Hugo Salzmann war von diesem „Ghetto-Denken“, jedenfalls was die „große Politik“ anbetraf, nicht frei. Dies wird deutlich an einem Beitrag in der nun wieder hektographiert herausgegebenen „Leuchtrakete“, von der eine Ausgabe von Anfang 1956 erhalten geblieben ist. Verantwortlich dafür zeichnete die KPD-Ortsgruppe Kreuznach. Es spricht alles dafür, dass Hugo Salzmann auch diesen Text verfasst hat.

“Aufmacher“ dieser „Leuchtrakete“ war die Kritik Hugo Salzmanns an einer Erklärung des Deutschen Bundestages zu einem politischen Strafverfahren in der DDR gegen zwei „Abwerber“. Ihnen war vor allem vorgeworfen worden, Spezialisten und Techniker aus der DDR zur Übersiedlung in die Bundesrepublik animiert zu haben. Beide wurden vom Obersten Gericht der DDR zum Tode verurteilt. Hugo Salzmann fand für diese westdeutsche Kritik an der DDR-Justiz scharfe Worte: 

Die Leuchtrakete von Anfang 1956:

„Protestaktion für Spione?
Auf die Belegschaften und Betriebsräte ging ein wahres Trommelfeuer nieder, sie sollten Protestresolutionen annehmen gegen die Verurteilung der Agenten   H e l d  und  R u d e r t   durch den Obersten Gerichtshof der DDR. Angefangen hatte diese Kampagne im Bundestag. CDU-Präsident Gerstenmaier verkündete einen solchen Protest und alle Parteien – einschließlich der SPD – schlossen sich ihm an. In diesem Stil ging es weiter.“

HIER weiterlesen

 

Neue „Leuchtrakete“ von Anfang 1956 (Quelle: antifa-Archiv Hermann W. Morweiser)


Wie viel kritiklose Übernahme der SED-Propaganda in diesem Text enthalten war, macht ein Blick auf das darin angesprochene Strafverfahren gegen Max Held, Werner Ruder, Eva Halm und Joachim Sachße deutlich, die vom Obersten Gericht der DDR in der Sitzung vom 24. bis 27. Januar 1956 wegen Verbrechen gegen Artikel 6 der Verfassung der DDR (“Boykotthetze“) zum Tode bzw. zu lebenslangem Zuchthaus bzw. 8 Jahren Zuchthaus verurteilt worden waren.  Den Angeklagten, die sich untereinander nicht kannten, wurde u.a. zur Last gelegt, sie hätten sich als Agenten der „imperialistischen Kriegstreiber“ mit der Abwerbung von Wissenschaftlern und Spezialisten aus der DDR befasst. Damit wollte die SED der Fluchtbewegung aus der DDR in die Bundesrepublik einen Riegel vorschieben. Den DDR-Bürgern sollte in einem durch die Medien verbreiteten Schauprozess die Strafbarkeit der „Abwerbung“ vor Augen geführt werden. Außerdem wollte die SED-Führung der Bevölkerung durch durch die Berichte von zurückgekehrten Flüchtlingen den Eindruck vermitteln, diese hätten in der Bundesrepublik in elenden und unwürdigen Verhältnissen leben müssen. 

Der Ausgang des Strafverfahrens stand schon vor seinem Beginn fest: Das Politbüro der SED hatte einen Bericht zustimmend zur Kenntnis genommen, in dem es abschließend hieß: „Der Prozess soll in der Zeit vom 24. bis 27. Januar 1956 vor dem Obersten Gericht durchgeführt werden. Die Justizkommission hat über die Strafhöhe beraten und schlägt vor: Gegen Held und Rudert Todesstrafe. Gegen Halm 15 Jahre bzw. lebenslänglich Zuchthaus, gegen Sachße 8 bis 10 Jahre Zuchthaus.“

Genauso kam es dann auch in dem anschließenden Schauprozess, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann.. Erwähnt werden soll aber, dass dieser nach der Wiedervereinigung Deutschlands zu einem Strafverfahren gegen einen der daran beteiligten Richter des Obersten Gerichts der DDR führte. Das Landgericht Berlin verurteilte diesen mit Urteil vom 17. Juni 1994 (Az. (528) 29/2 Js 283/92 Ks (1/94) u.a. wegen dieses Urteils aus dem Jahr 1956 wegen Rechtsbeugung. Dabei zeigte es auf, dass es dem Obersten Gericht damals nicht auf Wahrheitsfindung, sondern nur auf die Verurteilung der politischen Gegner ankam, und stellte fest, dass die verhängten Strafen in einem unerträglichen Missverhältnis zu den Taten gestanden haben. Dabei konnte sich das Landgericht sogar auf den verurteilten Richter berufen. Er hatte in dem Strafverfahren selbst zugegeben, dass er seinerzeit die Strafen für unangemessen hoch gehalten habe. 

Sicherlich muss man bei solchen Entscheidungen und Berichten den damaligen Zeitgeist, die Zeit des Kalten Krieges, berücksichtigen. Aber es gab schon damals genügend andere Stimmen, die eine solche Fehleinschätzung Salzmanns hätten verhindern können. Dabei war es fatal, sich auf ältere Artikel des „Stern“  und der Nürnberger Nachrichten zu berufen, die gar nichts mit diesem Strafverfahren zu tun hatten – und stattdessen einen Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu verschweigen. Darin war zu lesen:

Artikel aus der Wochen-Zeitung „Die Zeit“ „Fallbeil für ‚Abwerber’“ vom 2. Februar 1956: 

„Abermals sind von dem Obersten Gericht der Sowjetzone in Ostberlin zwei Menschen auf Antrag des berüchtigten Generalstaatsanwalts Melsheimer zum Tode verurteilt worden. Abermals behauptete das Plädoyer des Anklägers, dessen Hassausfälle gegen die Angeklagten dem Wutgeschrei Freislers gegen die Kämpfer des 20. Juli nicht nachstehen, dass man so gefährliche Spione und Agenten selten auf der Anklagebank gesehen habe, eine Bemerkung, die in jedem Schauprozess der Zone mit düsterer Regelmäßigkeit wiederkehrt. Die Todesurteile gegen den 42jährigen Konstrukteur Max Held aus Ostberlin und den 33jährigen Elektriker Werner Rudert aus Erfurt erhöhen die Schreckensbilanz der in politischen Prozessen verhängten Todesurteile seit 1948 auf 124. Das Wüten des Anklägers, die Selbstbezichtigungen der Angeklagten, der Beifall des geladenen linientreuen Publikums aus den Betrieben gehören als feste Bestandteile zur makabren Szenerie der östlichen Schauprozesse. Neu an diesem Prozess ist jedoch der so stark herausgestellte Begriff der ‚Schädlingsarbeit’, die drakonisch bestraft wurde. (…) Dies ist der erste, deutlich als Abschreckung inszenierte Prozess gegen das neue Staatsverbrechen der ‚Abwerbung’.“

 

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die erwähnte „Leuchtrakete“ von Anfang 1956 noch weitere Beiträge enthielt.

Diese können HIER nachgelesen werden

Letzte Jahre als Stadtrat.

 

Die Themen der „Leuchtrakete“, die die Verhältnisse vor Ort betrafen, waren die „alten“. Es waren Hugo Salzmanns Themen, für die er sich immer wieder eingesetzt hatte und sich jetzt auch beim Niedergang der KPD einsetzte.

Dabei hatte er auch manchen Erfolg und konnte sich über das Erreichte freuen.  

Nach sechs Jahren hatt er es geschafft, dass das von ihm bereits im Jahre 1948 angeregte Mahnmal für die Opfer des Faschismus auf dem Bad Kreuznacher Anfang 1954 . eingeweiht wurde. Der Tag der Einweihung des schon seit zwei Jahren fertig gestellten Mahnmals war mit Bedacht gewählt: es war der 6. Geburtstag seiner Tochter Julianna am 2. Januar 1954.

Mahnmal für die Opfer des Krieges und des Faschismus
auf dem Friedhof in Bad Kreuznach (Quelle: privat)

Die bei der Einweihung gehaltenen Reden sind nicht überliefert. Erhalten geblieben ist aber die Ansprache, die Hugo Salzmann wenige Wochen zuvor am Totensonntag 1953 an dem Mahnmal gehalten hatte.

Ansprache von Hugo Salzmann am Totensonntag 1953 am Mahnmal des Krieges und des Faschismus auf dem Friedhof von Bad Kreuznach:

„Sechs Jahre gebrauchten unsere Stadtväter, um denen ein Ehrenmal zu setzen, welche in den schwersten Jahren des deutschen Volkes, ja, der ganzen deutschen Nation, den Mut und die Überzeugungskraft politisch, religiös und rassisch aufbrachten. Zwei Jahre ist es fertig, wenn auch noch nicht „enthüllt“.

Ein Mahnmal, darstellend eine trauernde junge Frau und die von Leid und Trauer gezeichnete Mutter. Der Kreuznacher Bildhauer Steiner hat hier nicht nur ein künstlerisches Werk geschaffen, nein, diese junge Frau, die alte Mutter, sie tragen das Leid des Geschehens im Gesicht und in der Haltung. Selbst die Hände drücken die Unfassbarkeit des Leidens aus.

Der Künstler hat sein inneres Erleben mit in die darzustellenden Figuren gemeißelt. Ein Kunstwerk, wie man es selten in unserem Lande findet.

Umrahmt von hohen grünen Tannen, wirkt das Mahnmal schlicht und dennoch eindringlich. Zur Linken und Rechten ruht der Rest der noch nicht identifizierten vielen Opfer, die zurückbleiben mussten, nicht in heimatlicher Erde ruhen konnten – 36 an der Zahl – aus Deutschland und allen europäischen Staaten. Sie kamen Ende 1944 als „wanderndes Konzentrationslager“ aus dem KZ-Lager Oranienburg – Bauzug Nr. 11. (…)

Der Kreuznacher Bevölkerung und der Stadtverwaltung unter der damaligen Führung des Bürgermeisters Dr. Konz, jetzt Landrat in Mayen, sei hiermit gedankt, dass sie diese Opfer nicht vergessen haben.

Hoffentlich wird die heutige Stadtverwaltung auch recht bald ein Mahnmal schaffen auf dem Ehrenfriedhof für die Bombenopfer Bad Kreuznachs, das warnend als Beispiel dort stehen soll, dass es niemals mehr zu einem furchtbaren Krieg käme, damit niemals mehr eine Mutter nochmals ihren Sohn beweinen muss.“ 


Wenn es auch schwerer war als bei den Wahlen zuvor, gelang es Hugo Salzmann doch bei den Kommunalwahlen am 9. November 1952 sowohl in den Stadtrat als auch in den Kreistag einzuziehen. In den Kreistag kam er aber offenbar erst als Nachrücker auf der Liste der KPD.

Weiterer sichtbarer Höhepunkt in der langjährigen Arbeit Hugo Salzmanns als Stadtrat von Bad Kreuznach war die Einweihung der Alten Nahebrücke am Montag, dem 16. Juli 1956. Es war – wie die Schlagzeile der Allgemeinen Zeitung vom folgenden Tag lautete - ein bedeutungsvoller Tag für Bad Kreuznach. Weiter heißt es dort:

Einweihung der Alten Nahebrücke im Juli 1956:

„Strahlender Sonnenschein lag über Bad Kreuznach, als am Montagvormittag, 11 Uhr, der Neubau der Alten Nahebrücke zusammen mit der grundlegend überholten und den modernen Erfordernissen angepassten Flutbrücke über den Mühlenteich feierlich übergeben wurde. Die ganze Stadt nahm Anteil an diesem für die Geschichte Bad Kreuznachs bedeutungsvollen Ereignis. So hatten sich schon lange vor dem offiziellen Beginn des Festaktes Tausende von Einwohnern auf der Neustadt- und Altstadtseite an den Auffahrten zur Strom- und Flutbrücke eingefunden, um ja nichts von dem Programm zu versäumen. Fahnen- und Girlandenschmuck entlang der Mannheimer Straße und über die Brücke, Blumenarrangements auf der Brücke selbst und in Weiß gekleidete Kinder mit Blumensträußchen, die auf der Strombrücke Spalier bildeten, gaben der historischen Stunde das festliche Gepräge." 

 

Offizielle Einweihung der neuen „Alten Nahebrücke“ in Bad Kreuznach am 16. Juli 1956 (Quelle: privat)

 

Der frühere Redakteur Richard Walter erzählt von der Einweihung der neuen „Alten Nahebrücke“:

 

 

Das KPD-Verbot und seine Folgen.

 

Diese Einweihung der Alten Nahebrücke war zugleich der letzte öffentliche Auftritt Hugo Salzmanns als Kreuznacher Stadtverordneter. Denn nur einen Monat später erging die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum KPD-Verbot. Mit Urteil vom 17. August 1956 (veröffentlicht in: BVerfGE 5, 87 ff.) entsprach es dem Antrag der Bundesregierung vom 22. November 1951 und stellte fest, dass die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) verfassungswidrig, die KPD aufgelöst, die Schaffung von Ersatzorganisationen verboten und das Vermögen der KPD zugunsten der Bundesrepublik zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen ist. Das mit seiner Verkündung „rechtskräftig“ gewordene und alle Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden des Bundes und der Länder bindende Urteil hat mithin jede parteiförmig organisierte kommunistische politische Betätigung in der Bundesrepublik illegalisiert. Die Wirkung des Urteils erstreckte sich nicht auf West-Berlin und auch nicht auf das Saarland, weil letzteres zunächst noch nicht in die Bundesrepublik eingegliedert war.

Begründet wurde diese Entscheidung mit der aus dem Marxismus-Leninismus folgenden Politik und deren Unvereinbarkeit mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Die KPD verhalte sich als eine „marxistisch-leninistische Kampfpartei“ und lehne somit „Prinzipien und Institutionen ab, deren Geltung und Bestehen Voraussetzung für das Funktionieren einer freiheitlichen demokratischen Ordnung ist“. Zudem sei das von der KPD propagierte Ziel der „Diktatur des Proletariats“ mit einer freiheitlichen Demokratie unvereinbar. Für die aktuelle Politik der Partei zog das Gericht das „Programm zur nationalen Wiedervereinigung“ heran, in dem die KPD zum „Sturz des Adenauer-Regimes“ aufrief. Mit dem Angriff gegen das „Adenauer-Regime“ beabsichtigte die KPD – so das Bundesverfassungsgericht – zugleich einen Angriff gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Schließlich führte das Gericht noch den „politischen Gesamtstil“ der KPD an, der vielfach „Ausdruck einer planmäßigen Hetze (ist), die auf die Herabsetzung und Verächtlichmachung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik abzielt. Ihr Ansehen soll geschmälert, das Vertrauen des Volkes auf die von ihr aufgerichtete Wertordnung soll erschüttert werden.“   

Mit diesem Verbotsurteil verlor Hugo Salzmann seinen Sitz im Stadtrat von Bad Kreuznach und auch im Kreistag. 

Bereits wenig später, am 11. November 1956, waren wieder Kommunalwahlen. Die KPD als solche konnte wegen des Verbotsurteils keine Kandidaten mehr aufstellen. Hugo Salzmann kam aber mit Gleichgesinnten auf die Idee, für die Kreistagswahl mit einem eigenen Wahlvorschlag anzutreten. Das war die „Freie Wählergruppe Sieben, Fritz“. Sieben hatte in der Weimarer Zeit Kontakte zur KPD, war nach dem Krieg SPD-Mitglied und Landrat von Bad Kreuznach, bald aber aus der SPD ausgeschlossen worden. An zweiter Stelle der Liste war Hugo Salzmann aufgeführt. Dritter auf der Kandidatenliste war Anton Rölle, der bis 1952 als KPD-Mitglied, danach als unabhängiger Kandidat dem Kreistag und dem Kirner Stadtrat angehört hatte.

Diese Wählergruppe Sieben wurde nicht zur Kreistagswahl zugelassen. Zur Begründung hieß es, es handele sich dabei um eine Ersatzorganisation der verbotenen KPD. Daraufhin legten Sieben und Salzmann gegen die Gültigkeit der Wahl Einspruch ein, erhoben Klage zum Verwaltungsgericht Koblenz und Berufung zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz. Alle Rechtsbehelfe hatten keinen Erfolg.

Im Urteil des Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 28. September 1959 (Aktenzeichen 2 A 43/59) heißt es dazu u.a.: 

„Die ‚Freie Wählergruppe Sieben‘ bildet eine kommunistische Ersatzorganisation, weil sie eine Vereinigung darstellt, die sich organisatorisch zwar von der aufgelösten KPD unterscheidet, funktionell jedoch dieselben Ziele verfolgt. (…)


Doch damit nicht genug. Die kommunistische Gesinnung Hugo Salzmanns nahm man auch in anderer Beziehung zum Anlass, gegen ihn Maßnahmen zu ergreifen. Eine Handhabe sah man in § 6 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz – BEG -). Diese Bestimmung sah einen Ausschluss von der Entschädigung bei „Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ vor. 

§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG:

„Von der Entschädigung ausgeschlossen ist,
wer nach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft hat.“

 

Dieses „Bekämpfen“ sah das Innenministerium von Rheinland-Pfalz bei Hugo Salzmann als gegeben an, weil er nach dessen „Erkenntnissen“  am 4. Mai 1955 Referent auf einer KPD-Versammlung in Bockenau und zwei Tage später Leiter und Referent einer KPD-Veranstaltung in Simmern und Dhaun war. 

Das Bezirksamt für Wiedergutmachung griff diesen Hinweis auf und beabsichtigte, den Antrag auf Wiedergutmachung über den Schaden im beruflichen Fortkommen, abzulehnen sowie frühere Bescheide zu widerrufen. Das dabei eingeschaltete Landesamt für Wiedergutmachung erreichte aber erst einmal ein Stillhalten. Denn inzwischen hatten sich die Zivilgerichte mit diesem Ausschlusstatbestand beschäftigt. Gerade der Bundesgerichtshof forderte in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1956 und Anfang 1957 eine differenzierende Betrachtungsweise. 

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Januar 1957, veröffentlicht in Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1957, S. 46 – Leitsatz -:

„Dadurch, dass eine Partei durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt worden ist, ergibt sich noch nicht, dass jedes Mitglied dieser Partei als ein Bekämpfer der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 des Bundesentschädigungsgesetzes zu gelten hat. Es bedarf vielmehr der Feststellung einer entsprechenden Betätigung des Anspruchsberechtigten. Hierbei sind, wenn es sich um einen Funktionär der Partei handelt, Feststellungen über die auszuübenden und von dem Anspruchsberechtigten auch ausgeübten Funktionen unter Berücksichtigung allgemeiner Erfahrungen über den Kommunismus zu treffen.“

 

Bei genauerem Hinsehen erkannte man nun, dass die Versammlung am 6. Mai 1955 nicht an zwei Orten stattfand, sondern in dem Ort mit dem Namen Simmern unter Dhaun (heute: Simmertal). Außerdem legte diese Rechtsprechung die Annahme nahe, dass Aktivitäten die vor dem vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen KPD-Verbot von 1956 keinen Ausschlussgrund darstellen würden. 

Das veranlasste das Innenministerium zu weiteren Recherchen. Dabei stellte man fest, dass Salzmann auch nach dem Verbot der KPD die KP-Zeitung des Saarlandes „Neue Zeit“ aus Saarbrücken so lange bezog, bis die KP auch dort verboten wurde, und das den Beweis liefere, dass er die kommunistische Zielsetzung auch noch nach dem Verbot in der Bundesrepublik verfolgt habe.

Das Landesamt für Wiedergutmachung sah das nicht ganz so einfach. Denn das bloße Zeitunglesen einer zudem legalen Zeitung kann ja nun schwerlich als ein „Bekämpfen“ bewertet werden. Deshalb wartete das Landesamt erst einmal ab, wie die Rechtsprechung sich weiter entwickelte.

Für Hugo Salzmann, den langjährigen und unermüdlichen Kämpfer gegen den Faschismus, war dieses Ausschlussverfahren ein weiterer, ganz herber Schlag. Immer wieder findet sich in seinen Unterlagen aus jener Zeit die Präambel/der Vorspruch zum Bundesentschädigungsgesetz, mit der er dieses Verfahren offenbar als absurd erklären wollte.

Präambel/Vorspruch zum Bundesentschädigungsgesetz:

„In Anerkennung der Tatsache,
dass Personen, die aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt worden sind, Unrecht geschehen ist, 
dass der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes und Staates war (…)
hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das nachfolgende Gesetz beschlossen.“  


Zum Nachweis seines antifaschistisch-demokratischen Engagements stellten ihm auf sein Bitten hin viele Weggefährten – manche seit Jahrzehnten -, Arbeitskollegen, Gewerkschafter, Kommunalpolitiker, ehemalige Parteifreunde und politische Gegner Leumundszeugnisse aus. Sie bescheinigten ihm ein jahrzehntelanges Eintreten für sozial Benachteiligte, gewerkschaftliche Ziele, Engagement für den demokratischen Wiederaufbau nach 1945 und fairen und kollegialen Umgang in den kommunalen Gremien. Besonders aussagekräftig und gewichtig waren die Erklärungen des früheren Bürgermeisters von Bad Kreuznach (und jetzigen Landrats des Landkreises Mayen Dr. Kohns) und des Beigeordneten von Bad Kreuznach Wilhelm Fechter.

Erklärung des früheren Bürgermeisters von Bad Kreuznach und jetzigen Landrats des Kreises Mayen Dr. Kohns vom 21. November 1957:

„(Ich habe) Ihre Arbeit ab 1945 in meiner Eigenschaft als Kreisrechtsrat bzw. Bürgermeister der Stadt Bad Kreuznach laufend verfolgen (können). In diesen schwierigen Jahres des Wiederaufbaus in Stadt und Land standen Sie als Mitglied des Bürgerrates, Stadtrates, Kreistages und Mitglied aller städtischen Ausschüsse mitten im Geschehen der großen kommunalen Aufgaben. Jeder ehrlich denkende Mensch, auch derjenige mit anderer politischer Einstellung, muss Ihnen das Zeugnis der ehrlichen Gesinnung, der toleranten Einstellung und der selbstlosen Grundhaltung bescheinigen. Sie ließen sich in Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit vornehmlich von der Liebe zu Ihrer Heimatstadt Bad Kreuznach leiten. Nicht zuletzt möchte ich einen Blick auf Ihre soziale Einstellung werfen, die sich nicht auf einen kleinen Kreis politisch Gleichgesinnter konzentrierte, sondern jeden erfasste, der in Not und Sorge lebte. Ich bin sicher, dass diese meine Beurteilung von jedem früheren Mitglied des Stadtrates geteilt wird.“

 

Erklärung des Beigeordneten der Stadt Bad Kreuznach Wilhelm Fechter vom 18. September 1957:

„Unterzeichneter kennt seit Jahrzehnten den Gewerkschaftssekretär Hugo Salzmann. In den Jahren der gemeinsamen Arbeit als Stadträte im Stadtparlament Bad Kreuznach sowie in den verschiedenen Ausschüssen der Kommunalverwal- tung hatte ich immer ein gutes Zusammenarbeiten mit ihm.

Herr Hugo Salzmann ließ sich bei den kommunalen, wirtschaftlichen und kulturellen Problemen der Stadt nur von seiner Treue zur Heimat und im Interesse der Bürgerschaft leiten. Als Stadtrat vertrat er in hoher Verantwortung alle Bürger ohne Unterschied der Partei oder konfessionellen Zugehörigkeit.

Als Stadtrat und Beigeordneter der Stadt Bad Kreuznach kann ich nur meine Anerkennung für seine ehrenamtliche Tätigkeit, auch dem stets menschlichen, immer helfenden Herrn Salzmann bestätigen."

   

Die damit und mit vielen anderen Erklärungen bekundete Sympathie hat Hugo Salzmann sicherlich sehr gut getan. Ob diese Aussagen das Ausschlussverfahren wesentlich beeinflusst haben, erscheint zweifelhaft. Denn nach weiteren eineinhalb Jahren hatten die Entschädigungsbehörden dann doch noch erkannt, dass das bloße Zeitungslesen kein „Bekämpfen“ der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sein kann. Ohne Ankündigung und weiteren Kommentar erging dann unter dem 17. Juli 1958 der Bescheid des Bezirksamtes für Wiedergutmachung über den Schaden im beruflichen Fortkommen. In den Gründen findet sich ein Satz zu dieser Problematik: „Gründe, die gemäß § 6 BEG einen Ausschluss von der Entschädigung oder gemäß § 7 die Versagung des Anspruchs bedingen, sind nicht bekannt.“