Kapitel 3: Politisch aktiv in Kreuznach

 

In der Lehre und in der Arbeiterjugend.


Noch während des Krieges hatte Hugo Salzmann die damals acht Jahre dauernde Volksschule beendet und war zu Ostern 1917 aus der Schule entlassen worden. Trotz der schwierigen Verhältnisse im dritten Kriegsjahr fand er eine Lehrstelle. Er wurde aber nicht wie sein Vater und sein Großvater Glasbläser. Das kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kreuznacher Glashütte während des Krieges ihren Betrieb teilweise und dann auch vollständig eingestellt hatte. Immerhin entschied sich Hugo Salzmann für eine Berufsausbildung und wurde nicht – was damals eine echte Alternative war – ungelernter Arbeiter. So wurde er Lehrling für den Metallberuf bei der Kreuznacher Metallwarenfabrik Gebrüder Hoffmann, in der Mannheimer Straße 219 – 223 (die 1945 ausgebombt wurde).Sein Elternhaus und gerade sein Vater Peter hatten Hugo Salzmann auch in gewerkschaftlicher und politischer Hinsicht wesentlich geprägt. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, sich schon während der Lehrzeit als Mitglied im Deutschen Metallarbeiterverband zu organisieren und dann im Jahr 1920 der Jugendleiter des Verbandes in Kreuznach zu werden. Damals gab es noch keine Einheitsgewerkschaften, also Gewerkschaften wie wir sie heute kennen, die für alle Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf deren politische oder weltanschauliche Überzeugung gewerkschaftliche Heimat sein können. Früher waren Richtungsgewerkschaften üblich. Sie fühlten sich einer weltanschaulichen oder politischen Richtung (kommunistisch, sozialistisch, christlich oder liberal) verpflichtet. Die Einheitsgewerkschaften heutigen Typs sind erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und waren  gerade nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und der Machtübernahme Hitlers eine Reaktion auf die früher üblichen Richtungsgewerkschaften. Die große Masse der Gewerkschaftsmitglieder war bei den sozialistisch orientierten sog. Freien Gewerkschaften organisiert. Der Metallarbeiterverband war eine solche Freie Gewerkschaft. 

Nach seiner Lehre blieb Hugo Salzmann als Geselle bei der Metallwarenfabrik Gebrüder Hoffmann. Es war ein weiterer wichtiger Schritt für ihn ins Erwachsenendasein. Denn jetzt brachte er den ersten richtigen Verdienst in die Familienkasse ein und trug damit dazu bei, das Familieneinkommen zu sichern. Sein Vater Peter hatte nämlich nach seiner Rückkehr aus dem I. Weltkrieg keine Arbeit mehr gefunden. Die Kreuznacher Glashütte hatte im September 1919 ihren Betrieb endgültig eingestellt und als Glasbläser fand er auch bei anderen Firmen keine Beschäftigung. So fasste er nach dem Weltkrieg beruflich nicht mehr Fuß. Hugo Salzmann, der weiterhin zu Hause wohnte, erlebte dieses Schicksal der Arbeitslosigkeit ganz nah und schmerzlich bei seinem Vater, der ihm Vorbild war und jetzt und auf Dauer als Ernährer der Familie ausfiel. 

Im folgenden Jahr – 1921 - gründete sich nach einer ersten, von den Kreuznacher Kommunisten einberufenen Jugendversammlung eine Gruppe des kommunistischen Jugendverbandes. Einer der jungen Burschen war der gerade 18jährige Hugo Salzmann. Es war typisch für diese Generation von Arbeiterkindern, dass sie – in einem Arbeitermilieu herangewuchsen – sich ebenfalls politisch organisierten wie ihre Väter, Aber sie gingen weiter nach links als diese. So schloss sich auch Hugo der Arbeiterbewegung an, aber nicht der SPD-nahen Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands (SAJ), sondern der extremeren Variante, der kommunistischen Jugend. Das entsprach eher dem Lebens- gefühl dieser Jugend, die mehr auf Kampf und Selbstbehauptung aus war, als auf Kompromisse, für die die SPD mit ihrem vielgeschmähten parlamentarischen Reformismus stand. Als „politischen Einstand“ gab die Gruppe der Kreuznacher Jungkommunisten  in einer Protestversammlung nach der Ermordung des Zentrumsabgeordneten Mathias Erzberger dementsprechend auch die „Internationale“ zum Besten.

Die kommunistische Jugendbewegung steckte damals noch in den Anfängen. Die deutschen Kommunisten wie dann auch ihre Jugendorganisation waren im Ersten Weltkrieg und kurz danach aus den Auseinandersetzungen um die Burgfriedenspolitik der Mehrheit der SPD (Kaiser Wilhelm II: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“) und um die Ziele der Arbeiterpartei entstanden. Im August 1914 hatte sich innerhalb der SPD eine oppositionelle „Gruppe Internationale“ gebildet, die am Ziel einer internationalen Revolution des Proletariats festhielt, um Kapitalismus, Imperialismus und Militarismus weltweit zu stürzen. Als sich „unabhängige Sozialdemokraten“ 1917 von der SPD abspalteten und eine eigene Partei, die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)“, gründeten, bildete dieser „Spartakusbund“ den linken Flügel der neuen Partei. In der sog. Novemberrevolution gründete sich der „Spartakusbund“ neu, um dann zur Jahreswende 1918/19  in der neu gegründeten „Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD)“ aufzugehen. Ihre Führer waren Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die zwei Wochen später auf grausame Weise von rechtsradikalen Freikorpsoffizieren ermordet wurden. Die Jugend- gruppen hatten sich im Oktober 1918 zunächst zur „Freien Sozialistischen Jugend“ zusammengeschlossen. 1920 benannte man sich in „Kommunistische Jugend Deutschlands“ und 1925 in „Kommunistischer Jugendverband Deutschlands (KJVD)“ um..................................................................................................................................

Diese Entwicklung in der Arbeiterbewegung seit der sog. Novemberrevolution vollzog man auch in Bad Kreuznach nach.  So wurde Anfang Oktober 1920 die Ortsgruppe der KPD unter dem Vorsitz des Stadtverordneten Emil Bohr offiziell bei der Polizeiverwaltung Kreuznach angemeldet. Des Weiteren fand sich eine Gruppe jugendlicher Kommunisten zusammen, deren Leiter bald Hugo Salzmann wurde. 

Die kommunistische Jugendgruppe mit Hugo Salzmann beim Ausflug in die Natur, um 1920 (Quelle: privat)

Hugo Salzmann holte – so will es scheinen – mit seinen nunmehr 20 Jahren das als unbeschwerte Jugend nach, was ihm in der Kriegs- und frühen Nachkriegszeit vorenthalten geblieben war. Wie viele andere Jugendliche auch, durchlief er nach Schule, Lehre und Familienerziehung eine Phase der Orientierung, bevor er selbst eine Familie gründete. Hugo Salzmanns Lebensstil war geradezu typisch für die Arbeiterjugend. Das galt gerade auch für die Arbeiterjugend- bewegung. Sie kritisierte die negativen Begleiterscheinungen der Industrialisierung ebenso wie die verstaubte Kultur, stattdessen wandte sie sich der Natur zu und bemühte sich um neue Lebensformen. Prägend waren die „kleinen Fluchten“ aus dem Alltag, war die arbeitende Jugend doch stark in den Produktionsprozess eingebunden und hatte nur wenig Urlaub. So nutzte man die Wochenenden und die Feiertage zu Wanderungen und zu Wanderfahrten mit Zeltübernachtungen und dem gemeinsamen Singen von Volksliedern. Ausdruck dieses Lebensgefühls war das Lied 

„Wann wir schreiten Seit‘ an Seit“.

Dieses Lied nimmt die Situation der Wanderfahrt auf und stellt sie in den größeren Rahmen einer gesellschaftlichen Entwicklung. Die zweite Strophe weist dabei auf den proletarischen Hintergrund hin:

 

 

Hugo Salzmann, um 1920 (Quelle: privat)

 

Erste Streikerfahrungen.


Es kennzeichnet Hugo Salzmann und sein politisch-soziales Engagement, dass er in dieser Zeit erstmals in der Öffentlichkeit auffiel mit seiner Forderung, mit der Verschlechterung des Brotes Schluss zu machen und den Arbeitern endlich wieder genießbares Brot zu liefern.

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war sehr unruhig– im gesamten Deutschen Reich und auch in Kreuznach. Nachdem es seit 1919 wiederholt zu Arbeitsniederlegungen bei den Seitz-Werken in Kreuznach und auch einer anschließenden Aussperrung der Arbeiter durch den Firmenchef Theo Seitz gekommen war, gab es im Sommer 1921 bei der Metallwarenfabrik Ost & Scherer den ersten großen „wilden Streik“ und die erste längere weitreichende Aussperrung. Hintergrund war, dass die Arbeitgeberverbände wenige Tage nach dem 9. November 1918 in dem Stinnes-Legien-Abkommen die Arbeitnehmerorganisationen als Vertragspartner von Tarifverträgen anerkannten. In der Folgezeit schlossen einzelne Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Tarifverträge mit Regelungen zu den Arbeitsbedingungen mit einer bestimmten Laufzeit ab. So hatten der Arbeitgeberverband an der Nahe und der Deutsche Metallarbeiterverband am 16. Oktober 1919 einen Tarifvertrag bis zum 15. August 1921 abgeschlossen. Den Ablauf des Vertrages bis Mitte August 1921wollten die Arbeiter der Firma Ost & Scherer aber nicht abwarten, sondern traten zur Durchsetzung höherer Löhne am 13. Juli 1921 in den Streik. 

Zur Begründung heißt es in einer am 3. August 1921 veröffentlichten Erklärung des Deutschen Metallarbeiterverbandes – Verwaltung Kreuznach - :

Erklärung des Deutschen Metallarbeiterverbandes – Verwaltung Kreuznach – vom 3. August 1921:

„Kaum in einer anderen Stadt im Rheinland prallen die Gegensätze zwischen arm und reich, zwischen den Massen der Verelendeten und der dünnen Schicht der Profiteure und Nutznießer dieser Verelendung so zusammen wie in Kreuznach. Die Arbeiterschaft zu schmählichen Arbeitsbedingungen den Unternehmern verkauft, darbt und hungert, geht in Lumpen, vegetiert dahin ohne Freude an den Schönheiten der reizvollen Umgebung zu haben, während auf der anderen Seite wie man bei der Durchwanderung von Kreuznach beobachten kann, ein Heer von Nichtstuern und Parasiten sich’s inzwischen gut sein lässt im Tal der Rosen und Nachtigallen. Für sie sind die Schönheiten dazu bestimmt, einen geilen Luxus zu entfalten und tagaus tagein in Saus und Braus zu leben mit den Mitteln derer, die um den vollen Lohn ihrer Arbeitskraft geprellt sind. Das Unternehmertum an der Nahe versteht die Ausschöpfung der arbeitenden Massen ausgezeichnet. Alle Branchen haben sich fest organisiert zu dem vornehmlichen Zweck, die in den umliegenden Orten bereits monatelang bestehenden Lohn- und Arbeitsverträge von hiesiger Gegend fern zu halten. Unter nichtigen Vorwänden unter anderm müssen die Sanktionen und Zollmaßnahmen unter denen doch auch Unternehmer von Mainz, Koblenz, Trier usw. weiterproduzieren müssen und trotzdem höhere Löhne zahlen, herhalten, die berechtigten Forderungen der Arbeiter abzulehnen.“ (zitiert nach: Der Öffentliche Anzeiger vom 4. August 1921) 


Dieser Streik war – wir würden heute sagen – ein Verstoß gegen die sich aus dem Tarifvertrag ergebende Friedenspflicht. Die Kreuznacher Unternehmer der Metallgruppe, angeführt von Theo Seitz, solidarisierten sich mit der vom Streik betroffenen Firma Ost & Scherer und drohten für den Fall, dass deren Arbeiter nicht den Streik beendeten, ihrerseits die Aussperrung ihrer Arbeiter an.

Ansicht der Seitz-Werke GmbH in Kreuznach um 1912 (Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

Erklärung der Metallgruppe Kreuznach des Arbeitgeberverbandes an der Nahe e.V.  vom 2. August 1921:

Da wir eine Forderung des Deutschen Metallarbeiterverbandes auf Erhöhung der Stundenlöhne um durchschnittlich 90 Pfg. bis 1 Mk nicht bewilligt und Verhandlungen hierüber abgelehnt haben, sind am 13. Juli 1921 die Arbeiter der Firma Ost & Scherer in den Streik getreten. Wir erklären ausdrücklich, dass wir zu Verhandlungen über eine angemessene Erhöhung der Löhne grundsätzlich bereit sind, sobald die wahrscheinlich bevorstehende Verteuerung der Artikel des täglichen Bedarfs tatsächlich in die Erscheinung tritt. Wir erachten jedoch einstweilen diesen Zeitpunkt noch nicht für gekommen und sind daher gezwungen, gegen die unberechtigten Forderungen der Metallarbeiter sowie das vertragswidrige Vorgehen bei der Firma Ost & Scherer entschieden Stellung zu nehmen.

Zwischen den beiderseitigen Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht das Kollektivabkommen vom 16. Oktober 1919 bis zum 15. August dieses Jahres als ein festes Vertragsverhältnis. In diesem Abkommen ist in Paragraf 17 wörtlich folgendes vereinbart worden:

„Streiks, Arbeitsniederlegungen oder vorübergehende Arbeitsverweigerung (passive Resistenz) auch nur einzelner Werkstätten oder Arbeiterberufsgruppen während der Dauer des Vertrages gelten als Tarifbruch (Vertragsbruch)“

Wir erblicken daher in dem Streik bei Ost & Scherer einen groben Vertragsbruch und fordern sofortige Wiederaufnahme der Arbeit bis Donnerstag, den 4. August morgens 6.45 Uhr. Sollte bis zu diesem Termin die Arbeit nicht aufgenommen werden, so sehen sich die Arbeitgeber der Metallindustrie Kreuznachs gezwungen, dem Vertragsbruch der Arbeitnehmer solidarisch zu begegnen dadurch, dass sie ihre Betriebe schließen und zwar diejenigen Betriebe, bei denen keine Kündigungsfrist vorgesehen ist, ab Freitag, den 5. August, dann die übrigen Firmen entsprechend der bei ihnen geltenden Kündigungsfristen.

Wir befinden uns durch das gewaltsame Vorgehen der Arbeitnehmer in Notwehr und sind entschlossen, von den uns durch unsere geschlossene Organisation zu Gebote stehenden Mitteln Gebrauch zu machen.

Wir sind hierzu umso mehr berechtigt, als der Streik sich nicht gegen die Firma Ost & Scherer allein richtet, sondern durch diesen Streik uns nach wiederholten Äußerungen der Führer der Arbeiterschaft an maßgebender Stelle der Kampf auf der ganzen Linie angesagt worden ist, d.h. gegen die gesamte Gruppe der Metallindustrie Kreuznachs.

Kreuznach, den 2. August 1921
Clarit-Werke GmbH;/ Franz Clemens Söhne, Mach-Fabr. /  Dr. von Dewitz, orthopäd. Werkstatt /  Heinr. Fritzel, Schlosserei, Kassenschrankfabr./ Gebr. Hoffmann, Metallwarenfabr./ Ehrhard Müller & Co, Elektr. Licht- und Kraftanl./  Ost & Scherer, Badeapparate-Fabr./ Jos. Schneider & Co, opt. Anstalt /  Seitz-Werke GmbH
(zitiert nach: Öffentlicher Anzeiger vom 2. August 1921)


Schließlich kam es zu einem Schlichtungsverfahren, in dem festgestellt wurde, dass die Arbeiter der Firma Ost & Scherer mit ihrem Streik einen Tarifbruch begangen haben. Daraufhin kündigten die streikenden Arbeiter bei der Firma Ost & Scherer, so dass die anderen Unternehmer keinen Anlass mehr sahen, ihre Arbeiter weiterhin auszusperren. Der Arbeitskampf war beendet.  

Erklärung der Metallgruppe Kreuznach des Arbeitgeber-Verbandes an der Nahe e.V vom 18. August 1921:

Der Schlichtungsausschuss Kreuznach fällte gestern, am 17. August 1921, folgenden Schiedsspruch:
„Die Arbeiter der Firma Ost & Scherer haben durch ihren Streik Tarifbruch begangen.“

Da inzwischen nach viereinhalbwöchigem Streik die Arbeiter der Firma Ost & Scherer ihren Austritt aus der Firma erklärt haben und durch Aushändigung der Papiere durch die Firma rechtmäßig aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, zurzeit also ein Streik nicht mehr besteht, heben wir die Aussperrung auf und unsere Betriebe werden ab morgen, den 19. August, wieder geöffnet sein.

Sollten bis zum 20. August trotz ihres Austritts auch die Arbeiter der Firma Ost & Scherer wieder in genügender Zahl an ihrer Arbeitsstätte erscheinen, so dass die Firma in der Lage ist, ihren Betrieb ohne weitere Schädigungen wieder in Gang zu setzen, so sind wir bereit, unser Angebot vom 3. August hinsichtlich der Löhne aufrecht zu erhalten. Danach würden vom Tage der Wiederaufnahme der Arbeit  an bis zum 31. August einschl. eine Erhöhung der Grundstundenlöhne eintreten:
für Facharbeiter um 40 Pfg. pro Stunde,
für angelernte Arbeiter um 30 Pfg. pro Stunde und
für ungelernte Arbeiter um 25 Pfg. pro Stunde.

In beiden Fällen sollen zwischen dem 1. und 15. September Verhandlungen über ein neues Kollektivabkommen stattfinden.

Kreuznach, den 18. August 1921.

Clarit-Werke GmbH / Franz Clemens Söhne, Mach-Fabr./ Dr. von Dewitz, orthopäd. Werkstatt / Heinr. Fritzel, Schlosserei, Kassenschrankfabr./ Gebr. Hoffmann, Metallwarenfabr. / Ehrhard Müller & Co, Elektr. Licht- und Kraftanl./ Ost & Scherer, Badeapparate-Fabr./ Jos. Schneider & Co, opt. Anstalt / Seitz-Werke GmbH
(zitiert nach Öffentlicher Anzeiger vom 18. August 1921)

 

 

Gewerkschafter und Jungkommunist in stürmischer Zeit.


Nach der Aufhebung der Aussperrung hätte Hugo Salzmann wieder bei der Metallwarenfabrik Gebrüder Hoffmann weiter arbeiten können. Das tat er jedoch nicht. Eine Rückkehr in den Betrieb nach dem erfolglosen Streik der Arbeiter der Firma Ost & Scherer, mit dem er als Gewerkschafter und Jungkommunist sympathisiert hatte, und nach der Aussperrung durch seinen eigenen Betrieb fiel ihm offenbar zu schwer. Stattdessen verließ er Ende August 1921 Kreuznach und begab sich „auf Wanderschaft“. 

Der erfolglose Streik bei Ost & Scherer war nicht nur für Hugo Salzmann ein schwerer Schlag. Die gesamte Ortsgruppe der KPD war davon getroffen. Erst ein Jahr später – und nach einem weiteren gescheiterten Streik bei den Seitz-Werken – entwickelte sie nach der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau wieder Aktivitäten. 

Ende 1922 – nach einem genügenden Abstand vom damaligen Geschehen – kehrte Hugo Salzmann nach Kreuznach zu seinem  Vater in die Planiger Straße 71 zurück. Inzwischen hatte sein Vater Peter eine Witwe kennen gelernt und diese im November 1922 in Kreuznach geheiratet. Damit kam Hugo mit seinen 19 Jahren wieder in eine komplette Familie hinein. Aber es war nicht mehr so wie es war. Er und seine Geschwister verstanden sich nicht  mit ihrer Stiefmutter Hulda Frieda. Das gute Verhältnis zum Vater blieb, aber es war belastet durch die Stiefmutter. Es dauerte dann noch bis Frühjahr 1933, dass Hugo Salzmanns Vater und seine Ehefrau einen Schnitt machten, Kreuznach verließen und nach Mylau im Vogtland – in die Heimat der Ehefrau - zogen. Beide gingen aber nicht ganz allein. Ihnen schloss sich Hugo Salzmanns Schwester Anni an. 

Schon bald fand Hugo Salzmann wieder eine Anstellung, diesmal bei der zuvor bestreikten Metallwarenfabrik Ost & Scherer in der Alzeyer Straße in Kreuznach. Dort war Hugo als Metalldreher und Formengießer beschäftigt.

Das Jahr 1923 war ein Schicksalsjahr der ersten Demokratie auf deutschem Boden. Begonnen hatte es im Januar mit dem Einmarsch französischer und belgischern Truppen in das Ruhrgebiet, weil Deutschland die Reparationsverpflichtungen aus dem Versailler Vertrag nicht vollständig erfüllt hatte und Frankreich darin eine absichtliche Verfehlung sah. Daraufhin stellte die Reichsregierung sämtliche Reparationsleistungen an Frankreich und Belgien ein und rief die Bevölkerung an Rhein und Ruhr zum passiven Widerstand auf. 

Inzwischen hatte die Geldentwertung, die durch die Aufblähung der Geldmenge zur Bezahlung vor allem der Kosten des I. Weltkrieges und der Reparationen immer größer wurde, riesige Dimensionen angenommen. War in der Phase der sog. Hyperinflation ab Juli 1922 der Kurs der Reichsmark im Verhältnis zum US-Dollar schon um mehr als 1.500 Prozent gestiegen, so verlor er mit dem Beginn des passiven Widerstandes jeden Halt. Der Dollarkurs, der am 2. Januar 1923 mit 7.260 Mark notiert war, erreichte am 11. Januar den Stand von 10.450 Mark und kletterte bis Ende des Monats auf 49.000 Mark. Ab August 1923 wurde in Deutschland nur noch in Millionen, ab Oktober nur noch in Milliarden gerechnet. Ein Kilogramm Roggenbrot kostete in Berlin am 5. November 1923 78 Milliarden Mark. In dieser letzten Phase der Inflation verlor das Geld täglich, am Ende fast stündlich an Wert. Wer Geld erhielt – etwa Arbeitslohn, sofern er Arbeit hatte –, war zunehmend gezwungen, es umgehend wieder auszugeben, andernfalls drohten riesige Verluste. Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation zahlten viele Betriebe ihren Beschäftigten am Morgen den Lohn aus und gaben ihnen anschließend Gelegenheit, ihr Geld in Nahrungsmittel oder tauschfähige Waren umzusetzen. Die Folge waren in dieser Phase Hungerunruhen und die Plünderungen von Lebensmittelgeschäften.   

 Zur gleichen Zeit regte sich der Separatismus im Rheinland und in der Pfalz. Er hatte seinen Höhepunkt in der Ausrufung einer reichsunabhängigen „Rheinischen Republik“  u.a. am 25. Oktober 1923 im Koblenzer Schloss und am 26. Oktober 1923 im Kreis Kreuznach. Auch in anderen Teilen Deutschlands gab es einen „heißen Herbst“. In Sachsen und in Thüringen kam es mit einem SPD-Ministerpräsidenten zu Volksfront-Regierungen mit je zwei kommunistischen Ministern. Von den Kommunisten war auch eine „deutsche Oktoberrevolution“ geplant. Sie nahmen aber von einem Linksputsch Abstand, als sie merkten, sie könnten mit einer solchen isolierten Aktion scheitern. Dieser versuchte Linksputsch wurde durch die Reichswehr schon im Ansatz unterbunden. Die in Sachsen und Thüringen aus SPD und KPD gebildeten legitimen parlamentarischen Mehrheitsregierungen wurden dann durch eine „Reichsexekution“ beseitigt.

Während das Reich so in Thüringen und Sachsen aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Landesregierungen absetzte, unternahm es nichts gegen die Verhältnisse in Bayern. Dort hatte die Staatsregierung einen gewissen Ritter von Kahr zum „besonderen Generalstaatskommissar“ ernannt und ihm die vollziehende Gewalt übertragen. Mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, bildete er mit einem Reichswehr-General und einem Polizeichef einen Dreierbund, der auf eine nationale Diktatur hinarbeitete. Ihr Vorbild war der erfolgreiche „Marsch auf Rom“ der italienischen Faschisten ein Jahr zuvor. In dieser Situation beschloss Hitler, die Initiative an sich zu reißen und den Rechtsputsch zu wagen. Er proklamierte die „nationale Revolution“, erklärte die bayerische und die Reichsregierung für abgesetzt und kündigte die Bildung einer „nationalen Regierung“ an. Am Mittag des 9. November 1923 führte Hitler zusammen mit dem früheren Weltkriegsgeneral Ludendorff den „Marsch auf die Feldherrnhalle“ in München an, der dann kläglich endete. 

In diesem so schicksalhaften Jahr 1923 wurde Hugo Salzmann Betriebsratsvorsitzender der Firma Ost & Scherer. Der Betriebsrat war damals zu Beginn der Weimarer Republik eine neue Einrichtung. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hatte vorgesehen, dass Arbeiter und Angestellte zur Wahrung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Anliegen sog. Betriebsräte bilden konnten. In Ausfüllung dieses Programms wurde 1920 das Betriebsrätegesetz erlassen. Es verpflichtete Betriebe ab einer Größe von fünf Beschäftigten, Betriebsräte wählen zu lassen.

Der Öffentliche Anzeiger vom 27. Oktober 1923 und vom 9. November 1923 geben einen Eindruck von den Verhältnissen in Bayern und im Rheinland.HIER lesen

Außerdem war Salzmann wieder Leiter der kommunistischen Jugendorganisation in Kreuznach und wurde – ohne dass er insoweit maßgeblich in Erscheinung getreten wäre – Vorsitzender der Roten Hilfe, einer KPD-nahen Organisation, die inhaftierte KPD-Mitglieder und auch Parteilose sowie deren Angehörige unterstützte.

Hugo Salzmann mit seiner kommunistischen Jugendgruppe, um 1923 (Quelle: privat) 

Ein Ergebnis der Herbst-Unruhen u.a. in Thüringen und Sachsen war das reichsweite Verbot der KPD und des kommunistischen Jugendverbands am 20. November 1923. Diese bis zum 1. März 1924 währende Maßnahme schwächte naturgemäß die Kommunisten, die durch die Ausweisung mehrerer ihrer Funktionäre aus dem französischen Besatzungsgebiet ohnehin in der Arbeit behindert waren.

Artikel im Öffentlichen Anzeiger vom 24. November 1923 Zum Verbot der KPD hier lesen

Diese politische Entwicklung und die wirtschaftliche Stabilisierung ab 1924 führten dazu, dass der deutsche Kommunismus seine revolutionäre Phase beendete. Die Kommunisten wandten sich zunehmend den örtlichen Verhältnissen zu, wollten diese mitgestalten und Einfluss auf sie nehmen. So war es auch in Kreuznach, das seit dem Jahr 1924 amtlich „Bad Kreuznach“ hieß.  

Nicht nur die Jugendlichen, sondern insgesamt bemühte man sich im Arbeitermilieu um eine eigenständigen Kultur der Arbeiter. Mehr oder minder aktiv waren in Bad Kreuznach die Ortsgruppen des Internationalen Bundes (der Kriegsopfer) (IB), der Roten Hilfe (RH), der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH), der Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur (IfA), der Gemeinschaft proletarischer Freidenker, des Fußballsportvereins „Linda 28“, der Kommunistische Jugend (KJ), des Komitees werktätiger Frauen, des Roten Frontkämpferbundes (RFB), des Arbeitergesangvereins, des Antifaschistischer Kampfbund (Antifa) u.a.

Hugo Salzmann mit dem Arbeitergesangverein vor dem Sängerheim am Schillingshof, um 1925 (Quelle: privat) 

In diesen Gruppen verbrachten die Arbeiter ihre Freizeit.In die Veranstaltungen waren auch die Familien der Arbeiter eingeschlossen, ihre Frauen und Kinder. Vielfach hatten die Treffen einen geselligen Anlass. Sie wollten darüber hinaus aber auch das politische Bewusstsein schärfen und das Gefühl einer zukunftsweisenden Kulturgemeinschaft fördern. Manches war auch Mittel zum Zweck. So lautete etwa die Parole: „Der Sport des Proletariats muss in den Dienst des Sozialismus gestellt werden“. Dabei darf auch die Auflistung der einzelnen Ortsgruppen nicht überbewertet werden. Von manchen ist praktisch nichts bekannt – was etwa für das Komitee werktätiger Frauen in Anbetracht der Kreuznacher Verhältnisse ohne weiteres auch einleuchtet. Im Übrigen gab es in diesem Arbeitermilieu auch zahlreiche Doppel- und Mehrfach-Mitgliedschaften, so dass der durch die Gruppen bewirkte Mobilisierungsgrad geringer war, als man annehmen möchte.

 

Kommunistischer Jungfunktionär und 1. Ehe.


Im Alter von 22 Jahren lief auch für Salzmann die Mitgliedschaft in der kommunistischen Jugend aus. Nahtlos wechselte er im Jahr 1925 in die KPD über und wurde noch im selben Jahr 2. Vorsitzender der Ortsgruppe Bad Kreuznach. Empfohlen hatte er sich für diesen Posten u.a. mit einem Diskussionsbeitrag auf einer Versammlung der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) am 21. November 1924. Darin hat er u.a. ausweislich des Berichts des Öffentlichen Anzeigers vom 22. November 1924 ausgeführt:

Diskussionsbeitrag Hugo Salzmanns am 21. November 1924 in einer Wahlversammlung.

„… Man hat die Demokratie zu einer Maske erniedrigt und bildet eine Einheitsfront gegen das Proletariat, dessen einzig wahre Vertreter wir sind. Wenn das Volk seine Interessen nicht erkannte und seine eigenen Feinde wählte, so war dies darauf zurückzuführen, dass die herrschenden Klassen mit maßgeblicher Unterstützung der Sozialdemokratie die Masse der Bevölkerung so manipulieren, dass sie gezielt vom Klassenkampf abgelenkt wurde. Deshalb galt es zunächst, der Arbeiterschaft ihre Klassenlage bewusst zu machen, um dann mit entschlossenen Klassenkämpfern die proletarische Revolution durchführen zu können und in einer befreienden Aktion Schluss zu machen mit Verelendung, Ausbeutung und Unterdrückung. Für einen überzeugten Kommunisten konnte es keinem Zweifel unterliegen, dass sich die sozialdemokratischen Führer als die größten Feinde der Arbeiterklasse erwiesen hatten: 1918 hatten sie den morschen Kapitalismus vor dem Untergang bewahrt und auch in der Folgezeit die Arbeiter an ihrer historischen Mission gehindert, ähnlich wie ihre russischen Brüder die Macht durch einen bewaffneten Aufstand zu übernehmen...“

Presseartikel: Der Öffentliche Anzeiger für den Kreis Kreuznach HIER lesen

Darin waren mehr oder minder deutlich die Themen angesprochen, die damals und auch später die Innenpolitik der KPD bestimmten: So wurde die parlamentarisch-demokratische Republik abgelehnt – die SPD als Verräter der Arbeiterklasse hingestellt – die SPD, vor allem ihre Führer, als die größten Feinde der Arbeiterklasse bezeichnet – der kommunistischen Partei Deutschlands Sowjet-Russland als Vorbild vorgehalten und gefordert, durch einen bewaffneten Aufstand „Sowjetdeutschland“ zu schaffen.

Man fragt sich schon, wie ein junger Arbeiter aus dem Städtchen Bad Kreuznach zu solchen sehr drastischen und radikalen Einschätzungen kam. Denn immerhin: Ende 1924 hatte sich schon längst durch das „Wunder der Rentenmark“ die Mark stabilisiert, hatten die Alliierten zusammen mit Deutschland die Reparationsfrage durch den Dawes-Plan und dem diesen  umsetzenden Londoner Abkommen auf eine neue tragfähige Grundlage gestellt, hatte es seit Spätsommer einen Konjunkturaufschwung gegeben und war die Erwerbslosenquote von 12,4 % im Juli auf 7,3 % im November 1924 gesunken. Bei den Reichstagswahlen Anfang Dezember 1924 verloren die äußerste Rechte und Linke. Es gab Gewinne für die SPD und die Mittelparteien sowie für die Deutschnationale Volkspartei – wenn es auch nicht zu einer parlamentarischen Mehrheit für eine einheitliche Regierungspolitik reichte. Es schien, als habe die Weimarer Republik nach Jahren schwerster innerer und äußerer Erschütterungen endlich einigermaßen festen Boden erreicht. – Aber Hugo Salzmann meinte, man habe die Demokratie zu einer Maske erniedrigt und bilde eine Einheitsfront gegen das Proletariat, dessen einzig wahrer Vertreter die KPD sei.

Viel lässt sich mit dem erklären, was Kommunistische Internationale (kurz Komintern oder KI) oder auch Dritte Internationale genannt wurde. Diese Dritte Internationale folgte der Zweiten Internationalen, die im Ersten Weltkrieg auseinandergebrochen war. 1919 hatte Lenin – inzwischen Vorsitzender des Rats der Volkskommissare und unbestrittener Chef des Sowjetstaats -  die Gründung der Dritten Internationalen in Moskau initiiert. Es war ein internationaler Zusammenschluss kommunistischer Parteien zu einer weltweiten gemeinsamen Organisation. Von Anfang an spielten die russischen Bolschewiken, aus denen später die KPdSU hervorging, eine dominierende Rolle. Die KPDSU sorgte dann dafür, dass Lenins Organisations- und Führungsprinzip, der sogenannte demokratische Zentralismus für die Komintern ebenso verbindlich wurde wie die 21 „Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale“. In deren ersten Punkt wurde gefordert, „die Reformisten aller Schattierungen systematisch und unbarmherzig zu brandmarken“.

Das war eine Kampfansage an die Sozialdemokraten und nichtrevolutionären Sozialisten. Nach Lenins Tod und unter seinem Nachfolger Stalin verschärfte sich ab 1924  der Kurs weiter. Mit Stalins „Theorie des Sozialismus in einem Land“ – der Sowjetunion -  wurde die Komintern endgültig zum Anhängsel der KPdSU und zum Vehikel der sowjetischen Außenpolitik. Die nationalen kommunistischen Parteien verloren ihre Selbständigkeit und wurden – über die Sektionen der Komintern – den Weisungen der Komintern-Leitung in Moskau unterworfen. Ab 1928 rückte die Komintern vollständig vom Modell der Einheitsfront der Linksparteien ab. Im Rahmen der „Sozialfaschismusthese“ wurden die Sozialdemokraten zum Hauptfeind der kommunistischen Weltbewegung erklärt. Einer der Wortführer war der Vorsitzende der KPD Ernst Thälmann. Er forderte, alle sozialdemokratischen Regierungen in Europa als „sozialverräterisch“ zu bekämpfen und die „proletarischen Massen zum Sturz dieser Regierungen zu mobilisieren“. 
  
Diese Weltsicht und Einschätzung der innenpolitischen Verhältnisse in Deutschland wurden Hugo Salzmann dann auf politischen Veranstaltungen, vor allem auch politischen Schulungen der KPD, vermittelt. Sie machte er sich zu Eigen, wie seine politischen Aktivitäten in Bad Kreuznach zeigen. Ohne dem wäre er auch nicht der örtliche kommunistische Funktionär geworden, der er ab 1925 war.    

1925 wurde Hugo Salzmann 2. Vorsitzender der Kreuznacher KPD und dann auch Organisationsleiter (OrgLeiter) der Kreuznacher KPD. Zur gleichen Zeit gründete er eine Ortsgruppe des Roten Frontkämpferbundes und wurde einer seiner Organisatoren Der Rote Frontkämpferbund (RFB) war eigentlich eine paramilitärische Kampforganisation der KPD. Entstanden war er nach dem Scheitern der direkten Revolutionsbestrebungen in Sachsen und Thüringen im Jahr 1924; er entwickelte sich zu einem zentral gelenkten Stoßtrupp der KPD, der aber nie die Stärke seiner Konkurrenten - der „Sturmabteilung (SA)“ der Nazis und des sozialdemokratischen „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ - erreichte. Der RFB führte insgesamt kein politisches Eigenleben, sondern diente in erster Linie der Werbung und Gewinnung weiterer Arbeiterschichten für die KPD-Organisation. Vor Ort in Bad Kreuznach waren seine Aktivitäten sehr begrenzt und Hugo Salzmann war daran offenbar nicht maßgeblich beteiligt. Der RFB trat vor allem mit seiner 18 Mann starken Kapelle in Erscheinung. Mit ihr machte er Propagandaumzüge in Bad Kreuznach und in anderen Orten. Besonders aktiv war die Kapelle des RFB am 1. Mai. Zu der Kundgebung am 1. Mai 1928 heißt es dazu:

Öffentlicher Anzeiger vom 2. Mai 1928 „Maifeier der Kreuznacher Kommunisten“ 

„Die Kommunistische Partei hatte zu einer Mai-Feier gestern Nachmittag 6 Uhr auf dem Eiermarkt aufgerufen. Die Rot-Front-Kapelle zog mit klingendem Spiel auf und nahm am Michel-Mort-Denkmal Aufstellung. Um sie herum sammelte sich eine große Menschenmenge; wie weit diese aus einer Anteilnahme oder Neugier gekommen war, lässt sich natürlich nicht feststellen. 


Redner war neben dem Stadtverordneten Bohr auch Hugo Salzmann. Die Veranstaltung verlief – wie die der KPD in Bad Kreuznach jener Jahre sehr oft – ruhig. Nach einer Stunde ging man – wie es in dem Zeitungsbericht heißt – friedlich auseinander.

HIER den Originaltext über die 1. Mai-Feier 1928 lesen.  

Aus dieser Zeit wissen wir einiges über die politischen Aktivitäten Hugo Salzmanns aufgrund der Berichte der örtlichen Polizeiverwaltung an den Landrat in Kreuznach sowie dessen weiterer Berichte an den Regierungspräsidenten in Koblenz. Denn die Aktivitäten der Kommunisten wurden auch in der Weimarer Republik von der Polizei überwacht.

Die Versammlungen jener Jahre liefen dabei immer nach demselben Schema ab: Ein Einberufer meldete die Versammlung bei der Polizei an. Dann wurde durch die örtliche Presse zu der Veranstaltung eingeladen. Für die Saalmiete verlangten die Veranstalter einen kleinen Geldbetrag als Eintritt. Generell sprach ein auswärtiger Landtagsabgeordneter oder auch Reichstagabgeordneter. Er wurde von dem Einberufer begrüßt. Ggf. schloss sich an den Vortrag des Gastredners noch ein zweiter eines örtlichen Funktionärs an. Anschließend folgte eine Diskussion und dann schloss der Einberufer die Versammlung. Diesen Ablauf gab es nicht nur bei den Versammlungen der KPD, sondern auch bei denen anderer Parteien.

Themen der KPD-Versammlungen waren etwa: Eindrücke von Besuchsreisen nach Russland, nach dem Tod eines jungen Kreuznacher Kommunisten die Anprangerung von Großkapital, Justiz und Polizei, die Kluft zwischen Arm und Reich und die ganz aus dem Rahmen fallenden hohen Gehälter von Spitzenbeamten sowie die Politik in Deutschland seit dem Krieg. Salzmann war bei diesen  Veranstaltungen häufig Einberufer oder auch Referent oder Diskussions- redner. Daneben war er an den Veranstaltungen zum 1. Mai und etwa auch am Werbetag des Rotfrontkämpferbundes maßgeblich beteiligt. 

Die traditionellen Vortragsabende waren im Allgemeinen nicht gut besucht. Wenn der Vorsitzende der Kreuznacher KPD Bruno Dietrich die Versammlungen eröffnete, pflegte er regelmäßig den schlechten Besuch und die Interesselosigkeit der Arbeiter zu kritisieren. Die Erschienenen bekamen dann auch zu hören, dass das ganze Jahr über die Politik geschimpft werde, aber niemand komme, wenn eine Versammlung stattfinde. Offensichtlich – so Dietrich einmal – ginge es den Arbeitern immer noch zu gut, sonst würden sie zu solchen Veranstaltungen massenhaft kommen.

Salzmann sprach aber nicht nur auf eigenen Versammlungen der KPD, sondern trat auch bei solchen anderer Parteien auf. So findet sich etwa ein Bericht über eine Versammlung der SPD am 28. November 1925 im Evangelischen Gemeindehaus in Bad Kreuznach. Nachdem dort ein SPD-Reichstagsabgeordneter über die politische Situation referiert und sich scharf gegen die Rechtsparteien gewandt und zum Schluss die Kommunisten angegriffen hatte, nahm Salzmann das Wort. Fast eine Stunde hat er wohl geredet und versucht, die „Ausführungen des Redners“ mit den „bekannten Kraftausdrücken zu widerlegen“. Weiter heißt es: „Dabei wird er gegen den Redner persönlich und wirft ihm vor, dass er früher auch Kommunist gewesen sei. Der Referent widerlegt jedoch in ruhiger sachlicher Weise die Ausführungen des Salzmann, wurde aber durch jugendliche Kommunisten unter Führung Salzmanns und Schells fortwährend durch Zwischenruf unterbrochen, so dass die Versammlung zum Schluss sehr unruhig wurde.“........

Einen ganz besonderen Verlauf nahm die aus Anlass der Reichstags- und Landtagswahlen am 20. Mai 1928 veranstaltete Versammlung der NSDAP am 14. April 1928 im evangelischen Gemeindehaus in Bad Kreuznach – offenbar die erste Versammlung der NSDAP in Bad Kreuznach. Schon im Vorfeld gab es Proteste, weil bekannt gemacht worden war, dass Juden keinen Zutritt zu der Versammlung hätten. Zu der Versammlung erschienen dann außer einigen jugendlichen Anhängern der NSDAP und anderen Zuhörern auch eine größere Anzahl Kommunisten und Juden. Diese erzwangen sich teilweise durch Gewaltanwendung Zutritt. Wie es in dem Polizeibericht dazu heißt, hatten sich in der Nä-he des Eingangs  die beiden jüdischen Meisterringer Gebrüder Baruch postiert, die andere Juden und kommunistische Arbeiter zum Eintreten in die Versammlung ermunterten. In dem Saal und auf dem Hausflur entstand schon bei Ver- sammlungsbeginn ein Tumult. Die Polizei schritt zunächst nicht ein, da nicht klar war, ob der Versammlungsleiter der NSDAP-Kreisleiter Ernst Schmitt von seinem Hausrecht Gebrauch machen werde. Als das Ducheinander nicht aufhörte, erklärte dieser, die Versammlung werde nicht stattfinden. Hierdurch wurde der Tumult noch größer. Einige verlangten die von ihnen gezahlten 25 Pfennig Eintrittsgeld zurück. Plötzlich wurde offenbar von Versammlungsgegnern das Licht im Saale ausgedreht und einige Personen gingen gegen die Leiter der Versammlung tätlich vor, wobei Tische umgeworfen und mit Stühlen geworfen und geschlagen wurde. Daraufhin schritt die Polizei ein und räumte das Lokal. Hierdurch wurden - so der Polizeibericht - Personen- und Sachschäden, die sonst eingetreten wären, vermieden. Eine andere Möglichkeit, die Ordnung wieder herzustellen, verblieb nach Darstellung der Polizei nicht, da in dem Saale ein wüstes Durcheinander geherrscht hatte.

Zeitungsbericht über die Wahlversammlung der NSDAP am 14. April 1928 in Bad Kreuznach

„Mit der nationalsozialistischen Versammlung am Samstag, die man als Auftakt des Wahlkampfes mit einigem Pomp der Bevölkerung Kreuznachs angekündigt hatte, wurde es nichts. Es waren zwar der Interessierten genügend da, der kleine Saal des ev. Gemeindehauses, das Nebenzimmer und das Vestibül des Hauses waren dicht gedrängt voll Menschen, aber trotzdem, besser: eben deswegen wurde es mit der Versammlung nichts. Denn die Anwesenden setzten sich zu einem sehr größeren Prozentsatz aus Gegnern, denn aus Freunden der Veranstalter zusammen. Die Luft war mit Explosivstoff geladen, es kam am Saaleingang, als man bestimmten Interessenten vergeblich den Eintritt verwehren wollte, zu Reibereien. Als dann Schmitt-Staudernheim die Versammlung – angeblich auf Anordnung, in Wirklichkeit auf Anraten der Polizei - „schloss“, ehe sie überhaupt begonnen war, kam es zu einem Tumult im Saal. Einige National- sozialisten wurden in eine Ecke gedrängt, wo sie sich durch Vorhalten von Stühlen Andrängender erwehren mussten, einige Stühle flogen durch die Luft, dann erschien im rechten Augenblick Polizei in Stärke von 6 Mann auf der Bildfläche und machte der brenzlig werdenden Situation ein Ende; sie räumte den Saal und das Vestibül des Hauses und zerstreute die die Internationale anstimmende Menschenmenge auf der Straße. Besucher waren ungehalten darüber, dass man ihnen 25 Pfennig Eintrittsgeld abgenommen hatte, ohne etwas dafür geboten zu haben. Gerüchte, die von Verletzungen wissen wollen, die einer oder gar mehrere Nationalsozialisten bei dem Tumult im Saal davongetragen haben sollen, entsprechen nicht den Tatsachen. Es fielen zwar Schläge mit Stühlen, es mag auch jemand getroffen worden sein, von Verletzungen kann jedoch keine Rede sein. der ziemlich harmlose Ausgang der Reibereien ist dem rechtzeitigen und ruhigen Eingreifen der Polizei unter Kommissar Euler zu verdanken. In den späten Abendstunden musste die Polizei nochmals eingreifen. Nationalsozialisten hatten sich im Café Anspach versammelt, wo es wieder zu Reibereien kam, bei denen ein junger Nationalsozialist geschlagen wurde; er wurde unter polizeilichen Schutz heimgeleitet. Weiter will ein Nationalsozialist in der Kurhausstraße angefallen worden sein. Die Polizei ist mit der Klärung beschäftigt.“  (zitiert nach: Öffentliche Anzeiger vom 16. April 1928)


Diese Wahlversammlung der NSDAP am 14. April 1928 hatte – wenn sie auch selbst im Sande verlaufen war – noch Folgewirkungen. Das war einmal für die Brüder Julius und Hermann Baruch der Fall. Diese auch tätlichen Auseinandersetzungen bei der Wahlveranstaltung hatten für sie ein juristisches Nachspiel. Es kam zu einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen sie, das für Julius Baruch mit einer Geldstrafe endete.Im Übrigen beließen es die Nazis nicht bei dieser kläglich gescheiterten Wahlversammlung am 14. April 1928. Vielmehr beriefen sie für den 29. April 1928 – also zwei Wochen später – eine weitere Wahlversammlung an demselben Ort ein.

Diesmal war die NSDAP gegen Zwischenfälle gewappnet und mit hundert SA-Leuten aus Köln, Koblenz und Wiesbaden erschienen. Sie zogen geschlossen um 14 Uhr in das Gemeindehaus, besetzten den Haupteingang, den Treppenaufgang und den Eingang des großen Saales, in dem die Versammlung stattfand, und verteilten sich dann auf den Saal selbst. Eine Kette Uniformierter nahm vor dem Podium Aufstellung, auf dem der Vorstand der Kreuznacher Ortsgruppe und der Redner Platz genommen hatten.

Ankündigung der Wahlversammlung der NSDAP am 29. April 1928 in Bad Kreuznach 

Dann ergriff der Redner, der Redakteur des Naziblattes „Westdeutscher Beobachter“,  Josef Grohé das Wort. Nachdem er erklärt hatte, die Störung vor 14 Tagen sei von „bezahltem Gesindel geschehen“ und die Nationalsozialisten hätten selbst die Macht, ihre Versammlungen zu schützen, wenn es die Polizei nicht tue, führte er u.a. aus:

Zeitungsbericht über die Wahlveranstaltung der NSDAP am 29. April 1928 in Bad Kreuznach: 

„Alle alten Parteien haben das Volk belogen und betrogen. (…) Mit den Waffen haben wir uns 1918 aller Macht begeben. Nur der kommt zu seinem Recht, der es erkämpfen kann. Wir können es nicht. Unser Unglück sind die Juden. Bei den Tieren sieht man auf Rassenreinheit, man unterscheidet sehr scharf einen reinrassigen Schäferhund von einem Mischmasch-Hundevieh, die Kaninchenzuchtvereine wissen die Rassenreinheit zu schätzen. Nur bei den Menschen soll es ganz gleich sein, welcher Rasse sie sind. Es ist eine Schande, dass ein Jude deutscher Minister werden kann, wir sähen lieber noch einen Neger oder Hottentotten an seiner Stelle. Die Juden haben heute alle Macht in Händen. Der Reichstag ist eine Puppe der jüdischen Finanz. Unser Staat ist ein jüdischer Saustall. Wo ehrlich gearbeitet wird, findet man keinen Juden, nur da, wo gegaunert und geschnitten wird. Unser Staat ist nichts anderes als eine Sklavenkolonie. Durch den Dawes-Plan (dieser sah eine Neuregelung der deutschen Reparationen infolge des Ersten Weltkrieges vor. Dabei erreichte der deutsche Außenminister – und Friedensnobelpreisträger – Gustav Stresemann  gerade auch Zugeständnisse der Franzosen, Ergänzung d. Autors) sind wir der jüdischen Hochfinanz anheimgegeben. Wir hätten die Sklavenpolitik ablehnen und die internationalen Juden aus Deutschland mit Gewalt das herausholen lassen sollen, was wir ihnen jetzt freiwillig geben. Stresemann (Rufe: Nieder mit dem Lumpen!) hat mit seiner Politik auch nicht das Geringste erreicht. Das Zentrum ist die lumpigste Partei von allen, weil es die Religion, das Innerlichste, das der Mensch hat, in das schmutzige Parteigetriebe hinabzieht. Wir Nationalsozialisten wollen dafür sorgen, dass aus dem massigen Brei von heute wieder ein freies deutsches Volk wird. Wir konnten nicht dulden, dass Kreuznach unter der jüdischen Knute schmachte, deshalb sind wir heute hierher gekommen, um Kreuznach freizumachen von den Judenketten und Kreuznach den Kreuznachern wiederzugeben. Das haben wir erreicht. (Stürmischer Beifall).“
(zitiert nach:Öffentliche Anzeiger vom 30. April 1928)


Den Original-Pressetext HIER lesen

Dieser Wahlkampf vor den Reichstagswahlen am 20. Mai 1928 fiel insgesamt aus dem Rahmen solcher Veranstaltungen, die jedenfalls in Bad Kreuznach regelmäßig ruhig und ohne Zwischenfälle verliefen. Das mag daran gelegen haben, dass die KPD nach den wenigen ruhigen Jahren der Weimarer Republik ihre ultralinke Kampfphase begann, in  der Kampf um Sowjet-Deutschland auf der Tagesordnung stand. Denn wie sonst ist etwa die Ansprache des Kreuznacher Stadtverordneten Fritz Bohr auf der 1. Mai-Veranstaltung 1928 zu verstehen, auf der er sinngemäß ausführte:

Der Kreuznacher KPD-Stadtrat Fritz Bohr kündigt gewalttätige Auseinandersetzung an:

„Der 1. Mai 1928 wird der letzte sein, der so friedlich verläuft, da sämtliche Parteien, die Sozialisten, die Nationalisten gegen die Kommunisten sind und alle Länder die Kommunisten bekämpfen, aber wir werden das Recht mit unseren Händen erkämpfen, selbst wenn Blut fließt.“


„Diese radikale Rhetorik und die auch tätlichen Auseinandersetzungen  - wie es sie in Bad Kreuznach und auch im ganzen Reich gab – hatten auf den ersten Blick keinen wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse der Reichstagswahlen (und auch der Wahlen zum preußischen Landtag) am 20. Mai 1928. Als Siegerin ging die SPD hervor, die 153 Mandate im Reichstag erzielte. Die KPD konnte immerhin mit 10,6 Prozent der auf sie entfallenden Stimmen die Zahl ihrer Sitze im Reichstag auf 54 leicht steigern; die NSDAP zog bei 2,6 Prozent der auf sie entfallenden Stimmen mit 12 Abgeordneten erstmals in den Reichstag ein. Aber – so werden damals sehr, sehr viele gedacht haben - was bedeuten diese wenigen Sitze der radikalen Parteien bei einer Gesamtzahl von 491 Abgeordneten im Reichstag. Dies war aber – was sich damals die wenigsten Wähler und Wahlbeobachter vorstellen konnten – der allererste Anfang vom Ende. Denn sehr schnell konnte die NSDAP bei den in immer kürzeren Abständen stattfindenden Wahlen ihre Anhänger mobilisieren, sehr viele neue gewinnen und die Zahl ihrer Abgeordneten vergrößern. 

Diese künftige Entwicklung ahnte man damals auch in Bad Kreuznach nicht. Eher freute man sich dort darüber, dass die „Hitler-Partei“ – wie sie damals noch vielfach genannt wurde – in der Stadt deutlich unter dem reichsweiten Ergebnis blieb. Denn der NSDAP gaben gerade einmal 96 von 11.202 Wählern in Kreuznach  ihre Stimme. Das war weniger als 1 Prozent, während die NSDAP reichsweit damals immerhin auf 2,6 Prozent der Stimmen kam.  

Wahlergebnis der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 – im gesamten Reich und in Bad Kreuznach - detailliert  HIER lesen

In dieser Zeit lernte Hugo Salzmann die gut zwei Jahre jüngere Änne Buchert kennen. Beide heirateten am 3. Oktober 1929 in Offenbach/Main. Wie auch von den späteren Ehen wissen wir praktisch nichts darüber, wie sich die Partner kennen gelernt hatten. Bei Änne und Hugo Salzmann steht zu vermuten, dass sie durch die politische Arbeit in der kommunistischen Jugend zusammenfanden. Änne hatte eine ähnliche Biografie wie Hugo. Auch sie stammte von beiden Elternteilen her aus einer Arbeiterfamilie. Ihr Vater war von Beruf Schuhmacher und schon als Lehrling gewerkschaftlich organisiert sowie dann auch Mitglied der SPD. Auch er war Soldat im Ersten Weltkrieg. Wie Hugos Mutter musste Ännes Mutter ihre Kinder – es waren drei – allein großziehen. Als der Vater aus dem Krieg zurückkam, fand er wieder eine Anstellung in seinem Beruf, war weiterhin aktiver Gewerkschafter, trat aber enttäuscht über die Rolle der SPD und ihrer Führer in der sog. Novemberrevolution nach 1918/19 aus der SPD aus. Änne lernte Schärferin im selben Betrieb wie ihr Vater und war ebenfalls gewerkschaftlich organisiert. Bald fand sie über die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) zum Kommunistischen Jugendverband (KJVD). Dort arbeitete sie von Anfang an mit und nahm an vielen Veranstaltungen, an politischen Schulungen u.ä., teil. Sicherlich dadurch und vielleicht auch im Zusammenhang mit der eigenen Verwandtschaft in Mainz lernten sich Änne und Hugo kennen.

Änne Buchert/Salzmann, um 1930
Quelle: Studienkreis Deutscher Widerstand

Nach der Heirat zog Änne zu Hugo in die Beinde 21 in Bad Kreuznach. Aber die beiden merkten schnell, dass sie nicht zueinander passten. Der ähnliche familiäre Hintergrund, die ganz ähnliche Sozialisation, die gleichen gewerkschaftlichen und politischen Anschauungen und Aktivitäten waren kein Garant für eine feste und auf Dauer angelegte Beziehung.  Schon nach einigen Monaten, im Frühjahr 1930, zog Änne Salzmann wieder aus der gemeinsamen Wohnung in der Beinde 21 aus. Die Scheidung der Ehe im Jahr 1932 war dann nur noch eine Formsache. Änne ging nach Frankfurt/Main. Dort bekam sie schnell Kontakt zur KPD und arbeitete in der Partei aktiv mit. Bereits zu Ostern 1933 wurde sie in „Schutzhaft“ genommen. Nach einer weiteren Verhaftung machte man ihr  den Prozess wegen Vorbereitung eines hoch- verräterischen Unternehmens. Dementsprechend verurteilte sie der Strafsenat des Oberlandesgerichts Kassel zu sechs Jahren und  sechs Monaten Zuchthaus. Nach Ver- büßung der Strafe kam sie im März 1942 frei und musste dann bei einer Schuhfirma in Offenbach am Main arbeiten. Dort wurde sie befreit. Bald war sie am Aufbau der KPD beteiligt, war Leiterin der Betreuungsstelle für die politisch, rassisch und religiös ver- folgten NS-Opfer in Offenbach und Gründungsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Ihr soziales Engagement brachte sie in ihre Tätigkeit beim Sozialamt der Stadt Offenbach ein. Dort arbeitete sie von 1946 bis zu ihrer Pen- sionierung im Jahr 1965.


Änne Salzmann, 1947 
Quelle: Studienkreis Deutscher Widerstand

Für ihr vielfaches und breit gefächertes Engagement wurde Änne Salzmann wiederholt ausgezeichnet. Kurz vor ihrem 100. Geburtstag starb sie im Jahr 2005. Die Ehe mit Hugo Salzmann war damit nur eine kurze Episode in ihrem langen Leben. Umso mehr erstaunt, dass Änne Salzmann, zumal sie schon Anfang der 1930er Jahre in Frankfurt ihren Lebensgefährten Walter Strüwe kennen gelernt hatte, den Ehenamen Salzmann beibehalten hat – und als Änne Salzmann auch gestorben ist.


Straße „Beinde“ in der Altstadt von Bad Kreuznach, erster eigenständiger Wohnsitz Hugo Salzmanns, um 1900 
(Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

 

„In einer revolutionären Kampfzone“.


Zur gleichen Zeit, als diese erste Ehe Hugo Salzmanns offensichtlich einer Belastungsprobe ausgesetzt war und dann bald zerbrach, widerfuhr der ersten deutschen Demokratie ein ähnliches Schicksal. Die Jahre ab 1924 brachten zwar einen wirtschaftlichen Aufschwung, dieser war aber doch krisenanfällig und schwächelte 1928 bereits erheblich. Am 24. Oktober 1929 ging es dann ganz rapide bergab. An diesem Tag, dem „Schwarzen Freitag“, verfielen die Aktienkurse an der New Yorker Börse dramatisch. Es war der bisher größte Börsenkrach. Er löste die Weltwirtschaftskrise aus.

Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise begann die Saat der Nationalsozialisten aufzugehen. Bei den Wahlen zum Preußischen Provinziallandtag konnten die Nazis im Vergleich zu den Landtagswahlen am 20. Mai 1928 ihr Ergebnis um fast 160 Prozent steigern. Waren es 1928 noch ca. 350.00 Wähler, so  waren es 1 ½ Jahre später fast 900.000, die die NSDAP wählten. Das brachte zahlreiche Nazis in den Provinziallandtag. Ähnlich sah das Ergebnis bei den am selben Tag abgehaltenen Kommunalwahlen aus. Auch hier gewann die NSDAP hinzu. Ebenfalls Wahlgewinner waren die Kommu- nisten. In Bad Kreuznach konnte die KPD die Zahl ihrer Stadtverordneten von 4 auf 6 erhöhen. Einer der neuen Stadt- verordneten war Hugo Salzmann. Er war mit seinen 26 Jahren zugleich das jüngste Mitglied und übernahm das Sozialreferat für Erwerbslose und Ausgesteuerte.

Wahlergebnis der Stadtverordnetenversammlung von Bad Kreuznach am 17. November 1929 - HIER lesen

Neben dem Vorsitzenden August Domidian stieg Salzmann zum dominierenden Kreuznacher KPD-Mann auf. Ihm kam dabei seine langjährige Arbeit im Deutschen Metallarbeiterverband und als Betriebsratsvorsitzender zustatten. Der Metallarbeiterverband war nicht nur traditionell weit links orientiert, sondern hatte innerhalb der Gewerkschafts- bewegung eine starke Position, gerade auch in Bad Kreuznach. So wurde Hugo Salzmann auf Kreisebene zweiter Vorsitzender des Zusammenschlusses der einzelnen Berufssparten der Freien Gewerkschaften - das nannte man Kreis- kartell des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) - und dann auch 2. Vorsitzender des Ortskartells Bad Kreuznach des ADGB.

Durch diese Verankerung in der Gewerkschaftsbewegung hatte sich Salzmann eine gute Ausgangsposition geschaffen, um die Strategie der KPD vor Ort umzusetzen. Die Kommunisten hatten schon zu Beginn des Jahres 1930 den „Eintritt in eine revolutionäre Kampfzone“ proklamiert. Ihre Agitation war darauf gerichtet, den Kreis der Sympathisanten und Wähler zu erweitern und die Massen zu gewinnen – und dies auf Kosten der SPD, die zögernd und durch ihre Regierungsbeteiligung in einer großen Koalition gehandikapt war. Als Ernst Thälmann im Frühjahr 1930 aus Moskau zurückkehrte, erging sein Aufruf „zum Endkampf für die Befreiung der Arbeiterschaft, zum Sturz des Kapitalismus, für die proletarische Diktatur“, für eine „Verteidigung unseres sozialistischen Vaterlandes, der Sowjetunion“, für den „Kampf gegen den Sozialfaschismus“ und für „die deutsche und die Weltrevolution“.

Die Resonanz war sogleich auch bei der Kundgebung zum 1. Mai 1930 in Bad Kreuznach zu bemerken. So heißt es im dem Bericht der Polizeiverwaltung Bad Kreuznach vom 2. Mai 1930 an den Landrat von Bad Kreuznach über die Maifeier 1930: 

Polizeibericht über den 1. Mai 1930 in Bad Kreuznach:

„Am 1. Mai d. Js. abends 6 Uhr stellte sich ein Demonstrationszug mit vier roten Fahnen, zwei Musikkapellen und etwa 270 Personen am Schillingshof auf. Punkt 6.15 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung und marschierten die Teilnehmer …. nach dem Eiermarkt. Im Zug wurden Schilder mit folgenden Aufschriften mitgeführt: Ein großer roter Tuchstreifen mit der Inschrift: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“, ein anderer Tuchstreifen mit der Inschrift: „Es lebe der Kampf für ein Sowjet-Deutschland“, kleine Schilder mit Inschriften wie: „Weg mit dem Reichstag“, „Kämpft für höhere Löhne“, „Kämpft für die 40-Stunden-Woche“. „Kämpft gegen Zollwucher und Steuererhöhung“, „Nieder mit der Hunger- regierung“, „Wir wollen Brot und Arbeit“, „Betriebsarbeiter und Erwerbslose kämpft gemeinsam gegen die Hunger- diktatur“.

Nach dem Eintreffen auf dem Eiermarkt ergriff zunächst der 1. Vorsitzende des Gewerkschaftskartells, Stadtverordneter Hugo Salzmann, das Wort und begrüßte die Erschienenen. Er gab dann dem Referenten Stadtverordneten August Domidian das Wort.(…)

Salzmann sprach das Schlusswort, ermahnte zum Zusammenhalten und brachte ein Hoch auf die internationale Arbeiterschaft aus. Die Kundgebung ist ruhig verlaufen. Der Demonstrationszug kehrte zum Schillingshof zurück, wo er sich auflöste.“

 

Ein wichtiges Thema zum 1. Mai waren – wie zu lesen war – die Arbeitslosigkeit und der Hunger. Auch in Kreuznach hatte sich ein Erwerbslosenausschuss gebildet. An seiner Spitze stand Hugo Salzmann. Das sollte für ihn eine wichtige Plattform werden, die er konkurrenzlos besetzen konnte. Auf Versammlungen erreichte er eine beträchtliche Zahl von Zuhörern und konnte mit diesem Thema und in diesem Zuhörerkreis auch kommunistische Propaganda machen. Immer wieder griff er das Arbeits- und Berufsamt der Stadt an. Mit besonderer Schärfe sprach er über einige Sonderfälle, tadelte vor allem die hohen Gehälter der Beamten des Arbeitsamtes und die Willkür, mit der sie seiner Meinung nach vorgingen. Der Polizeibericht meinte dazu, es sei eine politische Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten gewesen, das Erwerbslosenproblem habe demgegenüber gar keine Rolle gespielt.

Der Treffpunkt der Kreuznacher KPD: die Gaststätte „Schillingshof“ in der Mannheimer Straße
(Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

Immer wieder griffen die Kommunisten und auch Hugo Salzmann die Sozialdemokraten an. Getreu der Parole Stalins, Faschismus und Sozialdemokratie seien keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder, diffamierten sie die Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“.

Wenn man die „Sozis“ überhaupt zu Wort kommen ließ, dann zu den eigenen Bedingungen und um sie  zu einem ungleichen Rededuell zu drängen. Hugo Salzmann trat beispielsweise im Juli 1930 nach einer - wie der Polizeibericht vermerkte – „üblichen kommunistischen Hetzrede gegen Sozialdemokratie und Nationalsozialisten, die beide an dem Elend und der Versklavung der Arbeiterschaft schuld seien“, ans Rednerpult der KPD-Versammlung. Sodann forderte er die anwesenden Sozialdemokraten und Nationalsozialisten auf, zu den Ausführungen des kommunistischen Redners Stellung zu nehmen, und wollte ihnen eine halbe Stunde Redezeit einräumen. Als sich in den nächsten fünf Minuten niemand zu Wort meldete, diffamierte er die Führer der Sozialdemokratie und der Nationalsozialisten als Feiglinge und erbärmliche Menschen, die nur hinter den Kulissen schimpfen könnten. 

Häufiger Versammlungsort: Der Eiermarkt mit Michel Mort-Denkmal, vor 1918 
(Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

Geradezu unerbittlich waren die Kommunisten und auch Hugo Salzmann gegen alles, was sie nicht selbst initiiert hatten oder kontrollieren konnten. So gelang es ihnen auch, die Räumung des Rheinlandes durch die französischen Besatzungstruppen, die von den Rheinländern und von der großen Mehrheit aller Deutschen bejubelt und als „Tag der Befreiung“ gefeiert wurde, klein zu reden. Zur Räumung der 3., der Mainzer Zone, am 30. Juni 1930 meinte Salzmann nur: Es würde viel von Befreiungsfeiern geredet, wenn die Franzosen fortgingen. Die Kommunisten feierten keine Befreiung, denn wenn der französische Kapitalismus fortginge, erscheine der deutsche Kapitalismus auf der Bildfläche. Die Kommunisten feierten eine Befreiungsfeier, wenn die Weltrevolution komme. 

Inzwischen hatte die Zerstörung der ersten deutschen Demokratie begonnen. Die letzte demokratisch legitimierte Reichsregierung, eine Große Koalition unter Führung des SPD-Reichskanzlers Hermann Müller, war – vordergründig - über die Frage nach einer Erhöhung der Arbeitslosenversicherung zerbrochen. Dann folgten gar keine parlamentarisch legitimierten Regierungen mehr, sondern nur noch Präsidialkabinette. Das waren Reichsregierungen, die keine Mehrheit im Reichstag hatten, sondern im Wesentlichen vom Wohl- wollen des greisen Reichspräsidenten von Hindenburg abhängig waren, sie waren – wenn man so will – Hindenburg-Regierungen. Da die so unter dem Kanzler Brüning (Zentrum) etablierte Reichs- regierung für ihre Gesetzesvorlagen keine Mehrheit im Reichstag fand, löste man ihn auf und bestimmte Neuwahlen für den 14. September 1930.

1. Sonderseite der Kreuznacher Zeitung 
vom 30. Juni 1930 zur „Befreiung der Rheinlande“

Wieder gab es zahlreiche Parteiversammlungen. Hugo Salzmann war dabei besonders aktiv, denn er war von seiner Partei als Kandidat für den Reichstag aufgestellt worden.

Dabei scheute er sich nicht, den politischen Gegner auch persönlich zu attackieren, wie er es als Leiter einer kommunistischen Wahlversammlung am 5. September 1930 auch genüsslich tat. Nach einem Zeitungsbericht hatte er ca. 600 Personen in den städtischen Saalbau versammeln können. Es waren Anhänger aller Parteien, von denen viele aus Sensationslust gekommen waren. Sie wollten die angekündigte Debatte gegen die Nationalsozialisten und die Enthüllungen Salzmanns gegen den in weiten Kreisen bekannten und angesehenen Arbeiterführer Franz Gruber miterleben. Sie kamen aber nicht recht auf ihre Kosten. Jedenfalls die Auseinandersetzung mit den Nazis fand nicht statt. Und auch die „Enthüllungen“ gegen den Sozialdemokraten Gruber waren nicht sensationell und bewegten sich in den Bahnen, wie damals Kommunisten Sozialdemokraten persönlich in Misskredit zu bringen pflegten. 

Bericht über die kommunistische Wahlversammlung am 5. September 1930 mit Hugo Salzmann:

(Salzmann) bezeichnete das Verhalten Grubers, nicht zu erscheinen, um der Arbeiterschaft Rede zu stehen, als feige und eines Arbeitervertreters unwürdig. Die hiesige Sozialdemokratie sei bestrebt, an die Futterkrippe zu kommen.(…) Das Arbeitsamt erfülle nicht im Geringsten seine Pflicht. Ob ein Hermann Müller oder Brüning an der Spitze der Regierung stände, der Vorsitzende werfe rücksichtslos Arbeiter auf die Straße, kürze ihre Unterstützung im Interesse seines Postens. 12.000 Reichsmark Gehalt erhalte der Vorsitzende des Arbeitsamtes (ein gewisser Schröder, Ergänzung d. Autors), ein Zentrumsmann 8.000 Reichsmark, ein Rausschmeißer ehrlicher Arbeiter 5.000 Reichsmark und das unvermeidliche Fräulein vom Amt, das unbedingt mit von auswärts kommen musste, erhält die gleiche Summe. So sehe die Arbeiterfreundschaft der Sozialdemokratie aus. Die Sorge um das eigene Wohlergehen sei bestimmend.
(zitiert nach: Öffentliche Anzeiger vom 8. September 1930)


Ein Schlaglicht auf die Situation vor Ort wirft auch ein Bericht über die letzte Versammlung der KPD vor den Wahlen, die von 1.200 Interessierten besucht war und ruhig und ohne Störungen ablief. Salzmann leitete sie als Vorsitzender, forderte zum Schluss auf, die KPD und wählen, und rief dann aus: „Wir kämpfen für Freiheit, Arbeit, Brot und Macht! - Proletarier aller Länder vereinigt Euch! Es lebe der Kampf um Sowjet-Deutschland!“

Bei den anschließenden Wahlen zum Reichstag  am 14. September 1930 bewarben sich 25 Parteien um die Stimmen von 42,8 Millionen Wahlberechtigten. Die Wahlen standen ganz im Zeichen der Weltwirtschaftskrise und deren Folgen. Sie endeten mit der größten Überraschung in der Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland. Bei einer höheren Wahlbeteiligung als bei den letzten Wahlen im Jahr 1928 erreichte die NSDAP sensationelle Stimmengewinne. War sie bei den letzten Wahlen mit 2,6 Prozent der abgegebenen Stimmen und 12 Mandaten noch eine Splitterpartei gewesen, so erreichte sie jetzt 18,3  Prozent der abgegebenen Stimmen und konnte die Zahl ihrer Sitze im Reichstag fast verneunfachen. Mit 107 Abgeordneten stellte sie die zweitstärkste Fraktion (hinter der SPD, aber noch vor der KPD). Dabei gewannen auch die Kommunisten Stimmen und Mandate hinzu, alle anderen Parteien gehörten zu den mehr oder minder großen Verlierern. aber in erheblich geringerem Umfang. Der Wahlausgang war gekennzeichnet durch einen erheblichen Stimmenzuwachs der republikfeindlichen Flügelparteien der NSDAP und der KPD, vor allem der NSDAP, sowie durch eine weitere Schwächung der bürgerlich-liberalen Mitte und auch der DNVP. Die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ brachte es auf den Punkt: „Die Putschparteien im Vormarsch“. 

Bei diesen Reichstagswahlen standen eindeutig die Folgen der Weltwirtschaftskrise im Mittelpunkt des Wahlkampfes und der Wahlentscheidung. Von diesem Thema konnte die NSDAP am meisten profitieren. Dabei schürten die Nazis auch Vorurteile gegen die Parteien und den Parlamentarismus, beförderten die verbreitete Sehnsucht nach einer starken politischen Führung sowie die antimarxistische Einstellung weiter bürgerlich-mittelständischer Kreise, in denen man sich vor einem erneuten Anwachsen der Sozialdemokraten und – mehr noch – der Kommunisten fürchtete. 

In der Stadt Bad Kreuznach waren die Stimmengewinne für die NSDAP nicht so hoch wie im gesamten Deutschen Reich. Hier brachten es die Nazis bei 9.259 abgegebenen Stimmen „nur“ auf 797 Stimmen. Stärkste Partei war in Bad Kreuznach die KPD mit 2.680 Stimmen, gefolgt vom Zentrum mit 2.563 Stimmen. Drittstärkste Partei war die SPD mit 2.250 Stimmen. Die Deutsche Volkspartei und die Deutschnationale Volkspartei kamen zusammen auf 1.705 Stimmen.

Ergebnis der Reichstagswahl vom 14. September 1930 – im gesamten Reich und Bad Kreuznach - HIER lesen 

 

Ankündigung der Wahlversammlung der KPD am 5. September 1930
 in Bad Kreuznach  mit dem Reichstagskandidaten Hugo Salzmann

Anders als für andere Kommentatoren der Wahlen war für die KPD nicht etwa der Vormarsch der Rechtsradikalen, sondern vielmehr die Einbußen der „verräterischen“ SPD und die eigene Zunahme das entscheidende Ergebnis der Wahl. Dabei musste sich der Beobachter ernstlich fragen, was solche Wahlen für die republikfeindlichen Parteien von NSDAP und auch KPD überhaupt bedeuteten. Denn sie hatten an der parlamentarischen Willensbildung gar kein Interesse. Das von der KPD erstrebte Ziel „Sowjet-Deutschland“ ließ sich sicherlich nicht mit dem Stimmzettel erreichen. Aber solche Wahlergebnisse waren andererseits auch Zeichen der eigenen inneren Kraft und konnten beflügeln.

Abschrift von „Leuchtrakete“ Nr. 3 vom 2. Oktober 1930 HIER lesen

Ihr Kern war eine Sanierung der öffentlichen Haushalte, die sog. Deflationspolitik. Danach sollten die Haushalts- und Schuldenprobleme von Reich, Ländern und Gemeinden durch drastische Einsparungen bei den Sach- und Personalkosten gelöst werden. Diese Politik wollte die Krise in erster Linie auf dem Rücken der Arbeiter und Arbeitslosen bewältigen und war damit sozial unausgewogen. Aber nicht nur das. Sie war nicht nur kein Mittel gegen die Krise, sondern verschärfte sie noch. Durch die Kürzung der Staatsausgaben und das Absinken der privaten Einkommen hatte das Gros der Bevölkerung deutlich weniger Geld zur Verfügung, die Nachfrage nach Konsumgütern sank und damit auch die Produktion. Die Folge waren weitere Entlassungen und mit zunehmender Arbeitslosigkeit sanken die privaten Einkommen und die Nachfrage weiter. Es war eine nach unten sich weiter drehende Spirale.

Diese Politik im Großen kam auch in Bad Kreuznach an, als Hugo Salzmann im Stadtrat den Antrag stellte, bedürftigen Kreuznachern eine Weihnachtsbeihilfe zu zahlen. Die bürgerlichen Parteien lehnten solche Leistungen ab, da dafür keine Deckung im Haushalt vorhanden sei. Daraufhin forderte Salzmann, alle hohen Gehälter auf 7.000 Reichsmark (wohl im Jahr) abzubauen und die Polizeikosten(!) in Höhe von 225.000 Reichsmark ganz zu streichen. Wenn diese populistischen Forderungen natürlich auch abgelehnt wurden, so hatten sie doch etwas bewegt und die Stadt griff zu einer ganz ungewöhnlichen Maßnahme: Sie veranstaltete eine Sammlung zugunsten der Winterbeihilfe. Das zog sich aber noch etwas hin, auch erwog man, die Unterstützung in Raten auszuzahlen. Da ließ aber Salzmann nicht mehr locker. Er forderte und setzte eine dementsprechende Resolution durch,  dass die Winterbeihilfe auf einmal und bis zum 15. Dezember 1930 ausbezahlt würde. Erfolge sie nicht – so Salzmann weiter – würde der Erwerbslosenausschuss am 24. Dezember – an dem Tag, an dem „Und Friede auf Erden“ gesungen werde – einen gewaltigen Kreisdemonstrationszug der Erwerbslosen in Bad Kreuznach veranstalten und damit weiter Druck machen. Das blieb nicht ohne Wirkung. Während der Landrat schon Überlegungen anstellte, wie die Polizei dieser Veranstaltung begegnen solle, zahlte die Stadt noch vor Weihnachten die Winterbeihilfe aus. Damit erhielten die Erwerbslosen vor Weihnachten nicht nur diesen dringend benötigten Zuschuss, sondern es erledigte sich auch die angedrohte Demonstration.

 

Aufmärsche und Demonstrationen.


Kaum war die Winterbeihilfe für die Erwerbslosen aus den örtlichen Nachrichten verschwunden, kündigte sich ein neues Thema an: Am 18. Januar 1931 jährte sich zum 60. Mal der Gründungstag des Deutschen Reiches (am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal im Schloss von Versailles bei Paris). Dies nahmen Traditionsverbände und die Reichswehr zum Anlass für Feierlichkeiten; auch die Reichsregierung beging im Reichstag den Tag als Nationalfeiertag. 

Der „Stahlhelm“ hatte sich für seine Feierlichkeiten in der Region Bad Kreuznach ausgesucht. Die Veranstaltungen am 17. und 18. Januar 1931 begannen mit einer Weihestunde und endeten mit einem Fackelzug und einem Großen Zapfenstreich. 

Aber nicht nur die „Stahlhelmer“ waren für diese Veranstaltungen gerüstet. Die Kommunisten waren es auch. Die Polizeiverwaltung, die entgegen Salzmanns Antrag nicht abgeschafft war, berichtete über die Störungen der Kommunisten wie folgt: 

Polizeibericht über die Reichsgründungsfeier des „Stahlhelm“ am 17./18. Januar 1931 in Bad Kreuznach:

„Aus Anlass der vom Stahlhelm veranstalteten Reichsgründungsfeier kam es zu starken Gegendemonstrationen kommunistischer Gruppen. Der Fackelzug des Stahlhelm wurde an verschiedenen Stellen der Stadt von der johlenden und pfeifenden Menschenmenge begleitet, die an einzelnen Stellen auch zu aktiven Angriffen durch Werfen von Steinen usw. überging, so dass einzelne Stahlhelmer verletzt wurden. Zu größeren Aktionen kam es erst bei der Schlussfeier des Stahlhelm auf dem Bismarckplatz, wo der Zapfenstreich durch dauerndes Johlen, Pfeifen und Absingen der Internationale stark beeinträchtigt wurde. Die Polizei, die nach den gesetzlichen Bestimmungen der angemeldeten Veranstaltung des Stahlhelm Schutz zu verleihen hatte, ging darauf zum Zwecke der Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung zur Säuberung des Bismarckplatzes und der angrenzenden Mannheimer Straße über. Die Mitglieder des Stahlhelm zogen sich nach Beendigung des großen Zapfenstreichs unbehelligt zurück. Daraufhin rückten auch die Polizeikräfte ab. Kurz darauf sammelten sich auf dem verlassenen Bismarckplatz große Haufen radaulustiger Elemente, zogen durch die Mannheimer Straße, brüllten, johlten und pfiffen, so dass die Polizei erneut alarmiert werden musste und nun, da freiwillig der Bismarckplatz und die angrenzenden Straßen nicht geräumt wurden, energisch mit dem Gummiknüppel die Räumung veranlasste. Bis zur Wiederherstellung der Ruhe musste noch wiederholt an verschiedenen Stellen eingeschritten werden. Die Polizei war stets Herr der Lage.“ 


Mitte März 1931 war der „Stahlhelm“ wieder da. Diesmal kamen „Stahlhelmer“ aus der Pfalz zum ihrem 
„1. Frontappell des Gaues Pfalz“ nach Kreuznach. Für das preußische Bad Kreuznach hatten sie sich entschieden, weil sie in ihrer Stahlhelm-Uniform den „Frontappell“ feiern wollten und in der bayerischen Pfalz für sie noch das Uniformverbot galt.    


Endpunkt zahlreicher Demonstrationsveranstaltungen: Der Bismarckplatz (heute: Kornmarkt)  mit Mannheimer Straße, um 1910 
(Quelle: Kreismedienzentrum Bad Kreuznach) 

Der Nahe Stahlhelm – Erinnerungsblatt an den ersten Frontappell des Gaues Pfalz – Bad Kreuznach 14./15 März 1931: 

„Wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen Kommunisten und den ca. 4.000 „Stahlhelmern“. 


Original Presse-Artikel HIER lesen

Wie unterschiedlich die Wahrnehmung dieser und anderer Ereignisse war und deren Wiedergabe sein konnte, macht exemplarisch die Darstellung von Hugo Salzmann in der „Leuchtrakete“ Nr. 9 vom 18. Januar 1931 deutlich. Beim Lesen hat man das Gefühl, beide Berichte beträfen nicht dasselbe Ereignis. Die Wahrheit wird dabei wohl irgendwo zwischen diesen beiden Darstellungen liegen.

Hugo Salzmanns „Leuchtrakete“ Nr. 9 vom 18. Januar 1931
(Quelle: antifa-Archiv Hermann W. Morweiser)

Abschrift von „Leuchtrakete“ Nr. 9 vom 18. Januar 1931 HIER lesen

Die Kreuznacher Kommunisten und namentlich Hugo Salzmann nahmen gegen diesen paramilitärischen „Frontappell“ des „Nahe Stahlhelm“ entschieden Stellung.  Ausweislich eines Berichts der Kölnischen Zeitung vom 16. März 1931 äußerten sie sich in einer Nachlese zum „Frontappell“ wie folgt:

Nachlese der Kreuznacher Kommunisten zum Frontappell des Stahlhelm am 14./15. März 1931 in Bad Kreuznach:

In einer Nachlese dieser gegnerischen Veranstaltungen holten die Kreuznacher Kommunisten zum Rundumschlag aus: Die Braunen (die Nazis) und die Grauen (die „Stahlhelmer“) wollten die Arbeiter wieder in einen neuen Krieg führen. Die sozialdemokratischen Führer hielten diesen bei ihrem Kampf gegen die Volksfreiheit den Steigbügel, sie führten die Arbeiter den Weg zum Untergang. Die sozialdemokratischen Führer leisteten den Faschisten Hilfspolizeidienste und bereiteten deren Herrschaft vor. Es dürfe keinen nationalsozialistischen Terrorakt mehr geben, der nicht mannhaft erwidert werde. Es müsse Schluss sein mit den Phantomen Republik und Demokratie. Wenn eine neue Revolution komme, würden die Kommunisten dafür sorgen, dass die Macht dem Proletariat nicht wieder entglitte. Unter dem lebhaften Beifall von 1.500 Zuhörern erklärte Salzmann, die Kreuznacher hätten genug vom Militarismus und wollten keine solchen militärischen Demonstrationen in ihren Mauern. Es gelte jetzt, eine Einheitsfront der Arbeiter zu schmieden. Eine solche Entwicklung zeichne sich auch ab. Sozialdemokraten, die schon 20 Jahre lang dort Mitglied seien, kämen jetzt zu Tausenden zu ihnen, weil sie erkannt hätten, dass ihre Führer den Faschismus unterstützten. 

 

Da war er nun der Ruf nach gemeinsamem Handeln der Arbeiterparteien gegen den Faschismus, die sog. anti- faschistische Front – aber der Ruf klang hohl. Denn in Wahrheit wollten die Führer der KPD keine gemeinsame Front mit „der SPD“. Vielmehr ging es ihnen nur um die einfachen Mitglieder der SPD und deren Sympathisanten, sie wollten sie  zu sich herüberziehen. Die Führer der SPD wurden weiter diffamiert und beschimpft. Dies war geradezu die Taktik, um zwischen der SPD-Basis und der Führung und Organisation der SPD einen Keil zu treiben, die Basis so für sich zu gewinnen und insgesamt die SPD zu schwächen. Die Sammlung dieser Antifaschisten sollte im Antifaschistischen Kampfbund erfolgen, dessen Anführer in Bad Kreuznach Hugo Salzmann war.

Aus dieser Zeit ist eine weitere von Hugo Salzmann geschriebene und herausgebrachte „Leuchtrakete“ überliefert, die Nummer 15 vom 12. Juni 1931.

In ihr kommt Hugo Salzmann auf den Haushaltsplan  für die Stadt Bad Kreuznach von 1931 und die sehr schlechte wirtschaftliche und soziale Lage der arbeitenden Bevölkerung, der Erwerbslosen und Wohlfahrts- empfänger zu sprechen. 

Hintergrund war, dass sich die Wirtschaftskrise noch durch eine schwere Bankenkrise verschärfte und inzwischen mehr als 5 Millionen Menschen arbeitslos waren. Die Regierung Brüning setzte unterdessen ihre Sanierung der öffentlichen Haushalte fort (sog. Deflationspolitik). Dies verschärfte die Krise weiter. Durch die rigorosen Kürzungen der Staatsausgaben fiel der Staat als Abnehmer von Gütern und Dienstleistungen zunehmend aus.  Zudem drückten verschiedene Notverordnungen die privaten Einkommen herab.

Das geschah z.B. durch die die 2. Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 2. Juni 1931. Damit wurden Löhne, Gehälter und Renten der Arbeiter, Angestellten und Beamten um 5 bis 8 Prozent gekürzt. Die Reichsregierung wurde ermächtigt, die Mehrarbeit ein- zuschränken und die 40-Stundenwoche für einzelne Gewerbe, Gewerbe- zweige, Verwaltungen und Gruppen von Arbeitnehmern einzuführen. Die Altersgrenze der Unterstützungsempfänger wurde von 16 auf 21 Jahre heraufgesetzt, verheiratete Frauen erhielten als Arbeitslose nur noch  „im Bedarfsfall“ finanzielle Zuwendungen.

Dadurch verringerte sich die Kaufkraft der Bevölkerung mit der weiteren Folge, dass die Nachfrage auf dem Binnenmarkt zurückging. Die Reaktion der Unternehmer waren die Drosselung der Produktion und die Entlassung weiterer Arbeiter.

Hugo Salzmanns „Leuchtrakete“ Nr. 15vom 12. Juni 1931 
(Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

 

Zur Situation in Bad Kreuznach schrieb Hugo Salzmann folgendes in der „Leuchtrakete“ vom 12. Juni 1931:

Abschrift von „Leuchtrakete“ Nr. 15 vom 12. Juni 1931 HIER lesen  Link

Als dann zu Pfingsten 1931 wie auch in anderen Städten „Rote Tage“ stattfinden sollten und der Antifaschistische Kampfbund in Bad Kreuznach ein großes Treffen mit Kundgebungen und mit Aufzügen veranstalten wollte, wurde dies verboten. Grundlage hierfür dafür ein Runderlass des Preußischen Ministers des Innern vom 16. Mai 1931, mit dem gerade der Bade- und Kurbetrieb in den Kurorten geschützt werden sollte.

Runderlass des Preußischen Ministers des Innern vom 16. Mai 1931:
  
„Wie ich aus der Tagespresse ersehe, besteht bei verschiedenen politischen Gruppen und Verbänden die Absicht, auch in diesem Sommer in den Bädern Demonstrationen und Aufzüge zu veranstalten. Ich kann nur der dringenden Erwartung Ausdruck geben, dass von derartigen Unternehmungen Abstand genommen wird im Hinblick auf den schweren Existenzkampf der deutschen Bäder und die Pflicht aller deutschen Volksgenossen, den kranken, wie auch den erholungsbedürftigen In- und Ausländern Zeit und Erfolg ihrer Kur nicht zu beeinträchtigen. Wo gleichwohl Pläne solcherart hervortreten, haben die Landes- bzw. die Ortspolizeibehörden auf die Veranstalter einzuwirken, um sie zu einer freiwilligen Abstandnahme zu veranlassen. Im Übrigen verweise ich auf § 1 der Notverordnung vom 28. März 1931 (Reichsgesetzblatt I S. 79), demzufolge die Polizeibehörden in jedem Einzelfall besonders sorgfältig zu prüfen haben, ob etwa nach den Umständen die Besorgnis gerechtfertigt erscheint, dass durch solche Veranstaltungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet wird. Gegebenenfalls ist von den Handhaben der Notverordnung Gebrauch zu machen.“


Viele Kommunisten ließen sich mit dem Verbot aber nicht abhalten, nach Bad Kreuznach zu kommen. An die 800 Personen sollen es gewesen sein, die in Kleingruppen immer wieder zusammenkamen und dann auch das Kurviertel mit überlauten Gesängen durchzogen. Den zahlreichen, auch aus Koblenz abkommandierten Polizisten gelang es aber, diese Gruppen zu zerstreuen und einen regulären Umzug zu unterbinden. Nachts hatten die Teilnehmer Kreuznacher Straßen mit Parolen beschrieben wie: „Rot Front!“ – „Nieder mit den Pfaffen“ – „Kreuznach ist und bleibt rot“ – Rotfront bleibt und marschiert trotz Verbot“.

 

Die Gewalt nimmt zu.


Mit solchen Verboten konnten die immer gewalttätiger werdenden Auseinandersetzungen vor allem zwischen der SA und dem Rot-Frontkämpferbund nur begrenzt, nicht aber verhindert werden. Die politische Gewalt mit Straßenkrawallen und Saalschlachten wurde jetzt zu einer alltäglichen Erscheinung. Oft kam die Polizei zu spät; dabei sympathisierten immer mehr Polizisten mit den Rechtsradikalen. Es dauerte dann nicht mehr lange, bis diese politische Gewalt auch Bad Kreuznach erreichte. Eines der ersten Opfer  war Hugo Salzmann. Im Jahr 1931, der genaue Zeitpunkt kann nicht mehr ermittelt werden, galt ihm ein nächtlicher Anschlag der Nazis.

Als er wieder einmal mit seinem Motorrad zu einer Versammlung unterwegs war, hatten sie in der Nacht über die Fahrbahn ein Stahlseil gespannt, in dem er sich verfangen und zu Tode stürzen sollte. Der Plan gelang aber nicht vollständig. Hugo Salzmann verlor zwar die Kontrolle über seine Maschine, kam aber mit einigen Blessuren und mit dem Schrecken davon 

Hugo Salzmann im Krankenhaus nach dem missglückten Anschlag, 1931 ( Quelle: privat)

Ende Oktober 1931 kam diese Gewalt auch bei einer Versammlung der NSDAP zum Ausbruch. Begonnen hatte die Veranstaltung mit ca. 1000 Teilnehmern, davon knapp die Hälfte Kommunisten. Referent war ein NSDAP-Parteiredner aus Berlin, der mit einem Referat eines Nationalsozialisten aus Berlin, der zum Thema „Hakenkreuz und Sowjetstern“ sprach und insbesondere schilderte, wie er als KPD-Aktivist vor einigen Jahren zum Nationalsozialismus kam. Dabei gab es markige Aussagen wie diese: „Die Kommunisten sind weiter nichts, als die irregeleiteten Schachfiguren Stalins, der sich den Teufel um das Wohlergehen der internationalen Arbeiterschaft kümmert, sondern als russischer Nationalbolschewist nur Russland wieder aufrichten will. Ins Parlament sind wir nur gegangen, um dem betrogenen Volk die Wahrheit zu zeigen und das Parlament dann zum Teufel zu jagen.“ In der anschließenden Diskussion sprachen dann der Kommunist Domidian und auch Hugo Salzmann. Salzmann verwies darauf, dass die Auseinandersetzung nicht zwischen Hakenkreuz und Sowjetstern, sondern zwischen Kapitalismus und Bolschewismus stattfinden werde. Dabei stünden die Nazis auf der Seite des Großkapitals, während die Arbeiter der NSDAP zu den Kommunisten kommen würden. Er schloss dann mit dem Ruf“ Rot Front!“, in den ein Teil der Versammlung einstimmte, während der andere Teil lebhaft protestierte.Dann setzte – ohne dass weiteres bekannt ist – ein allgemeiner Tumult ein. Zu diesem heißt es im Öffentlichen Anzeiger vom 29. Oktober 1931:

Zeitungsbericht über die Versammlung der NSDAP am 28. Oktober 1931 in Bad Kreuznach:

„Stühle sausen krachend auf die Köpfe nieder, fluchtartig verlassen zahlreiche Besucher den Saal, zerbrochene Fensterscheiben klirren. Mehrere Frauen werden ohnmächtig, andere stürzen, der Kampf geht über sie hinweg. Die ersten Verwundeten laufen mit blutiger Nase davon. Ein großes Polizeiaufgebot, verstärkt durch Landjäger ist im Augenblick zur Stelle und räumt den Saal. Auch unten auf der Straße wird mit dem Gummiknüppel Ordnung geschaffen. Mitglieder der Sanitätskolonne nehmen sich der Verletzten an. Zwei junge Leute werden wegen Waffenbesitzes verhaftet. Noch längere Zeit hält die Erregung auf der Straße an. Etwa 30 Stühle sind im Saal zerschlagen worden. Drei Personen sind schwer verletzt.“

 

Zeitungsbericht über die Versammlung der NSDAP am 28. Oktober 1931 in Bad Kreuznach HIER lesen

Wenige Tage später hielten dann die Kommunisten zum gleichen Thema eine Versammlung ab. Vor wiederum 1000 Zuhörern nahm ein KPD-Reichstagsabgeordneter zunächst die Bannerweihe der Kreuznacher Ortsgruppe des Kampfbundes gegen den Faschismus vor und stellte dann fest, dass die KPD überall und auch an der Nahe in stetem Vormarsch begriffen sei. Man lebe in einer Wende der Zeiten, so erlebnisreich, dass man noch von den Enkeln beneidet würde, eine neue, höhere Gesellschaftsordnung sei im Werden, ihre Geburtsstunde sei blutig, wie jede Geburt. 

Eine „Diskussion“ mit Repräsentanten der NSDAP gab es nicht. Wie Salzmann der Versammlung mitteilte, habe man die Nazis eingeladen und ihnen unter Einsatz der eigenen Person volle Redefreiheit zugebilligt.Die Teilnahme wurde aber kurzfristig abgesagt, weil am selben Tag die Presse meldete, dass in der Geschäftsstelle der NSDAP Fenster eingeworfen und vor allen Dingen Parteigenossen vor dem Parteilokal schwer misshandelt worden seien. Salzmann meinte dazu, die Kommunisten hätten es nicht nötig, so zu agieren, und verwies darauf, dass ihn bei seinem Redebeitrag vor einer Woche eine eigens aus Koblenz bestellte Staffel von hinten angegriffen und versucht habe, ihn von der Bühne herunter zu stürzen.

Die gewalttätigen Auseinandersetzungen anlässlich der NSDAP-Versammlung führten noch zu einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen Hugo Salzmann und andere Kommunisten wegen Landfriedensbruchs (Aktenzeichen: 2 J 1275/31). Das Verfahren wurde nach einem halben Jahr eingestellt. Es konnte nicht hinreichend sicher geklärt werden, dass die Kommunisten von vornherein die Versammlung hätten sprengen wollen und wer mit der Schlägerei angefangen habe.  

Zeitungsbericht über die Kommunistische Versammlung vom 2. November 1931 in Bad Kreuznach HIER lesen

Erhitzt hatten sich die Gemüter Ende Oktober 1931 in Bad Kreuznach auch deshalb, weil sich zwei Wochen zuvor die nationalistische Rechte in der „Harzburger Front“ zusammengeschlossen hatte. NSDAP, DNVP, Stahlhelm, Reichslandbund, Industrielle aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet, Generaloberst a.D. Hans von Seeckt, der Alldeutsche Verband, und einige Vertreter ehemals regierender Fürstenhäuser (u.a. der Kaisersohn und SA-Gruppenführer August Wilhelm Prinz von Preußen – „Auwi“ -) erklärten dabei zum gemeinsamen Ziel, die politische Macht im Staat zu erringen. Die Harzburger Front kündigte einen gemeinsamen Misstrauensantrag gegen die Regierung Brüning an; außerdem forderte sie Neuwahlen zum Reichstag und die Aufhebung aller Notverordnungen.

Das Misstrauensvotum der Parteien der Harzburger Front, dem sich auch die DVP und sogar die KPD(!) anschlossen, scheiterte knapp und Brüning konnte im Amt bleiben. Ausschlaggebend waren dabei die Gegenstimmen der SPD.

Eine weitere erhalten gebliebene „Leuchtrakete“ kritisiert diese Politik der SPD in scharfen Worten. Für Hugo Salzmann hatte die SPD „Verrat“ im Reichstag geübt und war „die stärkste Stütze des Notverordnungssystems“.

Hugo Salzmanns „Leuchtrakete“ Nr. 24 vom 29. Oktober 1931 
(Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

Abschrift von „Leuchtrakete“ Nr. 24 vom 29. Oktober 1931 HIER lesen

Als Antwort auf die „Harzburger Front“ gründeten die SPD, der ADGB, der Allgemeine freie Angestelltenbund (Afa-Bund), das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB) vor Weihnachten 1931 die „Eiserne Front“. Zur Gründung der Eisernen Front hieß es: 

Gründungsaufruf der Eisernen Front am 16. Dezember 1931.

„Das Jahr 1932 wird unser Jahr sein, das Jahr des endlichen Sieges der Republik über ihre Gegner. Nicht einen Tag, nicht eine Stunde mehr wollen wir in der Defensive bleiben – wir greifen an! Angriff auf der ganzen Linie! Unser Aufmarsch schon muss Teil der allgemeinen Offensive sein. Heute rufen wir – morgen schlagen wir!“ 

 

Auch das war ein Bemühen um ein einheitliches Vorgehen gegen die Rechte und die Nationalsozialisten – allerdings  unter Ausklammerung der KPD. Diese neue Konstellation brachte SPD und Gewerkschaften näher zusammen und ließ die Kommunisten eher im Abseits stehen. Das sollte in Bad Kreuznach zu heftigem Streit unter „den Linken“ führen. Im Mittelpunkt standen die Freien Gewerkschaften. Wie erwähnt waren sie maßgeblich an der „Eisernen Font“ beteiligt und arbeiteten u.a. mit der SPD zusammen. Da war es nahe liegend, wenn die in Kreuznach ansässigen Gewerkschaften den sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Löbe zu einer Kundgebung einluden. Dies führte aber zu heftigen Auseinandersetzungen mit Hugo Salzmann und den örtlichen Kommunisten. Denn Salzmann als 1. Vorsitzender des Ortskartells des ADGB Bad Kreuznach war über diese Einladung nicht informiert. Auch war es nicht im Interesse der Kommunisten, die das Ortskartell dominierten, wenn Gewerkschaften einem führenden Sozialdemokraten eine Plattform boten. Salzmann und die anderen Kommunisten konnten die Veranstaltung mit Paul Löbe aber nicht verhindern.

Im Nachhinein führte dies zu einem handfesten Streit zwischen den Kommunisten und den Sozialdemokraten. Dabei war die Einladung Löbes nur der äußere Anlass, um sich mit Schlagworten weiter zu entfremden und anzufeinden. Salzmann diffamierte die „Eiserne Front“ als „blecherne Front“ und meinte, die SPD könne die Gewerkschaften doch nicht gegen den Willen des Kartellvorsitzenden vor ihren „bankrotten Parteiladen“ spannen. Die Kreuznacher SPD konterte, Salzmann solle zur Kenntnis nehmen, dass sich die Freien Gewerkschaften auf Reichsebene der „Eisernen Front“ angeschlossen hätten. Die Kreuznacher KPD wiederum weitete ihr Verdikt gegen die Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“ auch auf die „Eiserne Front“ aus und sah in ihr keine Front gegen den Faschismus, sondern eine Front gegen die Arbeiterklasse – nichts anderes als „Fleisch vom Fleische Hitlers“. 

In dieser entscheidenden Phase der Auflösung der Weimarer Republik und ein Jahr vor der Machtübernahme Hitlers  war das Klima zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in Bad Kreuznach – wie auch anderswo - vergiftet und das Verhältnis im Ortskartell, dessen 1. Vorsitzender Hugo Salzmann weiterhin war, war ernstlich gestört; die Kommunisten hatten gerade durch ihren Verbal-Radikalismus wesentlich beigetragen.

Hugo Salzmann 1932 Quelle: privat

 

Die letzten freien Wahlen und 2. Ehe.


Während so die Arbeiter- bzw. Linksparteien auch vor Ort in Bad Kreuznach sich gegenseitig bekämpften, waren die Nazis weiter auf dem Vormarsch und gewannen die Massen für sich. Nahezu ungehemmt konnten sie ihre Wahlerfolge vergrößern. Zwar gelang es ihnen nicht, bei der Reichspräsidentenwahl im März/April 1932 ihren Kandidaten Adolf Hitler durchzusetzen, aber immerhin musste sich der amtierende Reichspräsident von Hindenburg einem zweiten Wahlgang stellen. Bei diesem brachte es Hitler auf 36,8 % der Stimmen, der kommunistische Kandidat Ernst Thälmann auf 10,2 % und von Hindenburg, der seine Wiederwahl vor allem den Sozialdemokraten und den Katholiken zu verdanken hatte, auf 53 % der Stimmen. Das Abschneiden Hitlers zeigte, dass die Nationalsozialisten ihr Wählerpotenzial seit den letzten Reichstagswahlen im September 1930 um 5 Millionen Stimmen vergrößern konnten. Selbst in Bad Kreuznach wählte jeder Vierte die NSDAP.
  
Nicht anders war es zwei Wochen später bei den Wahlen zum Preußischen Landtag. Auch hier wählte jeder Vierte die Nazis. Zuvor hatte Hitler bei einer Wahlversammlung der NSDAP auf der Pfingstwiese in Bad Kreuznach vor 35.000 Zuhörern gesprochen. 

 Adolf Hitler am 21. April 1932 auf der Pfingstwiese in Bad Kreuznach :

„… Wir zerreißen das Volk nicht, sondern einigen es, das zeigt mir jede Versammlung im Land. Ich sehe dieses Bild von heute täglich viermal vor mir, es beweist, dass wir die größte Einigungsbewegung sind, die Deutschland jemals gehabt hat. Wenn wir regieren, dann hat der Bürgerkrieg sein Ende gefunden, darauf können Sie sich verlassen. (…) Wir sind stolz, dass Millionen von Bauern zu uns kamen, die erkannten, dass keine Bauernpartei, keine Standesbewegung sie retten kann, sondern nur die nationale Volksgemeinschaft. Und wir haben die Millionen der Arbeiter der Stirn und Faust zur Überzeugung gebracht, dass ihre ganze Existenz abhängig ist von dem, was der deutsche Boden produziert und nicht vom Export und von Übersee. Wir sind keine Wirtschaftspartei, sondern eine allumfassende Bewegung, die gequält worden ist, wie noch nie eine Gemeinschaft zuvor. (…) Die Menschen bringen mich nicht von meine Wege weg, solange mich die Vorsehung wirken lässt. (…) Eine Rettung Deutschlands kann nur kommen, wenn wir uns auf uns selbst besinnen, vom Völkerbund und den anderen äußeren Mächten haben wir nichts zu erwarten. Bei der Wahl am 24. April geht es nicht um Ministerstühle für uns, sondern wir wollen den deutschen Menschen erringen. Wir wollen die Bannerträger der Befreiung Deutschlands sein und der Volksverständigung im Innern.“

 

Wie es in dem Zeitungsbericht dazu heißt, sang die gewaltige Versammlung stehend, tief ergriffen und mit erhobener Schwurhand das Deutschlandlied und der „Führer“ verließ unter stürmischen Kundgebungen der Menge das Festzelt.

Der guten Ordnung halber soll erwähnt werden, dass auch Hugo Salzmann um Wählerstimmen kämpfte und es (am gleichen Tag???) bei einer KPD-Versammlung auf 1200 Zuhörer brachte.

Adolf Hitler bei einer Wahlversammlung auf der Bad Kreuznacher Pfingstwiese 
am 21. April 1932  (Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

Der Öffentliche Anzeiger über die Wahlversammlung der NSDAP mit Hitler  HIER lesen

Das Ergebnis der preußischen Landtagswahlen sah dann so aus: SPD 94 Sitze, KPD 57 Sitze, DDP 2 Sitze, Zentrum 67 Sitze, DVP 7 Sitze DNVP 31 Sitze und NSDAP - 162 Sitze. Es war ein grandioser Wahlerfolg für Hitler und seine Partei. Erstmals war die NSDAP in Preußen stärkste Partei und im Preußischen Landtag stärkste Fraktion – und mit welchem überwältigenden Ergebnis! Von den ca. 20 Millionen gültigen Stimmen entfielen auf die NSDAP mehr als 8 Millionen, das waren 36,67 Prozent. Abgeschlagen folgte die SPD mit ca. 4,6 Millionen Stimmen und 21 Prozent. Von den 423 Sitzen im Preußischen Landtag erreichte die NSDAP 162 Sitze, die SPD kam als zweitstärkste Fraktion auf 94 Sitze.

Selbst in Bad Kreuznach hatte die NSDAP einen durchschlagenden Erfolg. Auch hier wurde sie stärkste Partei.

Ergebnis der Wahl zum Preußischen Landtag am 24. April 1932 – in ganz Preußen und in Bad Kreuznach  HIER lesen

Diese Wahlen – weitere mit ähnlichen und noch verheerenderen Ergebnissen sollten folgen –  zerstörten endgültig die demokratische Mitte, die von der DDP, über das Zentrum bis zur DVP reichte. Bei diesem Wahlergebnis war in Preußen keine Regierungsbildung mehr möglich. Ein Schlaglicht auf die Verhältnisse im Landtag wirft das Geschehen bei dessen konstituierender Sitzung am 25. Mai 1932: Entsprechend einem parlamentarischen Brauch wählte der Landtag den Vertreter der stärksten Fraktion zum neuen Präsidenten. Das war der NSDAP-Abgeordnete Hanns Kerrl. Während der Parlamentssitzung kam es zu Tumulten, als der kommunistische Abgeordnete Wilhelm Pieck die NSDAP eine „Mörderpartei“ nannte. Daraufhin brach eine Schlägerei zwischen den beiden Parteien aus. Die Sieger waren die Abgeordneten der NSDAP. Sie feierten sich mit dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes. Der damalige „Reichspropagandaleiter“ und spätere Reichspropagandaminister Joseph Goebbels schrieb damals in sein Tagebuch: „So allein kann man sich Respekt verschaffen.“
  
Gleichzeitig brachten sie den gemäßigten Flügelparteien – auf der Linken die SPD und auf der Rechten die DNVP – deutliche Verluste und trieben sie in die Isolierung. Die koalitionsfähigen Parteien wurden zu einer Minderheit. Auf der anderen Seite schwollen die kompromissunfähigen Gruppen – auf der Linken die KPD und auf der Rechten die NSDAP – an und wurden zu einer „unechten Mehrheit“, einer Mehrheit, die nur im Negativen geeint war. Für das parlamentarische Schicksal der Weimarer Republik wurde es entscheidend, dass diese Parteien – KPD und NSDAP - von vornherein darauf festgelegt waren, sich im Parlament antiparlamentarisch zu verhalten und damit den Parlamentarismus ad absurdum zu führen.

Unter diesen Umständen blieb der bisherige preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD) geschäftsführend im Amt. Aber die zunehmenden Gewaltakten von links und rechts waren dann für den neuen Reichskanzler Franz von Papen ein willkommener Anlass, die rechtmäßige preußische Regierung abzusetzen und selbst auch noch die Dienstgeschäfte des preußischen Ministerpräsidenten zu übernehmen. Mit diesem „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 war – wie es hieß – das „rote  Bollwerk“ Preußen geschleift. „Wer Preußen hat, hat das Reich“ – so die damalige allgemeine Einschätzung.

Nur 10 Tage später fanden wieder Wahlen statt - diesmal zum Reichstag. Trotz der anhaltenden Gewalttätigkeiten war die Wahlbeteiligung mit 84, 1 Prozent sehr hoch. Klarer Gewinner der Wahl war die NSDAP. Sie konnte ihr Ergebnis von 1930, das schon ein Riesenerfolg war, noch einmal um fast 20% steigern und damit fast verdoppeln. Innerhalb von nur vier Jahren vermochte die NSDAP die Zahl ihrer Sitze im Reichstag von 12 auf 230 zu erhöhen (Reichstagswahl vom 20. Mai 1928: 12 Mandate, Reichstagswahl vom 15. September 1930: 107 Mandate, Reichstagswahl am 31. Juli 1932: 230 Mandate). Wenn die NSDAP mit ihren 37,3 Prozent der Stimmen und den 230 Abgeordneten auch die stärkste Partei und die stärkste Fraktion im Reichstag war, so reichte es doch nicht zur absoluten Mehrheit. Die anderen Parteien fielen demgegenüber aber weit ab. Die SPD brachte es  bei 21,6 Prozent der abgegebenen Stimmen  nur auf 133 Mandate. Die KPD legte infolge der Wirtschaftskrise etwas zu und erzielte 14,5 Prozent und 89 Sitze. Das Zentrum erreichte 75 Sitze, die DNVP 40 und die BVP 22 Sitze.

In der Stadt Bad Kreuznach waren die Ergebnisse für die NSDAP erstaunlicherweise nicht so glänzend. Zwar wurde sie mit über 3900 Stimmen stärkste Partei, aber KPD und Zentrum kamen auf über 3300 Stimmen und die SPD auf mehr als 2500 Stimmen.

Ergebnis der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 – im gesamten Reich und in Bad Kreuznach - HIER lesen

Wahlplakat der KPD zu den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932

Entwicklung der Arbeitslosigkeit von 1921 bis 1933 (Arbeitslose in Millionen, die offizielle Zählung der Arbeitslosen begann erst 1928

Zusatz 1:  Unter Einbeziehung der „unsichtbaren“ Erwerbslosen waren 1932 sogar 7,7 Millionen ohne Arbeit. Dazu kamen etwa 23 Prozent Kurzarbeiter. Nach der Statistik der Gewerkschaften war im Januar 1933 nicht einmal jeder dritte Arbeitnehmer voll erwerbstätig.

Zusatz 2: Die weltweite Krise hatte im Sommer 1932 ihren Höhepunkt überschritten. Am Jahresbeginn 1933 wurden erste Anzeichen einer Besserung sichtbar. Allerdings wirkte sich das noch nicht konkret auf die Lebensumstände der Masse des deutschen Volkes aus.

Während dieser äußerst bewegenden und schicksalhaften Zeit für Preußen und für das Deutsche Reich wissen wir von Hugo Salzmann eigentlich nichts. Angesichts der fortlaufenden Nummern der von ihm geschriebenen und heraus- gebrachten „Leuchtrakete“ ist aber davon auszugehen, dass er jedenfalls für die „Leuchtrakete“ aktiv war. Wenn er im Übrigen nicht so sehr in Erscheinung trat, dann mag das zum Teil auch einen privaten Grund gehabt haben: Nach der gescheiterten Ehe mit Änna hatte er sich neu verliebt und dann im Oktober 1932 seine zweite Frau Julianna, geb. Sternad, geheiratet. Noch im selben Jahr brachte Julianna den Sohn Hugo zur Welt.  

Hugo und Julianna Salzmann in ihrer Wohnung in Bad Kreuznach, Beinde 21 
(Quelle: privat)

Fast zeitgleich mit seiner Heirat erschien die letzte bekannte „Leuchtrakete“ Nr. 48 vom 29. September 1932.  Themen waren: Fürsorgearbeiter im Kampf, Rund um die NSDAP, „Winterhilfe“ der Stadt Kreuznach, Lohnraub bei Leder-Schneider, so beutet man Dienstmädchen aus.“

Kaum waren Hugo und Julianna Salzmann verheiratet und der Sohn Hugo geboren, standen schon wieder Wahlen zum Reichstag an. Überraschend musste die NSDAP, die sich bereits am Ziel und an der Macht sah, Einbußen hinnehmen. Gegenüber der Reichstagswahl Ende Juli 1932 verlor sie über 2 Millionen Stimmen, das war ein Rückgang von 37,3 Prozent auf 33,1 Prozent. Der Grund dafür lag wesentlich in der Wahlmüdigkeit: die beiden Wahlgänge zur Wahl des Reichspräsidenten und die preußische Landtagswahl im Frühjahr hinzugerechnet, war das in einem ¾ Jahr nun schon die fünfte Wahl. Außer der NSDAP erlitten die SPD, das Zentrum, die BVP und die Deutsche Staatspartei Verluste. Nennenswerte Zugewinne hatten lediglich die DNVP und die KPD mit einem Plus von 2,5 Prozent. 

Abschrift von „Leuchtrakete“ Nr. 48 vom 29. September 1932 HIER lesen

Diese Tendenz zeigte sich auch im Wahlergebnis der Stadt Bad Kreuznach, wenn dort auch die Ausgangslage der Parteien zum Teil etwas anders war als im Reich. In Kreuznach schaffte es das Zentrum  mit rund 25 Prozent der Stimmen wieder an den ersten Platz, verwies also die NSDAP mit 23,6 Prozent der Stimmen an die zweite Stelle, gefolgt von den Kommunisten mit einem knappen Abstand von 161 Stimmen. Diesen gegenüber fiel die SPD, die 851 Stimmen weniger erhielt, deutlich ab; die bürgerlich-nationalen Parteien DVP und DNVP erreichten mit 2220 Stimmen fast die 2411 Stimmen der SPD.

Ergebnis der Reichstagswahl vom 6. November 1932 – im gesamten Reich und in Bad Kreuznach HIER lesen

Seit den Reichspräsidentenwahlen im Frühjahr 1932 war das Wort „Bürgerkrieg“ zum politischen Schlagwort des Jahres geworden. Dieser hatte sich im Vorfeld der Reichstagswahlen vom 6. November 1932 wieder verschärft. Der latente Bürgerkrieg wurde ergänzt durch einen „Wahlkrieg“. Dieser ging so weit, dass Reichspräsident von Hindenburg eine „Verordnung zur Sicherung des inneren Friedens“ erließ, die für die Zeit vom 6. November bis zum Ablauf des 19. November 1932 „alle öffentlichen Versammlungen“ verbot. Die Verbote dienten dazu, die ohnehin schwierige Re- gierungsbildung nicht noch zusätzlich durch Demonstrationen und Straßenschlachten zu belasten. Aber auch dies half Reichskanzler von Papen bei der Regierungsbildung nicht weiter. Zwar hatten die Wahlen der NSDAP unerwartet Verluste gebracht, aber noch immer war sie weitaus stärkste Partei im Reichstag und bildete zusammen mit der wiederum besser abschneidenden KPD eine „negative Mehrheit“. Von Papen verlor daraufhin das Vertrauen des Reichspräsidenten von Hindenburg und dieser ernannte Anfang Dezember 1932 Kurt von Schleicher zum neuen Reichskanzler.

Dieses politische Umfeld machte es der kleinen und noch jungen Familie Salzmann schwer, ihr gemeinsames Glück zu finden. Sehr bald sollte es unter den chaotischen Verhältnissen am Ende der Weimarer Republik und dem aufkommenden Naziterror zerbrechen. Hugo Salzmann war inzwischen zum „roten Tuch“ der örtlichen Nazis geworden. In dem NSDAP-Kreisleiter des Kreises Kreuznach Ernst Schmitt aus Staudernheim und dessen Freund, dem SA-Sturmführer Christian Kappel aus Roxheim, hatte er seine erbittersten Gegner, ja Feinde. Wiederholt drohte Kappel, dass die Kugel für Salzmann gegossen sei, wenn er in seine Hände falle. 

Salzmann war auch nicht untätig. Er hatte einem Hausierer eine Pistole abgekauft und sich mit dem Gedanken getragen, Hitler umzubringen – es beizeiten zu tun, denn später – wenn Hitler wie absehbar erst einmal an der Macht war – wäre es zu spät. Seine Genossen, denen er seine Absicht offenbarte, rieten ihm aber davon ab. So verfolgte Salzmann seine Idee nicht weiter, behielt die Pistole aber in seinem Besitz. Deswegen wurde er vom Amtsgericht Bad Kreuznach wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe hat er aber nicht antreten müssen, weil sie ihm durch das Straffreiheitsgesetz vom 20. Dezember 1932 erlassen worden war.

Es kamen bei Hugo Salzmann dann noch gesundheitliche Probleme hinzu. Seit 1923 litt er an einer Magenschleimhautentzündung, die ihn immer wieder quälte. Im Dezember 1932 war das Leiden so akut, dass er sich ca. drei Wochen in stationäre Behandlung begeben musste. Eine Operation war dringend nötig, aber die politischen Verhältnisse ließen ihm keine Ruhe. Als „Vollblutpolitiker“ konnte er während des Endkampfes um die Weimarer Republik und des Nationalsozialismus kurz vor der Machtübergabe nicht im Krankenhaus bleiben. Statt sich im Januar der Operation zu unterziehen, stürzte er sich wieder in die politischen Auseinandersetzungen vor Ort. 

 

 

Die letzten Tage der Weimarer Republik.


Der Endkampf um die Macht zeigte sich auch in Bad Kreuznach: Am 3. Januar 1933 veranstaltete der Stahlhelm im Saalbau eine Versammlung mit Prinz Wilhelm von Preußen, dem ältesten Sohn des Kronprinzen. Für den 21. Januar 1933 riefen die KPD, die Kommunistische Jugend und der Kampfbund gegen den Faschismus zu einem Demonstrationszug und anschließender Kundgebung auf dem Eiermarkt auf. Zwei Tage später fand eine Versammlung der Nationalsozialisten im Evangelischen Gemeindehaus statt. Sie musste schon vor ihrem Beginn wegen Überfüllung polizeilich geschlossen werden. Und auch Hugo Salzmann meldete sich zu Wort, als der inzwischen von den Kommunisten zu den Nazis gewechselte Emil Bohr den Sprecher der KPD einen „Märchenerzähler“ genannt hatte. Sein langer, im Öffentlichen Anzeiger vom 28. Januar 1933 veröffentlichter Brief endete mit den Worten:

Brief von Hugo Salzmann im Öffentlichen Anzeiger vom 28. Januar 1933:

„Die deutsche Arbeiterklasse wird den Hetzern von Emil Bohr bis zu den Russlandfahrern nicht sagen, sie sollen zum faschistischen Italien auswandern, sondern sie wird mit ihnen zu gegebener Zeit Abrechnung halten.“


Presseartikel: Der Öffentliche Anzeiger für den Kreis Kreuznach - HIER lesen

An dem Tag, an dem dieser Brief Salzmanns in der Zeitung erschien, war die Regierung von Schleichers am Ende und er erklärte nach weniger als zwei Monate seinen Rücktritt als Reichskanzler.

Damit war der Weg frei für von Papen und seine Idee einer Regierung getragen von Deutschnationalen, anderen Konservativen und den Nationalsozialisten. Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident von Hindenburg den Vor- sitzenden der stärksten Reichstagsfraktion Adolf Hitler zum Reichskanzler. Seine Regierung der nationalen Einheit bestand außer ihm nur noch aus zwei Nationalsozialisten (Frick und Göring). Vizekanzler wurde von Papen, die weiteren Minister waren Mitglieder der DNVP, des Stahlhelm oder parteilos. Damit war Hitler formal „legal“ an die Macht ge- kommen und konnte sich der Zustimmung weiter Teile des bürgerlich-konservativen Lagers sowie der Reichswehr sicher sein. Die Gefahr erkannten die Wenigsten. Einem konservativen Kritiker sagte von Papen damals:

Der vormalige Reichskanzler und Vizekanzler unter Hitler Franz von Papen zu einem Kabinett Hitlers:

„Was wollen Sie denn? Ich habe das Vertrauen Hindenburgs. In zwei Monaten haben wir Hitler so in die Ecke gedrückt, dass er quietscht.“


Auch die Kommunisten erkannten die Gefahr in ihrem ganzen Ausmaß nicht. Immerhin war die Machtübernahme Hitlers für die Arbeiterbewegung in Bad Kreuznach Anlass für eine Großkundgebung von KPD, SPD, dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, dem ADGB und dem Metallarbeiterverband. Für die Kommunisten rief Hugo Salzmann die versammelten 3000 Arbeiter und Sympathisanten auf, sich gegen den Abbau sozialer Rechte durch die neue Regierung zu wehren. Im Anschluss an die Kundgebung zogen die Demonstranten mit Fahnen und Musik durch die Stadt. 

Zeitungsbericht über die Protestkundgebung gegen die Regierung Hitler am 31. Januar 1933 in Bad Kreuznach: 

„Eine Protestkundgebung gegen die Regierung Hitler veranstalteten am 31. Januar um 17 Uhr Sozialdemokraten und Kommunisten gemeinsam auf dem Schaadtschen Platz. Reichsbannerleute, Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Metallarbeiterverband und die Kommunisten hatten 3000 Menschen auf den Schaadtschen Platz geschickt, wo Hugo Salzmann und Gewerkschaftssekretär Wahl sprachen und zur Einigkeit der Werktätigen gegen jeden Versuchs eines Abbaus ihrer Rechte aufriefen, die mit einer geschlossenen Abwehrfront des Proletariats beantwortet werden müsse. Dann veranstalteten die Teilnehmer der Kundgebung bis 19 Uhr einen gemeinsamen Umzug durch die Stadt, wobei zahlreiche Auswärtige zu ihnen stießen. Fahnen und Musik und Schilder mit Protesten wurden mitgeführt.“ (zitiert nach: Öffentlicher Anzeiger vom 1. Februar 1933)


Und siehe da – auf einmal ging es: die Einheit der Arbeiterbewegung war bei dieser Protestkundgebung in Bad Kreuznach hergestellt. Was vor einem Jahr bei der Einladung des sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Löbe noch zu wüsten Beschimpfungen („Sozialfaschisten“) geführt hatte, war am Tag nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler auf einmal möglich. Wahrscheinlich war es aber eine Augenblicksaufnahme - die der besonderen Umstände geschuldet war. Außerdem war es Bad Kreuznach – und Berlin und schon gar nicht reichsweit. Und vor allem: Es war zu spät.

Die Kommunisten waren die schärfsten politischen Gegner der Nazis. Aber auch sie haben – und da war Hugo Salzmann nur einer von sehr vielen – die Nationalsozialisten unterschätzt, ihren Willen zur Macht, ihre Resonanz bei den Wählern und im Volk, ihre Demagogie, ihre Brutalität und ihren Terror. 

Spät, viel zu spät übte der Vorsitzende der KPD Wilhelm Pieck im Exil namens der Kommunisten Selbstkritik:

Der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck später im Exil zum Versagen der KPD:
 
„Da wir selbst die faschistische Gefahr unterschätzten und sie der Arbeiterschaft nicht genügend signalisierten, im Gegenteil nach wie vor unseren Hauptstoß gegen die Sozialdemokratie und gegen die bürgerliche Demokratie richteten, so konnte es nicht ausbleiben, dass wir nicht vermochten, die Arbeiterklasse für den Kampf gegen den Faschismus zu mobilisieren.“


Am selben Abend, dem 31. Januar 1933, waren auch die Nazis und ihre Sympathisanten in Bad Kreuznach unterwegs und feierten die „Machtergreifung“ im fernen Berlin. Nach einem Zeitungsbericht hatten sich an der Weinbauschule etwa 300 Nationalsozialisten, SA- und SS-Leute sowie 150 Stahlhelmer mit zwei Musik- kapellen versammelt und marschierten durch die Mannheimer und Salinen-Straße. Unterwegs stießen noch etwa 200 auswärtige Anhänger zu ihnen. Während des Zuges warfen die Passanten Steine in den Zug. Dabei wurden drei Teilnehmer verletzt und einige Schaufensterscheiben gingen zu Bruch. In der Mühlenstraße wurden Schreckschüsse aus einer Schreckschusspistole abgegeben. Auf dem Bismarckplatz sprachen der Reichstagsabgeordnete Pies (DNVP, Langen- lonsheim), der Landtagsabgeordnete Schmitt (NS-Kreisleiter, Staudernheim) und der Stahl- helmführer Müden  - wie es in dem Bericht weiter hieß – „über die große Freude mit der das deutsche Volk seine Befreiung begrüße“. „Brausende Heilrufe dankten den Rednern“. Gegen 23 Uhr löste sich der Zug dann „in aller Ordnung auf“. 

 

Die Kreuznacher Zeitung am „Tag danach“ (31. Januar 1933)

Kreuznacher Zeitung vom 31. Januar 1933 - HIER lesen

Wenige Tage später, am 3. Februar 1933 gab es eine weitere Versammlung, diesmal des ADGB im Städtischen Saalbau. Unter dem Vorsitz von Hugo Salzmann hatten sich 1200 Personen eingefunden. Salzmann mahnte zunächst zur Disziplin und wies auf die Ordnungsmänner von Reichsbanner und dem Kampfbund gegen den Faschismus hin. Dann erteilte er dem Gewerkschaftssekretär Wahl und dem kommunistischen Stadtverordneten Domidian das Wort zum Thema: „Was die Arbeiterschaft von dem Kabinett Hitler-Hugenberg zu erwarten“ hat. Die Versammlung endete mit dem Absingen der Internationale.

Nachweislich zum letzten Mal trat Hugo Salzmann  am 7. Februar 1933 in einer KPD-Versammlung in Heddesheim auf. Auch jetzt noch war er für ein Sowjet-Deutschland sehr zuversichtlich und rief allerdings schon viel vorsichtiger aus:

Zeitungsbericht über die offenbar letzte Wahlversammlung von Hugo Salzmann am 7. Februar 1933 in Heddesheim:

„Wir werden langsam, aber sicher siegen. (…) Man kann uns einsperren oder totschlagen, was schadet das, dafür stehen tausend neue Kämpfer auf. Als letztes rufe ich Euch zu: Der Arbeiter braucht den Bauern, und der Bauer braucht den Arbeiter.“


Den original Zeitungsbericht HIER lesen

Und ein zweites Mal geriet Hugo Salzmann in den Verdacht des unerlaubten Waffenbesitzes, nachdem  am 17. Februar 1933 die Polizei bei dem Schwiegervater des Kassierers der KPD, dem Dreher Hans Umbs, in Bad Kreuznach einen Revolver und eine Pistole beschlagnahmt hatte. Bei den Vernehmungen gab Hugo Salzmanns Freund Klaus Leydecker zu, Eigentümer des Revolvers zu sein und diesen Umbs in Verwahrung gegeben zu haben. Hugo Salzmann stritt ab, Eigentümer der Pistole zu sein, und behauptete, von der ganzen Sache nichts zu wissen. Diesmal konnte man Salz- mann nichts nachweisen. Zu einem (richterlichen) Haftbefehl gegen Leydecker und Salzmann kam es nicht. Das Verfahren verlief im Sand. Auch eine polizeiliche Haft, die aufgrund der inzwischen vom Reichspräsidenten von Hinden- burg erlassenen Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes vom 4. Februar 1933 an sich in Betracht kam, wurde nicht verhängt. Geradezu bedauernd, heißt es dazu in dem Bericht der Ortspolizeibehörde, dass eine polizeiliche Haft aufgrund des § 22 der Verordnung nicht erfolgen konnte, weil die Strafbarkeit nur durch unbefugten bzw. nicht angemeldeten Besitz einer Waffe begründet sei – nicht jedoch auch der Verdacht (was dafür weitere Voraussetzung war) des Hoch- oder Landesverrats oder des Verrats militärischer Geheimnisse gegeben war.

Plakat der NSDAP zu den Reichtagswahlen am 5. März 1933