Kapitel 8: Wieder politisch aktiv in Bad Kreuznach

Rückkehr nach Bad Kreuznach

 

Nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus Butzbach am 1. Mai 1945 durch amerikanische Soldaten machte sich Hugo Salzmann – wie es in dem Ausweis des Vorstands des Zuchthauses hieß – „ohne Lebensmittel und Geld“ auf den Weg zurück nach Bad Kreuznach. 

Gegen Ende des Krieges waren allein etwa 25 Millionen Deutsche  - Flüchtlinge, Ausgebombte, Evakuierte, Arbeits- verpflichtete, Kriegsgefangene, befreite Gefangene und KZ-Häftlinge – aus ihren Heimatorten verschlagen. Von daher war es unbedingt nötig, diese Menschen zu registrieren, zu kontrollieren und nach Möglichkeit in ihre Heimat zurück-zuführen. Diesem Umstand – sowie Hugo Salzmanns Sinn fürs Aufbewahren – ist es geschuldet, dass wir heute noch etwas über seine Rückkehr nach Bad Kreuznach wissen. So wurde ihm vom Bürgermeister von Mainz unter dem 2. Mai 1945 erlaubt, die Rheinbrücke bei Mainz zu überqueren, um von Butzbach kommend nach Bad Kreuznach zu gelangen und dort zu bleiben.

„Passierschein“ des Bürgermeisters von Mainz für Hugo Salzmann zur Rückkehr nach Bad Kreuznach (Quelle: privat)

Und wie fand Hugo Salzmann nach mehr als 12 Jahren Abwesenheit „sein“ Bad Kreuznach wieder? Kreuznach bot ihm ein trostloses Bild der Zerstörung, das hauptsächlich durch Brand- und Sprengbomben sowie durch Tiefflieger entstanden war. In sechs Bombenangriffen am 22./23. Oktober 1941 und 1944/45, namentlich an Weihnachten 1944 und am 2. Januar 1945, wurden von rund 3.500 Wohngebäuden knapp 12 Prozent total und weitere 12 Prozent schwer zerstört sowie 11 Prozent mittel und 19 Prozent leicht beschädigt. Damit waren insgesamt ca. 53 Prozent der Wohngebäude zerstört oder beschädigt. Die Industriebetriebe wurden zu 75 Prozent sowie fast alle öffentlichen Gebäude zerstört. Alle Gebäude zusammen genommen hatten einen Gesamtbeschädigungsgrad von rund 65 Prozent.  Große Schäden im Versorgungs-, Kanal- und Verkehrsnetz kamen hinzu; alle Hauptbrücken über die Nahe waren bei Herannahen der Amerikaner am 15. März 1945 gesprengt worden. Die Nahetalbahn war zerstört, die Knotenpunkte der damals strategisch wichtigen Bahn in Bingerbrück (heute: Bingen Hauptbahnhof) und in Bad Münster am Stein wurden ebenfalls lahm gelegt. 

B 17-Bomber am 2. Januar 1945 über Bad Kreuznach, Luftaufnahme (Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

Am 16. März 1945 rückten die amerikanischen Truppen über den Hunsrück kommend auf Bad Kreuznach vor. Während sich die NS-Größen der Stadt „absetzten“, verhinderte der letzte deutsche Stadtkommandant Oberstleutnant Johann Kaup eine weitere Zerstörung der Stadt. Am Sonntagmorgen, dem 18. März 1945, fuhren die ersten Panzer vor der Stadt auf, Granatwerfer gingen im Wäldchen des „Hungrigen Wolf“ in Stellung und beschossen Bad Kreuznach. Sodann übergab eine Delegation bestehend aus dem Bürgermeister Dr. Kohns, dem späteren Ersten Bürgermeister der Stadt Karl Kuhn und dem Weingutsbesitzer Egon Anheuser die Stadt an die Amerikaner. Ihr Ziel war es, weitere Verluste unter der Bevölkerung und noch mehr Schäden in der Stadt  zu verhindern. Für seinen Einsatz für Bevölkerung und Stadt sollte zuletzt noch Oberstleutnant Kaup wegen Befehlsverweigerung vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Dem entzog er sich durch seinen Freitod. Auf dem Ehrenfriedhof am Lohrer Wald befindet sich sein Grab.   

Was Hitler von „seinem“ Volk, das ihn zum ganz überwiegenden Teil gefeiert hatte und sich von ihm freudig und fanatisch in den Krieg hatte führen lassen, inzwischen hielt, sagte er am 19. März 1945 – also einen Tag nach der Befreiung Bad Kreuznachs – vor den versammelten Nazigrößen:

Rede Hitlers vom 19. März 1945 („Nero-Befehl“):

„Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil ist es besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das Volk hat sich als das schwächere erwiesen, und dem stärkeren Ostvolk gehört ausschließlich die Zukunft. Was nach diesem Kampf übrig bleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen; denn die Guten sind gefallen.“

 

Zwei in Bad Kreuznach erhängte und dann im Straßengraben liegen gelassene russische „Zivilarbeiter“, Frühjahr 1945 (Quelle: privat)

Bei Hugo Salzmanns Rückkehr nach Bad Kreuznach stellte ihm die Militärregierung von Deutschland eine „Zeitweilige Registrierungskarte“ aus. Unter dem 4. Mai 1945 bescheinigte sie ihm zweisprachig, dass er „als Einwohner von Bad Kreuznach registriert und es ihm strengstens verboten (sei), sich von diesem Platz zu entfernen“. Ergänzend wies man darauf hin: „Zuwiderhandlung dieser Maßnahme führt zu sofortigem Arrest. Der Inhaber dieses Scheins muss diesen Ausweis stets bei sich führen.“ 

Zeitweilige Registrierungskarte der Militärregierung von Deutschland vom 4. Mai 1945  (Quelle: privat)

Dabei wird Hugo Salzmann  gar nicht die Absicht gehabt haben, Bad Kreuznach so schnell wieder zu verlassen. Denn er war froh, endlich wieder „ein Dach über dem Kopf“ zu haben, und erst recht kein Zuchthaus- oder Gefängnisdach. Sein Unterkommen in Bad Kreuznach hatte allerdings einen gewissen Beigeschmack. Denn zunächst wies ihn die Stadt zur Untermiete in die „Wilhelm Frick-Siedlung“ Nr. 32 ein. Benannt war diese Siedlung in der Zeit des Nationalsozialismus nach dem im nahe gelegenen Alsenz geborenen Wilhelm Frick. Frick war ein „alter“ und langjähriger „Kämpfer“ der Nazis. Schon bald hatte er eine steile Karriere gemacht und diente „seinem Führer“ Adolf Hitler mehr als zehn Jahre lang als Reichsminister des Innern sowie zuletzt als Reichsprotektor des besetzten Böhmen und Mähren. Wenige Tage bevor Hugo Salzmann in die nach diesem Nazi benannte Siedlung einzog, hatten die Amerikaner Frick festgenommen. Sodann machten sie ihm den Prozess vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg. Von diesem wurde Frick im Hauptkriegsverbrecherprozess am 1. Oktober 1946 zum Tode verurteilt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet. Seine letzten Worte unter dem Galgen waren: „Es lebe das ewige Deutschland.“ 

Anmeldebescheinigung für Hugo Salzmann in der  Wilhelm Frick-Siedlung Nr. 32 (Quelle: privat)

Wenige Tage nach Hugo Salzmanns Rückkehr nach Bad Kreuznach war der von Hitler-Deutschland am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen entfachte Zweite Weltkrieg auch offiziell zu Ende. Am frühen Morgen des 7. Mai 1945 unterzeichnete Generaloberst Alfred Jodl im anglo-amerikanischen Hauptquartier in Reims „die bedingungslose Kapitulation aller Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft, welche sich in diesem Augenblick unter deutscher Kontrolle befinden“ gegenüber dem Obersten Befehlshaber und den Alliierten Expeditionsstreitkräften sowie gleichzeitig gegenüber dem Oberkommando der Sowjettruppen. Am frühen Morgen des 9. Mai 1945 wiederholten Generalfeld- marschall Wilhelm Keitel und die beiden anderen Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) die Kapitulation im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin-Karlshorst. Offiziell trat die Kapitulation an allen Fronten am 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr MEZ in Kraft. 

Später – jahrzehntelang – sollten die Deutschen darüber streiten, ob es eine Niederlage oder eine Befreiung war. Für Hugo Salzmann und die anderen Verfolgten des Naziregimes hatte es nie einen Zweifel gegeben: Es war eine Befreiung! Endlich frei, frei, frei! Arnulf Baring fasste es in die Worte: „Es war ein neuer Anfang, war wie am Anbeginn der Welt, als die Erde wüst und leer gewesen war (…) Wir alle waren neue Menschen, wie neugeboren. Wer es nicht miterlebt hat, kann es kaum nachfühlen, wer es miterlebt hat, kann es nicht vergessen.“ 

Straßenszene im zerstörten Bad Kreuznach: 
Deutscher Leiterwagen trifft amerikanisches Militärfahrzeug am Kornmarkt, März/April 1945 (Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach)

 

Suche nach den Angehörigen und ihrem Schicksal

 

Zum Glück lebte Hugo Salzmanns Schwester Käthe mit ihrer Familie noch in Bad Kreuznach, die Schwester Tilla wohnte nicht weit weg in Budenheim am Rhein. Auch traf Hugo Salzmann auf frühere Genossen und Kampfgefährten. So konnte er nach der mehr als 12 Jahre währenden erzwungenen Abwesenheit von Bad Kreuznach und seiner fast sechsjährigen Inhaftierung an ein soziales Beziehungsgeflecht anknüpfen, das ihn wieder Fuß fassen ließ.   

Voller Sehnsucht brannte er natürlich auf Nachrichten von seiner Familie - von seiner Frau Julianna, von der er aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück zuletzt einen Brief im Januar 1944 erhalten hatte, und von seinem Sohn Hugo, den er bei seiner Schwägerin in Stainz/Steiermark wusste. Weiterhin sorgte er sich um seinen Bruder Karl, der ihn nach seiner Verwundung noch Ende 1944 im Zuchthaus Butzbach besucht hatte und an die Ostfront zurückgekehrt war. Der Ehemann seiner Schwägerin Ernestine war ebenfalls Soldat und sein Schicksal war ungewiss. Zudem wollte er wissen, wie es seinem inzwischen 72-jährigen Vater Peter und dessen zweiter Frau in Mylau sowie seiner ebenfalls in Mylau lebenden Schwester Anni ging. Anni hatte ihn auch einmal im Zuchthaus Butzbach besucht.

Die besten Nachrichten gab es von den Angehörigen in Mylau. Natürlich hatten sie wie alle eine schwere Zeit durchzustehen gehabt, aber sie waren gesund und hatten ein Dach über dem Kopf – und das war bei den damaligen Verhältnissen schon recht viel.

Einen Schlag versetzte Hugo Salzmann die Nachricht vom Tod seiner Frau Julianna im Frauen-KZ Ravensbrück – wenige Monate vor der Befreiung. Sie hatte ein sehr schweres Schicksal, das sie voller Mut auf sich nahm, aber zum Schluss waren ihre Kräfte durch den jahrelangen Kampf ums Überleben aufgebraucht, so dass sie am 6. Dezember 1944 starb. Erst nach und nach erfuhr Hugo Salzmann dazu Einzelheiten:

Julianna Salzmann, Ende der 1930er Jahre (Quelle: privat)

Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris 1940 wurde sie von der Gestapo gesucht. Sie wohnte illegal abwechselnd bei verschiedenen französischen Freunden. Zu diesem Unterstützerkreis gehörten etwa die in 22, Cité Leclaire in Paris lebende Familie Gaston und Emma Honoré (Emma Honoré war eine geborene Steeg) und die Familie von Louis und Anna Bernard, wohnhaft in dem Pariser Vorort Villejuif, Rue du Chapelle Nr. 9. Anna Bernard war eine geborene Assmann und stammte aus Bad Kreuznach. Die Gestapo fand heraus, dass Julianna Salzmann in Kontakt zu den Bernards stand. Da sie Julianna selbst nicht habhaft werden konnten, verhafteten sie Anna Bernard und erklärten, sie erst frei zu lassen, wenn sich Julianna Salzmann gestellt hätte. Damit stand sie vor der schweren Wahl, Anna Bernard in Geiselhaft zu lassen oder aber sich  zu stellen, verhaften zu lassen und so Anna Bernard frei zu bekommen. Julianna entschied sich, sich zu stellen, und erklärte Louis Bernard dazu:

Julianna Salzmann stellte sich der Gestapo mit diesen Worten an ihren „stillen Helfer“:

„Ich habe nur ein Kind und ihr habt vier. Damit die vier Kinder ihre Mutter wieder bekommen, werde ich mich der Gestapo stellen.“ 


Das tat sie, wurde sofort verhaftet und war in der Zeit vom 28. November bis 7. Dezember 1940 im Gefängnis Le Santé. Trotzdem dauerte es noch einen Monat, bis Anna Bernard freikam und zu ihrer Familie zurückkehren konnte.

Aus den Schilderungen des Koblenzer Gefängnispfarrers Paul Fechler und der Post, die er von Julianna aus dem Gefängnis Koblenz erhalten hatte, wusste Hugo Salzmann, dass auch sie – etwa ein Jahr vor ihm – von den französi- schen Behörden an die Gestapo ausgeliefert und nach Koblenz gebracht worden war. Auch wusste er, dass Julianna zuvor dafür gesorgt hatte, dass ihr Sohn Hugo zur Familie in die Steiermark gekommen war. Einzelheiten dazu und die Sorge Juliannas um ihren Sohn erfuhr er jetzt von seiner Schwägerin Ernestine, an die Julianna unter dem 23. Februar 1941 einen Brief aus dem Koblenzer Gefängnis geschrieben hatte:

Brief von Julianna Salzmann vom 23. Februar 1941 aus dem Gefängnis in Koblenz 
an ihren Vater und ihre Schwester in Stainz:

„Lieber Vater, liebe Schwester!

Lange habt Ihr nichts mehr von mir gehört. Ich weiß, dieser Brief wird Euch traurig stimmen, aber es ist nun nicht anders. Am 27. November 1940 wurde ich in Paris verhaftet und verbrachte dort nicht ganz zehn Wochen in einem Gefängnis. In der Heimat bin ich seit dem 6. Februar. Wie lange ich noch in Haft bleibe, weiß ich nicht. Ich mache mir schwere Sorgen um mein Kind, welches ich damals in Paris zurücklassen musste. Ich wandte mich mit der Bitte an das Rote Kreuz, meinen Sohn Hugo, Dir liebe Schwester Tinnerl, zu übergeben. Sei bitte so gut und bezahle die entstehenden Kosten. Ich hoffe, Vater und all meine Geschwister werden Freude an unserem lieben Hugo haben. Sollte er aber noch nicht bei Euch sein, so schreibe bitte an folgende Adresse: Frau Anna Bernard, 9 Chemin de la Chapelle, Villejuif/Seine, Frankreich. Bei dieser Familie habe ich zuletzt gewohnt und sie kümmern sich auch um Hugo.Es tut mir leid, meinem lieben Vater und Euch Geschwistern solche Sorgen zu machen, aber bitte nicht böse auf mich werden und sich meiner nicht schämen, ich habe ja nichts verbrochen.(…)

Hugo wird sich am Anfang recht schwer mit der Sprache tun, aber er wird es schon bald wieder können. Er sprach beides sehr gut, erst seit dem Krieg hat er das Deutsche viel verlernt, weil er viel auf dem Lande bei einer französischen Familie war, wo er sich gut erholte. Er geht das dritte Jahr in die Schule und war ein guter Schüler. Hugo muss auch in Stainz bald wieder zur Schule, es wird dem armen Bub wohl zuerst schwer fallen, aber gell, Tinnerl, Du hilfst ihm bei den Aufgaben und so wird er es schon schaffen.“

Sohn Hugo war zu dieser Zeit noch nicht in Stainz, kam aber Anfang April 1941 dort an. Gleich meldete Ernestine („Tinnerl“) ihrer Schwester Julianna seine Ankunft und legte einen kleinen Brief Hugos bei. Daraufhin antwortete Julianna  im Brief vom 20. April 1941:

Brief von Julianna Salzmann vom 20. April 1941 an Vater, Schwester und Sohn Hugo: 

„Liebster Vater, Tinni und Hugo!

Habe Deinen sowie Hugos Brieflein ebenso wie die 10 Reichsmark mit viel Freude und Dank erhalten. Liebe Tinni, ich kann mir denken, dass Hugos Sachen nicht ganz in Ordnung waren, aber sei bitte deswegen nicht böse, ich war halt in der letzten Zeit nicht bei ihm. Dass es bei Euch noch so kalt ist, habe ich mir gar nicht gedacht, ich kann mich schon bald nicht mehr erinnern. Ich hoffe, dass es uns auch einmal wieder besser geht und ich Euch dann wieder für alles Gute, was Ihr an Hugo tut, besonders Dir, liebe Tinnerl, wieder geben kann.

Du brauchst Dir meinetwegen keine Sorgen zu machen, wie lange ich noch in Haft bleibe, weiß ich nicht, im Leben geht es immer anders, als man denkt. Aber wenn sich einmal die Gefängnistüre für mich öffnet, so mache Dir nicht schon jetzt Gedanken, wie ich bei Euch ankomme. Ich war so lange fort und kenne daher die deutschen Gesetze nicht, weiß daher nicht, ob ich als Staatenlose nach Freilassung, selbst wenn ich über Reisegeld verfüge, nicht doch in Bewachung eines Beamten in meine Heimat gebracht werde. Ich kann Dich gut verstehen, es wäre nichts Angenehmes, sollte es aber so sein, so kann ich es nicht ändern. Ich kann meinen Kopf immer hoch tragen, ich bin keine Verbrecherin, ich habe nicht gestohlen, noch betrogen oder gemordet.“  

Wie Hugo Salzmann schon bei seinem Aufenthalt im Koblenzer Gefängnis wusste, war Julianna 10 Tage, bevor er aus Frankreich dorthin verbracht worden war, von Koblenz aus „auf Transport“ ins Frauen-Konzentrations- lager Ravensbrück verschleppt worden. In der Nähe von Fürstenberg an der Havel im Mecklenburgischen gelegen, war es das größte Frauen-Konzentrationslager im ehemaligen Reichsgebiet gewesen. In seiner fast sechs- jährigen Existenz waren dort weit  mehr  als 100.000 weibliche Gefangene aus über 20 Ländern inhaftiert. Hugo Salzmann wusste, dass die Situation in den Konzentra- tionslagern der Nazis äußerst hart, das Leben sehr gefähr- lich und der Tod überall anzutreffen war. Nicht von ungefähr nannte man Ravensbrück die „Hölle der Frauen“.

Strohmattenbinderei im Konzentrationslager Ravensbrück (Quelle:Wikipedia)

Julianna war eine von ihnen gewesen. Schon damals, als er selbst in Unfreiheit war, konnte sich Hugo Salzmann in etwa vorstellen, was Julianna dort erleiden musste. Aus ihren Briefen, die er sporadisch erhalten hatte, konnte er es auch ein wenig erahnen. Diese wurden immer seltener, kürzer und inhaltlich belangloser. Das war – wie er schon seinerzeit erkannt hatte – eine Folge der strengen Schreibbedingungen und der Zensur. Jetzt sah er auch, wie förmlich das alles – in diesem ganzen Terror und diesem Chaos – geregelt war.

Der Postempfang war auch eingehend in der „Lagerordnung“ geregelt. Diese war auszugsweise außen auf jedem Briefumschlag abgedruckt, so dass auch jeder andere, der den Brief zu Gesicht bekam (wie etwa der Postbote) sehen konnte, dass der Absender Häftling in einem Konzentrationslager und sein Leben stark reglementiert war.

Briefumschlag mit Auszug aus der Lagerordnung (Quelle: privat)

In den erhalten gebliebenen Briefen Julianna Salzmanns drückte sie immer wieder ihre große Sehnsucht nach ihrer Familie und gerade auch nach ihrem Sohn Hugo aus. Ein Beispiel dafür ist ihr Briefchen von Oktober 1941, mit dem sie Sohn Hugo zu seinem 9. Geburtstag am 2. November 1941 gratulierte.

Brief Julianna Salzmanns von Oktober 1941:

„Meine liebe Schwester, Sohn Hugo!

Deinem letzten Brief sowie die 10 Reichsmark habe ich erhalten, ich habe mich sehr darüber gefreut und hab’ vielen Dank dafür. Wenn Du mir wieder schreibst, so soll mir mein Söhnchen auf die andere Seite etwas malen und dazu schreiben, ich habe solche Sehnsucht, von ihm selbst etwas zu haben, seine beiden Bienenhäuschen habe ich bekommen und hatte viel Freude damit. Ja, liebes Hugolein, bald hast Du Geburtstag, am 2.11., nehme alles Gute zu Deinem 9. Geburtstag, von Deiner Mutti, bleibe gesund und sei immer unser braves gutes Kind. Leider habe ich heute nur ein paar Worte für Dich, aber Deinen 10. Geburtstag wollen wir zusammen mit unserem lieben Papa in der Heimat feiern. Wenn Du an ihn schreibst, grüße ihn herzlich von mir, und drücke Großvater und Tante Tinnerl fest von mir. Nochmals vielen Dank, Grüße und Bussi an alle, Julerl.“ 


Brief im Original HIER lesen

Mehr als drei Jahre war Julianna Salzmann dann noch im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Aus dieser langen Zeit sind zahlreiche Briefe überliefert. Ihre Gedanken hierin kreisten immer um die Familie und gerade um ihren Sohn Hugo. Der letzte Brief Juliannas stammt von November 1944. Mit ihm gratulierte sie ihm zum 12. Geburtstag. Ihre Gedanken gingen dabei zurück in die erste Zeit in Bad Kreuznach – 12 Jahre zuvor: Sie, im Frauen-KZ im Mecklen- burgischen, erinnerte ihn in der Steiermark an seine Vaterstadt Bad Kreuznach, an die lieben, guten Freunde, die sie dort hatten und sie versprach, wieder dorthin zu ziehen, wenn sie alle drei wieder zusammen sein werden. Es ist fast wie ein Vermächtnis, als ahnte sie ihren baldigen Tod.

Hugo Salzmann erfuhr auch noch, dass Julianna gleich nach ihrer Einlieferung ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück sich eines vierjährigen einsamen Ukrainermädchens annahm und - so gut es unter den Bedingungen des KZ ging - für es sorgte, sich um Brot für das Kind und um seinen seelischen und geistigen Zustand kümmerte.

Letzter Brief Julianna Salzmanns von November 1944 an die Schwester Ernestine und die anderen in Stainz:

„Meine Lieben!

Habe Euren lieben Brief bekommen, ich war sehr froh, gute Nachricht von Euch zu haben. Es tut mir sehr leid, dass es Vater nicht gut geht, und ich habe ein großes Verlangen, ihn wieder zu sehen. Von Hugo habe ich noch immer nichts gehört und bin daher sehr beunruhigt, vielleicht könnt Ihr einmal dorthin schreiben. Liebe Tini, ich habe zwei Pakete bekommen, eines mit getrockneten Äpfeln und das zweite mit Zwiebeln, alles bekam ich und war in bestem Zustand. Meinen innigsten Dank dafür. Wenn Du hast, schicke mir einmal getrocknete Schwarzbeeren. Jetzt zu Dir ein paar Worte, mein liebes Kind. Übermorgen feierst Du Dein zwölftes Lebensjahr, viele Jahre schon feierst Du Deinen Geburtstag ohne Eltern, ich, liebster Hugo, wünsche Dir das Beste, bleibe gesund und brav. Lerne weiter so gut, und hoffe, dass wir uns recht bald mit unserem lieben Papa wieder sehen. Hoffentlich ist er gesund. Ich denke zurück, vor 12 Jahren waren wir in Bad Kreuznach, es ist Deine Vaterstadt, eine schöne Heimat hast Du, Hugo, ja und liebe gute Freunde hatten wir, als Du geboren wurdest, da hatten sie mit uns die größte Freude, wir gehen wieder dorthin, wenn wir uns alle drei wieder finden, ich umarme und küsse Dich und grüße alle recht herzlich, Geschwister, Paula und die Kreuznacher Eure dankbare Julerl.“

Im folgenden Monat, am 6. Dezember 1944, starb Julianna Salzmann in aller Trostlosigkeit und unerfüllten Sehnsucht im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Hugo Salzmann erlebte im Zuchthaus Butzbach am selben Tag nachts, wie sie im Traum nach ihm rief.

Von Anna Seghers, der großen in Mainz geborenen Dichterin, stammt eine Ode an die Mütter von Ravensbrück, die in besonderem Maße auch für Julianna Salzmann gedichtet scheint.


Einige Zeit später meldete sich eine Kameradin von Julianna Salzmann, die zusammen mit ihr ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt worden war und Julianna bis zum Schluss beigestanden hatte. Von ihr erfuhr Hugo Salzmann dann auch die konkreten Umstände ihres Todes.

Brief von Luise Oehl vom 11. Dezember 1946 an Hugo Salzmann:

„Die gute Julianna, die tapfere Julianna, all die Jahre hat sie so treu Stand gehalten und musste noch drei Monate vor dem Ende dem Typhus zum Opfer fallen! Wie sehr hat sie sich immer gefreut auf das Heimkommen, von dem sie fest überzeugt war! Ich war bei Julianna einen Tag vor ihrem Sterben im Krankenzimmer auf der Isolierstation. Ich hatte ihr schon die ganze Zeit ihrer Krankheit täglich Tee gebracht, essen konnte sie soviel wie nichts, auch für Traubenzuckerspritzen habe ich gesorgt, reines Nachthemd, Tasse, Teller, das (hat) sie sich noch gewünscht. Ich habe ihr die abgezehrten Hände gedrückt, ihr die Haare gestrichen, die Fieberwangen gestreichelt. Ich habe ihr zugeredet zu essen, um wieder zu Euch zu kommen. Aber die Arme, Liebe konnte nicht, sie war zu schwach, ihr Herz konnte die furchtbaren Fieber nicht bewältigen. Und in der furchtbaren Verlassenheit sagte sie zu mir: „Ich bin so froh, dass Du da bist, Luise.“ Sie starb am nächsten Abend in tiefer Dunkelheit während eines Fliegeralarms. Da wir im Revier auch ein paar Genossinnen hatten, wurde Julianna auf einer Krankenbahre gebettet, in weißes Tuch gehüllt, von einigen Kameradinnen zum Totenkeller gebracht und begleitet. Es starben in jener Zeit täglich fast 60 – 100 Frauen, von denen die meisten gar nicht ins Revier gebracht wurden, sondern auf sog. Krankenblocks. Sie wurden morgens eingesammelt, der Kleider entledigt und nackt auf Karren aufgetürmt zum Krematorium gefahren.“ 


 Von der Lebensgefährtin Siegfried Rädels, Maria Weiterer („Jenny“), las Hugo Salzmann auch Liebes von Julianna und seinem Sohn Hugo. Beide, Julianna Salzmann und Maria Weiterer,  waren getrennt worden, als Siegfried Rädel wie Hugo VonSalzmann am 1. September 1939 in Paris festgenommen, ins Gefängnis Le Santé und dann im Konzentrationslager Le Vernet gebracht wurde. Nach dem Abschied der beiden Anfang Oktober 1941 in Le Vernet kam auch Siegfried Rädel wenig später als Hugo Salzmann in das Gefängnis Castres und wurde von der Vichy-Regierung an die Gestapo aus- geliefert. Siegfried Rädel wurde am 25. Februar 1943 vom Volksgerichtshof in Berlin wegen Vorbereitung zum Hoch- verrat zum Tode verurteilt und am 10. Mai 1943 hingerichtet. 

Brief von Maria Weiterer („Jenny“), der Lebensgefährtin Siegfried Rädels, vom 30. April 1946 an Hugo Salzmann:

„Wie ich mich freue, dass Du wenigstens noch Deinen Buben hast. (…) Ich erinnere mich noch gut an den kleinen Kerl, als ich ihn mit Julianna das letzte Mal in Paris vor meiner Verhaftung gesehen habe. Da saßen sie beide auf einer Bank bei Roland Gaross und wollten versuchen, ob sie Dir nicht noch ein Paket bringen konnten. Ich kam gerade zurück und hatte erfahren, dass Siegfried nach Vernet gekommen sei. Dann wurde ich ja auch herausgerissen aus dem Kreis unserer Frauen, die sich alle so tapfer gezeigt hatten, als Ihr weg ward.“


Wie Hugo Salzmann weiter erfuhr, waren seine Frau Julianna und sein Sohn Hugo durch die Verhaftung seiner Frau am 27. November 1940 getrennt worden und hatten sich dann nie mehr gesehen. Hugo kam aufs Land nach Les Mesnules (Maule) zu den Eheleuten Leclus. Dort war er mit seiner Mutter schon vorher zu Besuch gewesen, jetzt war er da allein und auf unbestimmte Zeit. Für den achtjährigen Jungen war das eine sehr schlimme Zeit, an die er sich nur noch mit Grauen erinnert. Alles war dort lieblos, heruntergekommen, armselig. Und dann musste er Monsieur Leclus auch noch zur Hand gehen, wobei es nicht immer mit rechten Dingen zuging. Der Höhepunkt war erreicht, als Monsieur Leclus einen Baum absägte, der auf Hugo stürzte, ihm das Bewusstsein nahm und tagelange schwere Kopfschmerzen verursachte.

Hugo junior bei den Leclus, Winter 1940 (Quelle: privat)

Der Abschied von den Leclus kam genauso unvermittelt wie lieblos. Eines Tages Anfang April 1941 befahl Leclus Hugo, seine Sachen zu packen, und  fuhr mit ihm und einem Koffer nach Paris. Dort reichte er Hugo mitten im Gewühl – zum ersten Mal – die Hand und verabschiedete sich mit den Worten: „Au revoir, Hugo, et bonne chance“. Das war’s dann. Hugo wurde von Mitarbeitern der deutschen Rückwandererstelle in Empfang genommen und gelangte mit Hilfe des Roten Kreuzes zu Juliannas Familie nach Stainz in der Steiermark/Österreich.  

Hugo junior bei Tante Ernestine in der Steiermark, Anfang 1940er Jahre (Quelle: privat)

In Juliannas Schwester Ernestine („Tinnerl“) Fuchs fand Hugo eine treu sorgende Tante, die Mutterstelle an ihm versah. In einem Brief von Anfang 1945 schrieb sie dazu an den Vater Hugo Salzmann:

Brief von Ernestine Fuchs an Hugo Salzmann vom 25. Jänner (Januar) 1945:

„(…) Über das Kind mache Dir keine Sorgen. Ich vertrete schon vier Jahre Mutterstelle an Hugo. Ich habe ihn sehr lieb. Er ist gerne bei mir. Auch er hat mich schon lieb gewonnen, so wird er es ein bisschen leichter tragen, es ist doch seine zweite Heimat und Julianna ihr Wunsch war es ja damals, dass ich Hugo nehme, und ich habe es getan und bin froh, ihr diesen Wunsch erfüllt zu haben, damit Hugolein nicht in fremde Hände musste, denn das wäre für das arme Kind noch furchtbarer.“ 

 

Auf einem Foto aus dem Jahr 1942, das Ernestine noch ihrer Schwester Julianna ins Frauen-KZ Ravensbrück geschickt hatte, kann man diese warmen Worte Ernestines ein wenig nachempfinden. Julianna war seinerzeit sehr froh über dieses Foto und schrieb dazu, die beiden sähen sich sehr ähnlich.

Dieses Bild stammt aber noch aus besseren Zeiten. Als Ernestine Fuchs den Brief vom 25. Januar 1945 schrieb, war es ihr sehr schwer ums Herz. Darin heißt es weiter: „Mein Herz blutet über dieses furchtbare Leid, welches über uns gekommen ist.“ Ernestine hatte nicht nur den Tod ihrer Schwester Julianna zu beklagen. Wenig später erhielt sie die Nachricht, dass ihr Ehemann Peter gefallen war, dann, dass ihrem Bruder Friedl dasselbe Schicksal widerfuhr. Kaum ein Jahr später starb ihr Vater Josef Sternad.

Hugo junior und seine Tante Ernestine, 1942 (Quelle: privat)

Auch Hugo Salzmanns jüngerer Bruder Karl kam nicht aus dem Krieg zurück. Karl hatte ihn im Herbst 1943 noch im Zuchthaus Butzbach besucht. Nur kurz hatten die beiden Brüder da Zeit, um sich wieder zu sehen und Informationen auszutauschen, gerade einmal eine Viertelstunde nach der langen Zeit der Trennung. In Umrissen hatte Hugo Salzmann von Karls Schicksal gehört – soweit das der Aufsicht führende Wachtmeister zuließ. Jetzt erfuhr er noch etwas mehr über Karl. Er war nach der Machtübernahme seiner kommunistischen Gesinnung treu geblieben. Das zeigte sich etwa, als er mit anderen Kommunisten am 25. April 1936 an der Beerdigung eines Kommunisten in Bad Kreuznach teilnahm. Spätestens seitdem wurde er von der Gestapo beobachtet. Anfang der 1940er Jahre zog Karl nach Magdeburg, wahrscheinlich war er dorthin von den Seitz-Werken dienstverpflichtet worden. Jedenfalls arbeitete er in den Krappwerken in Magdeburg-Buckau. Mit ihm nach Magdeburg zog seine Schwester Tilla und ihre kleine Tochter. Tilla kümmerte sich um den Haushalt der drei. Während eines Urlaubs von Karl Salzmann in Bad Kreuznach im Juni 1941 ließ er sich in einer Gaststätte zu folgender Äußerung hinreißen: „Nach unserem Namen werden nochmals alle rufen. Ich will nur Gefängniswärter vom Gau Koblenz werden, dann frisst keiner mehr etwas bei mir.“ Dies wurde in Bad Kreuznach natürlich  registriert und an die Gestapo nach Koblenz gemeldet.

Da Karl Salzmann in Magdeburg-Buckau wohnhaft war, wurde der Vorgang nach dort abgegeben. Zum Glück für ihn sah die Staatspolizeistelle Magdeburg keinen Grund für eine staatspolizeiliche Maßnahme, da sich Karl dahin eingelassen hatte, aufgrund zu starken Alkoholgenusses über seine angeblichen Äußerungen keine Angaben machen zu können. Ein Jahr später hatte er dieses Glück nicht mehr. Als er mit einem SA-Mann Streit bekam und diesem ins Gesicht schlug, wurde er von der Gestapo von Ende Juli bis Ende September 1942 in „Schutzhaft“ genommen und anschließend für drei Monate in ein Konzentrationslager oder – wohl eher – in ein so genanntes Arbeitserziehungslager zur „Umerziehung“ verschleppt. Mitte Januar 1943 kam Karl Salzmann frei – aber nur um den Preis, dass er sofort zur Deutschen Wehrmacht eingezogen wurde. Im Juli 1943 erlitt er dann die Kopfverletzung, deretwegen er im Herbst 1943 Heimaturlaub erhielt und seinen Bruder Hugo im Zuchthaus Butzbach besuchen konnte. Danach kehrte Karl zu seiner Einheit an der Krim zurück. Die letzte Nachricht von ihm stammt vom 5. März 1944. Das ist wahrscheinlich der Brief, den er noch seiner Freundin in der Heimat hatte schreiben können.

Karl Salzmann als Soldat mit Kameraden (Quelle: privat)

 

Letzter Brief von Karl Salzmann an seine Freundin:

„Hier im rumänischen Hafen am Schwarzen Meer werden wir nach der Krim verschifft. Die russischen ‚Mücken’bomben machen jeden Transporter kaputt. Die halbe Krim ist von den Russen erobert. Unsere Kameraden laufen zurück und laufen zurück. Dann verschifft man uns noch an die Krim. Wir versaufen alle!“ 

 

Froh war Hugo Salzmann, wenigstens seinen „alten“ Genossen Philipp Assmann in Bad Kreuznach wieder zu sehen. Die beiden hatten sich Mitte der 1930er Jahre in Paris ein paar Mal bei Philipp Assmanns Schwester Anna und deren Ehemann Louis Bernard getroffen, zehn Jahre hatte er dann nichts mehr von ihm gehört – bis auf das von der Gestapo gefälschte Vernehmungsprotokoll, mit dem Philipp Assmann angeblich Hugo Salzmann belastete. Philipp Assmanns weiteres Verfolgungsschicksal ist nicht bekannt. Er muss aber in der Gestapohaft und wohl auch im Konzentrationslager schwer misshandelt worden sein, denn er starb – mit 48 Jahren – im Jahr 1946 an den Folgen der Haft.

Noch bedrückender war für Hugo Salzmann der Kontakt zur Familie Baruch. Die Brüder Julius und Hermann hatten ihn in seinem Kampf gegen die Nazis am Ende der Weimarer Republik tatkräftig unterstützt und Julius hatte ihm mit der Flucht von Planig ins Saargebiet im  April 1933 wohl das Leben gerettet. 

Schockiert war Hugo Salzmann, dass von den mit ihm befreundeten Baruchs nur noch Julius‘ Frau Klara, eine im Jargon der Nazis „Arierin“, in Bad Kreuznach lebte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und ihrem aggressiven, menschenverachtenden Antisemitismus hatten auch die Baruchs unter dem „Judenboybott“ und dem Rückgang ihrer Geschäfte zu leiden. Lebensbedrohlich wurde dieser Antisemitismus für sie in der Johannisnacht des Jahres 1937. An Johannis marschierten Nazis mit Fackeln durch die Kreuznacher Innenstadt. Kurz vor Mitternacht waren mehr als 30 SA-Leute mit dem berüchtigten SA-Sturmführer Kappel am Haus der Baruchs in der Hochstraße 38. Einige stiegen über die Toreinfahrt auf das Anwesen, andere zertrümmerten die Haustür. Sie drangen in die Wohnung der Baruchs ein. Während die über 76 Jahre alte Mutter Karoline, ihre Töchter und Schwiegertöchter schon zu Bett waren, saßen die Brüder Julius und Hermann mit Freunden beim Kartenspiel. Die Brüder wurden von den SA-Leuten „verhaftet“, auf die Straße geprügelt und in das Stadthaus geschleppt. Julius Baruchs Ehefrau Klara gab später dazu zu Protokoll: „Womit der Kappel meinen Mann geschlagen hat, kann ich nicht sagen. Mein Mann meinte später, es sei ein Schlagring gewesen. Desgleichen wurde auch mein Schwager Hermann Baruch auf die Straße herausgezogen und geschlagen. Beide wurden dann in das Stadthaus geführt, nach meiner Ansicht von der SA und nicht von Polizeibeamten. Aber nach etwa einer halben Stunde wurden mein Mann und mein Schwager von der Polizei wieder ins Haus zurückgebracht.“ Julius und Hermann Baruch erzählten später, dass Polizisten sie als die berühmten Sportler erkannt und befreit hätten – sonst wären sie wohl von den SA-Leuten totgeschlagen worden.

Unter diesem Druck entschloss sich der ältere der Baruch-Brüder, Adolf, im Jahr 1938 mit seiner Familie Deutschland zu verlassen und nach Argentinien auszuwandern. Ein Schwager von ihm lebte dort und organisierte deren Ausreise.  

Diese Möglichkeiten hatten die Brüder Julius und Hermann nicht und so blieb ihnen von vornherein nichts anderes übrig, als in Nazi-Deutschland zu bleiben. Am ehesten hatte sich noch Bruder Hermann mit seinem Polster- und Dekorationsgeschäft über Wasser halten können. Er arbeitete für jüdische Kundschaft und war an der Anfertigung von Möbelstücken mit Geheimfächern beteiligt, in denen die jüdischen Auswanderer Wertgegenstände dem Zugriff der Nazis entziehen konnten. Aufgrund einer Denunziation entdeckte die Zollfahndung alsbald in Bettcouches Geheimfächer und leitete gegen den Schreiner ein Ermittlungsverfahren ein. Als dieser Hermann Baruch warnte, konnte er am 28. Juni 1938 noch aus Bad Kreuznach nach Antwerpen in Belgien fliehen. 

An seiner Stelle nahm die Staatspolizeistelle  Darmstadt Julius Baruch fest. Im anschließenden Strafverfahren machte man ihm zum Vorwurf, er habe diese Couches an die Kundschaft ausgeliefert, ihre Konstruktion gekannt und auch beim Füllen der Geheimfächer schon einmal geholfen. Wenige Tage vor der sog. Reichspogromnacht (am 9./10. November 1938) verurteilte das Bezirksschöffengericht Mainz Julius Baruch wegen „fortgesetzten Vergehens gegen das Devisengesetz“ zu neun Monaten Gefängnis und zu einer Geldstrafe von 1.500 Reichsmark ersatzweise zu 30 Tagen Gefängnis. Unter der Überschrift: Die Geheimfächer des Juden Baruch“ berichtete der „Kreuznacher Beobachter“ genüsslich über die Verhandlung vor dem Mainzer Gericht und die Verurteilung zu „empfindlichen Gefängnis- und Geldstrafen“. Darin heißt es u.a.:

Artikel im Kreuznacher Beobachter über die Verurteilung Julius Baruchs wegen Devisenvergehens:

„Aufgrund vertraulicher Mitteilungen stellte die Zollfahndungsstelle Frankfurt am Main fest, dass die  J u d e  n  H e rm a n n  u n d  J u l i u s  B a r u c h, Polstergeschäft in  B a d   K r e u z n a c h, seit Januar 1938 auswanderungslustige Juden besuchten, und ihnen eine Spezialität in Bettcouches anboten, die ein   G e h e i m f a c h  enthielten, das äußerlich absolut unsichtbar ist. Sie verkauften auch circa 20 Stück solcher „Möbel“ bis zu ihrer Entdeckung, sie wollen etwa 30 Stück im Ganzen angefertigt haben. Während sich Hermann Baruch im Bewusstsein seiner Schuld noch rechtzeitig der Flucht entziehen konnte, wurde Julius Baruch festgenommen.“


Den ganzen Zeitungsartikel HIER im Original lesen 

Nur wenige Tage später waren die Baruchs bei der sog. Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wieder Opfer der Nazis, die mit Hämmern Ladentüren und Fenster zerschlugen. 
 
Die in Bad Kreuznach verbliebenen Baruchs ließ die Gestapo nicht mehr in Ruhe. Im August 1940 wurde Julius für eine Woche in Haft genommen, weil er sich gegenüber anderen Juden kritisch zu den Verhältnissen geäußert hatte. Einige Zeit später kam seine 78 Jahre alte Mutter Karoline in Konflikt mit der Gestapo, weil sie versucht hatte, mit ihren im Ausland lebenden Angehörigen brieflich in Verbindung zu treten. Dabei ging es ersichtlich um den Briefkontakt zu ihrem Sohn Hermann. Dafür wurde die alte Frau verwarnt. 

Ein Jahr später war die 80 Jahre alte Mutter die erste, die von den in Nazi-Deutschland verbliebenen Baruchs „in den Osten“ deportiert wurde. Sie verschleppte man am 27. Juli 1942 von Bad Kreuznach aus in das Konzentrationslager Theresienstadt, dort kam sie am 12. Oktober 1943 – wie man so sagt – um. Während dieser Zeit wurde ihr Sohn Hermann im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Er war nach der deutschen Besetzung Belgiens von der Gestapo inhaftiert und im Jahr 1942 mit anderen Juden in das südfranzösische Lager Gurs verschleppt worden. Von dort aus deportierte man ihn nach Auschwitz-Birkenau - zur „Vernichtung“  mit Giftgas. Das gleiche Schicksal musste seine Schwester Emma erleiden. Sie lebte seit ihrer Heirat mit einem Christen in Frankfurt am Main und wurde im Mai 1943 nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, wo sie nach den Angaben der Täter am 30. August 1943 verstarb.    

Julius war einer der wenigen Baruchs, die noch am Leben waren und weiterhin in Bad Kreuznach wohnten. Er war zwar von Deportation bedroht, bisher aber nicht „in den Osten“ verschleppt worden, weil er mit einer „Arierin“ in einer geschützten „Mischehe“ lebte. Aber auch er wurde ein Opfer der Nazis – nicht unmittelbar wegen seiner jüdischen Herkunft, wohl aber aus politischen Gründen. Als Jude war er den Nazis allerdings schon ein Dorn im Auge und wurde von ihnen beobachtet. Dadurch fiel er wegen seiner „staatsfeindlichen Haltung“ dem NSDAP-Kreisleiter Schmidt und dem Kreuznacher Landrat Müser auf. Als sie das mitbekamen, nahmen sie – wie es hieß – an seinem Benehmen Anstoß, weil er damit in der Öffentlichkeit „Ärgernis“ erregte. 

Daraufhin wurde Julius Baruch im September 1944 von der Gestapo festgenommen und in „Schutzhaft“ in das Ge- fängnis von Bad Kreuznach am Gensingerweg gebracht. Sodann „erbaten“ Kreisleiter und Landrat seine Einweisung in ein Konzentrationslager. Dieser „Bitte“ schloss sich die Gestapo an und beantragte dies beim Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Darüber wurde es Weihnachten und Julius saß immer noch in „Schutzhaft“ im Bad Kreuznacher Gefängnis.  Wie schwer ihm die Trennung von seiner Frau und den noch verbliebenen Angehörigen fiel, zeigt ein von ihm zu Weihnachten im Kreuznacher Gefängnis geschriebenes Gedicht. 

Anfang des Jahres 1945 kam dann die Anordnung, Julius Baruch in das Konzentrationslager Buchenwald zu überführen. Am 16. Februar 1945 brachte ihn die Gestapo vor Ort „auf Transport“. In Buchenwald kam der ehemals stattliche, voll durchtrainierte Ausnahmeathlet – Europameister der Gewichtheber im Halbschwergewicht und Silbermedaillengewinner im Ringen – unter nicht exakt geklärten Umständen ums Leben. Fest steht nur, dass er die Befreiung nicht überlebte. 

Die Einzelheiten dieser Schicksale erfuhr Hugo Salzmann bei einem Besuch bei Klara Baruch am 15. Mai 1945. Dort traf er auch Ernst Forst. Er war ebenfalls Jude und überlebte, weil er mit seiner Frau Katharina, einer „Arierin“, in „privilegierter Mischehe“ lebte. Über das Ende von Julius Baruch erfuhr Hugo Salzmann Jahre später dann noch Näheres von einem anderen Buchenwald-Häftling.

Den Brief über das Ende von Julius Baruch HIER lesen

Über den Familien- und Freundeskreis in Bad Kreuznach und Umgebung hinaus knüpfte Hugo Salzmann schon bald den Kontakt zu weiteren Überlebenden des Naziterrors. Vorrangig war dabei, weitere Informationen über seine Frau Julianna und seinen Sohn Hugo zu erhalten. Unterstützer der beiden und Kameradinnen Juliannas meldeten sich bei ihm. So wurde insbesondere die Freundschaft zu Lore Wolf weiter gefestigt. Zum anderen suchte Hugo Salzmann auch den Kontakt zu Gefährten aus dem französischen Exil, aus Paris und gerade aus dem Lager Le Vernet. 

Alsbald meldete er sich bei Franz Dahlem. Ihn in Berlin (Ost) ausfindig zu machen, war dabei nicht schwer. Denn nach dem Krieg war Dahlem Abgeordneter der Volkskammer und im Zentralkomitee und im Politbüro des Zentralkomitees der SED sehr aktiv. Als Leiter der Abteilung Kader und Organisation und des Büros für „Parteiaufklärung“ sowie als stellvertretender Leiter der Sonderkommission für die Aufstellung von Verteidigungskräften war er eine allgemein bekannte und geschätzte „öffentliche“ Person. Innerhalb der SED galt er als Rivale von Ulbricht. Deshalb war es für Hugo Salzmann ein Leichtes, seine Adresse ausfindig zu machen und dann Kontakt zu ihm aufzunehmen. 

Hugo Salzmann schrieb sich auch mit Maria Weiterer („Jenny“), der langjährigen Lebensgefährtin Siegfried Rädels. Sie war in Frankreich ebenfalls verhaftet und im Lager Rieucros interniert worden. Maria Weiterer konnte aber freikommen, illegal leben und schließlich im August 1945 nach Deutschland zurückkehren. Sogleich hatte sie sich in den Dienst der Partei gestellt und leistete Gewerkschaftsarbeit als Leiterin des Frauensekretariats im Kreisvorstand des ADGB in Heidel- berg. Der Kontakt zu Maria Weiterer fand aber bald ein Ende und der zu Franz Dahlem entwickelte sich richtig erst 10 Jahre später, Ende der 1950er Jahre. Dies hatte zeitgeschichtliche Hintergründe in den frühen 1950er Jahren und soll im nächsten Kapitel angesprochen werden.

Demgegenüber erneuerte Hugo Salzmann schon sehr bald, recht intensiv und über viele Jahre hinweg die Freundschaft zu Friedrich („Fred“) Hey, seinem – wie er ihn nannte –  „treuen Freund, Schlafkamerad und Mitkämpfer in der Emigration“.

Fred Hey hatte im Zuge der Visitation der sog. Kundt-Kommission für eine Rückkehr ins Deutsche Reich gemeldet. Er war Anfang September 1940  aus dem Lager Le Vernet entlassen und der Gestapo übergeben worden. Schon am 2. Oktober 1940 hatte man ihn in Straßburg festgenommen und in das Polizeigefängnis eingeliefert.

Eine Woche später schilderte er dort seinen Lebenslauf, zeigte „Reue“ („Ich sehe meinen Fehler ein und will bestrebt sein, diesen wieder gut zu machen.“), verriet aber niemanden. Das änderte sich zwei Monate später. Bei seiner Vernehmung durch die Staatspolizeistelle Saarbrücken am 7. Dezember 1940 denunzierte er zahlreiche  Genossen und kommunistische Emigranten in Frankreich. Auch gab er sehr detaillierte Informationen zur Organisation der Emi-Leitung in Paris preis. Dabei schonte er nicht einmal seine Brüder August und Johann. Gegen beide gab es dann auch Strafverfahren. Sie endeten hinsichtlich August Hey mit Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 1941 (Aktenzeichen: O Js 96/41) mit einer Verurteilung wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Das Strafverfahren gegen Johann Hey zog sich hin, führte dann aber zur Verurteilung durch den Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Strafe von drei Jahren Zuchthaus (Aktenzeichen: 10 J 89/44).

Auch sein Freund Hugo Salzmann wurde durch Fred Hey denunziert. Dies ermöglichte oder förderte zumindest wesentlich dessen Verurteilung durch den Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu acht Jahren Zuchthaus. Insgesamt belastete Fred Hey namentlich mindestens 52 Personen. Damit initiierte er weitere Ermittlungen und auch Strafverfahren sowie Verurteilungen gegen sie – soweit die Nazis ihrer habhaft werden konnten. Nur am Rande sei erwähnt, dass sich dieses Verhalten von Fred Hey kaum mit einem auf ihn ggf. ausgeübten starken Druck und Folter erklären ließ, denn Hey bereute schon nach wenigen Tagen seiner Polizeihaft seine „Fehler“ und machte von sich aus wiederholt weitergehende Angaben. Diese leitete er dann mit der Bemerkung ein: „Mir sind noch die Namen folgender kommunistischer bzw. marxistischer Funktionäre eingefallen.“

Für Fred Hey persönlich zahlte sich dieser ungeheuerliche, umfassende Verrat übrigens nicht einmal aus. Auch ihm wurde vor dem Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat der Prozess gemacht  und er wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Obwohl er von Beginn des Verfahrens an seine kommunistische Gesinnung und sein Verhalten bereute, glaubte ihm die Gestapo sein Geständnis nur zum Teil. Auch der Volksgerichtshof sah darin keinen Strafmilderungsgrund.

Um auf Hugo Salzmann zurückzukommen. In seiner Freundschaft zu Fred Hey erkannte er nicht dessen Verrat. Das war für ihn sicherlich auch sehr schwierig, wenn  nicht gar unmöglich. Aber auf jeden Fall sprach dies nicht für seine Menschen- kenntnis. Positiv war für Hugo Salzmann in diesem Zusammenhang allein, dass ihm, der er durch den Naziterror so viel Leid hatte erfahren müssen und jetzt nach der Befreiung so viele Angehörige, Genossen und Freunde so schmerzlich vermisste, diese erschütternde Wahrheit bis zum Tod Fred Heys im Jahr 1960 und auch bis zum eigenen Tod verborgen blieb. Erst mit der Recherche zu dieser Ausstellung wurde der Verrat Fred Heys bekannt.

 

Mann der Ersten Stunde in Bad Kreuznach

 

Typisch für Hugo Salzmann war, dass er bei diesem Leid, das er erfahren musste, nicht stehen blieb und einfach nur mitlitt, sondern das Mitleiden ihm Anstoß und Motiv war, aktiv zu werden, sich für die leidenden Menschen und ihre Angehörigen sofort und mit ganzer Kraft einzusetzen. Sogleich organisierte er eine Sammlung für „Opfer des Faschismus“. Es kam schnell und spontan eine Summe von 65.000.—Reichsmark zusammen. Zur Veranschaulichung sei gesagt, dass der monatliche Lohn eines Arbeiters sich zwischen 150.— und 200 Reichsmark bewegte. Von den Spenden konnten Lebensmittel, Schuhe und Kleidung für die Überlebenden des NS-Terrors gekauft werden. Das war eine deutliche Hilfe für die NS-Opfer und ihre Angehörigen in dieser ersten, sehr schweren Zeit unmittelbar nach dem Krieg und der Befreiung. Es war Hugo Salzmanns erstes Engagement für die Opfer des Faschismus. Damit nahm er sich einer Aufgabe an, der er sich zeit seines weiteren Lebens in unterschiedlicher Form, aber immer mit vollem Einsatz seiner Person widmen sollte.  

Natürlich sah Hugo Salzmann nach dem Ende der Diktatur und des Terrors Hitlers für sich eine wesentliche Aufgabe in der Umgestaltung seiner politischen und gesellschaftspolitischen Umwelt. Schon zurzeit der Weimarer Republik war er mit Leib und Seele Gewerkschafter und Kommunalpolitiker gewesen. Diese Leidenschaft war in den Jahren der NS-Diktatur, der Emigration und Verfolgung nicht verloren gegangen. Im Gegenteil hatte sie noch zugenommen und hatte die Chance, mehr als zuvor zu erreichen - waren die Gestaltungsmöglichkeiten beim Neuanfang bzw. Wiederaufbau nach dem Krieg doch größer als in der Weimarer Zeit. Zudem hatten die Jahre und sein Lebensweg Hugo Salzmann geprägt, er war reifer, auch abwägender und kommunikativer geworden.

Ehe er wieder politisch aktiv werden konnte, musste er - so befremdlich das auch klingen mag – überhaupt erst wieder „Deutscher“ werden. Denn die Nazis hatten ihm in der Emigration die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und er war staatenlos geworden. Die Wiedereinbürgung bzw. Rückbürgerung war aber nur ein formaler Akt, der umgehend noch im Monat Mai 1945 erledigt war. Damit war Hugo Salzmann für eine gesellschaftliche, gewerkschaftliche und politische Arbeit bereit. Es sollte aber noch einige Zeit dauern, bis er sich, seine Arbeitskraft und sein Wissen  einbringen konnte. Denn die Besatzungsmächte ließen politische Aktivitäten auch in einem weiteren Sinne erst vorsichtig und nach und nach zu.

Der frühere Redakteur Richard Walter erzählt von Hugo Salzmanns Neuanfang nach dem Krieg:

 

Die Neugestaltung des politischen Lebens im besetzten Deutschland sollte nach dem Willen der Großen Drei auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945), zu der Frankreich nicht eingeladen war, nach den vier „D“ erfolgen: Demilitarisierung, Dekartellierung, Denazifizierung und Demokratisierung. Das politische Leben wollte man auf „demo- kratischer Grundlage“ wieder aufgebaut sehen. Die ersten Schritte hatten dabei auf der lokalen Ebene zu erfolgen, in den Gemeinden, den Städten und den Kreisen. Die Deutschen sollten die Prinzipien der Demokratie von Grund auf lernen, beginnend auf der Ebene der Gemeinden und Kreise. 

Hierzu setzten die Amerikaner, die im heutigen Rheinland-Pfalz und damit auch in Bad Kreuznach und Umgebung zunächst die Besatzungsmacht waren, unbelastete Bürgermeister und Landräte ein. In Bad Kreuznach war dies - nach einem ersten Fehlgriff in der Besetzung - der frühere Bürgermeister Dr. Robert Fischer. Aus der Bürgerschaft heraus entstand dann – wie auch andernorts – der Wunsch, einen Rat (Bürgerrat) von zuverlässigen und nicht belasteten Bürgern zur Unterstützung des Bürgermeisters und der Verwaltung zu berufen. Das gestaltete sich recht schwierig, weil politische Parteien noch nicht zugelassen waren und diese nicht über den Weg des Bürgerrats Einfluss gewinnen sollten. Immerhin schlug Bürgermeister Fischer der Militärregierung 18 Personen vor, die er für einen solchen Bürgerrat geeignet hielt. Einer von ihnen war Hugo Salzmann. 

Ehe dieses Gremium gebildet wurde, wechselte die Besatzung. Am 10. Juli 1945 wurden anstelle der Amerikaner die Franzosen Besatzungsmacht. So entstanden die vier Besatzungszonen: Im Westen die britische, die amerikanische und die französische Besatzungszone und im Osten die sowjetische Besatzungszone.  In der Berliner Deklaration vom 5. Juni 1945 hatten die Siegermächte öffentlich bekannt gemacht, dass die oberste Regierungsgewalt in Deutschland von den Oberbefehlshabern der vier alliierten Mächte übernommen sei und von ihnen gemeinsam ausgeübt werde. Ihre Hoheitsrechte schlossen – wie es ausdrücklich hieß – alle Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden ein. Diese Oberbefehlshaber waren nur ihren jeweiligen Regierungen verantwortlich. Sie bildeten aber ein Kollegialorgan, den Alliierten Kontrollrat mit Sitz in Berlin; er konnte  Beschlüsse nur einstimmig treffen.

Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: Ausgehend von den Grenzen des Deutschen Reichs von 1937 (grüne Umrandung) sind erkennbar die vier Besatzungszonen,
sowie, dazu sogleich, Berlin mit einem Sonderstatus, das Saargebiet und die unter polnischer und sowjetischer Besatzung stehenden deutschen Ostgebiete, Stand: 1. September 1945.

Die ehemalige Reichshauptstadt Berlin wurde in vier Sektoren aufgeteilt: in den amerikanischen, den britischen, den französischen und den sowjetischen Bereich. Die vier Sektoren verwaltete zunächst die Alliierte Kommandantur, die dem Alliierten Kontrollrat unmittelbar unterstand. Außerdem wurden die ehemals deutschen Ostgebiete jenseits der Grenze von Oder und Neiße unter polnische bzw. sowjetische Verwaltung gestellt. Das Saargebiet erhielt  eine eigene Verwaltung unter französischem Protektorat, wirtschaftlich wurde es Frankreich angeschlossen

Die Franzosen als spät hinzu gekommene Besatzungsmacht mit ihrem in Baden-Baden residierenden Militärgouverneur General Pierre Koenig an der Spitze  und dementsprechend die französische Zone wiesen gewisse Besonderheiten auf. So war die französische Zone die mit Abstand kleinste und mit 5,9 Millionen Einwohnern auch die bevölkerungsärmste der vier Besatzungszonen. Sie bestand aus einem überwiegend linksrheinisch gelegenen Nordteil und einem rechtsrheinischen Südteil, die der französischen Zone das Aussehen von zwei sich an der Spitze berührenden Dreiecken gaben. Aus der Nordzone ging später das Land Rheinland-Pfalz hervor. 


Die Deutschland- und Besatzungspolitik der Franzosen war geprägt von einem starken Sicherheitsbedürfnis gegenüber ihren östlichen Nachbarn und von umfangreichen Reparationen. Man kann sie schlagwortartig zusammenfassen in die Formel: „Sicherheit und Kohle“. Diese extreme wirtschaftliche Ausnutzung ihrer Zone brachte ihr bald den Namen „Hungerzone“ ein.  

Von dieser „großen Politik“ der vier Besatzungsmächte bekamen die Menschen vor Ort nicht viel mit. Für sie maßgeblich war vor allem die lokale Militärregierung. An ihrer Spitze stand in Bad Kreuznach Major Fabia. In seiner Bekannt- machung Nr. 1 vom 20. Juli 1945 traf er wichtige Entscheidungen für den Alltag der Bad Kreuznacher. Dazu gehörte auch das Verbot von Bürgerräten. In Ziffer 10 der Bekanntmachung hieß es:

Bekanntmachung Nr. 1 des Kreuznacher Kommandanten Fabia vom 20. Juli 1945 zum Bürgerrat:

„Die Stadt- etc. Räte sind ausdrücklich verboten, gleichgültig unter welcher Form, sei es unter der einer Reinigungs- kommission oder irgendwelcher ähnlicher Kommission. Der Bürgermeister hat nur die Befehle der Militärregierung des Kreises auszuführen, welche ihm der Landrat übermittelt.“  (zitiert nach: Gerd Michael Kneib: 1945 – und wie es weiter- ging, in: Stadt Bad Kreuznach: Bad Kreuznach, a.a.O., S. 255 ff (264 f.)


Das war deutlich. So dauerte es noch bis zum 15. September 1945, bis sich die französische Militärregierung in Baden-Baden eines Besseren besann und eine Anordnung zur Bildung von „Beratenden Bürgerkomitees“ bzw. „Gemeinderats- komitees“ erließ. Darin hieß es:

Anordnung der französischen Militärregierung vom 15. September 1945 über die Bildung von „beratenden Bürgerkomitees“:

„(Es) werden die beratenden Organe, so genannte Gemeinderatsausschüsse, zur Unterstützung des Bürgermeisters geschaffen (…). In diesen beratenden Ausschüssen sitzen die Vertreter der verschiedenen politischen Richtungen, der konfessionellen Vertretungen, der Berufsvertretungen sowie auch solche Personen, deren Gegenwart für die Behandlung von Fragen kommunalen Interesses von Nutzen und entscheidender Bedeutung ist.“ (zitiert nach:  Gerd Michael Kneib, a.a.O., S. 267)

 

Erst im November 1945 konnte der Kreuznacher Bürgermeister dem Kommandanten Fabia eine neue Liste für den Bürgerrat geeigneter Personen vorlegen. Sie bestand aus zehn beratenden Mitgliedern und ebenso vielen Vertretern. Hugo Salzmann war als Mitglied wieder dabei. Wohl Ende des Jahres 1945 nahm der Kreuznacher Bürgerrat seine Arbeit auf. Das war ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer Selbstverwaltung nach dem demokratischen Prinzip. Der Bürgerrat bestand dann bis zu den ersten Kommunalwahlen am 15. September 1946. 

Ausweis von Hugo Salzmann, ausgestellt am 22. August 1945 (Quelle: privat)

 

Aktiver Gewerkschafter 

 

Die ersten politischen Aktivitäten im weiteren Sinne entwickelte Hugo Salzmann im gewerkschaftlichen Bereich. Zusammen mit dem SPD-Mann Franz Schulze (später Gewerkschaftssekretär und Kreisdeputierter des Kreises Bad Kreuznach) sowie weiteren Kollegen baute er die Gewerkschaften in Bad Kreuznach wieder auf. Sie mussten die ursprünglich vorhandene Organisation wieder herstellen. Denn auch die Gewerkschaften waren von den Nazis zerschlagen worden. Am Morgen des 2. Mai 1933 hatten die Rollkommandos der SA in ganz Deutschland Häuser und Betriebe der Freien Gewerkschaften sowie der Arbeiterbank besetzt. Führende Funktionäre waren in „Schutzhaft“ gekommen, die Gewerkschaftspresse wurde gleichgeschaltet. Nur einige Tage später gründeten die Nazis unter Führung Robert Leys die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Die Gewerkschafter wurden zwangsweise Mitglied der DAF, das Gewerkschaftsvermögen wurde eingezogen. Die DAF entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer Zwangsorganisation aller Arbeitnehmer. Diese hießen nicht mehr so, sondern nur noch „Gefolgsleute“, die ihrem „Betriebsführer“ in vielfältiger Weise verpflichtet waren und ihm zu „folgen“ hatten.

Von daher musste man nach dem Krieg vor Ort wieder von vorn anfangen, zumal Gewerkschaften ausdrücklich noch nicht zugelassen waren. Aber die französische Besatzungsmacht stand den Arbeitnehmer-Vertretungen durchaus positiv gegenüber – was maßgeblich an der dortigen innenpolitischen Situation lag. Denn nach der Befreiung Frankreichs vom Hitler-Faschismus bildeten die Résistance und General Charles de Gaulle eine „Regierung der Einmütigkeit“. Die Kollaborateure der „Vichy-Regierung“ wurden abgeurteilt und die Wahlen zur Nationalversammlung führten zu einer Volksfront-Regierung, in der die Kommunisten die stärkste Kraft waren.  

Von daher forcierten die Franzosen die Gründung von Ortsgewerkschaften, insbesondere in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier. Überall – und damit auch in Bad Kreuznach – entstanden Einheitsgewerkschaften, also Gewerk- schaften wie wir sie heute kennen, die für alle Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf deren politische oder weltanschauliche Überzeugung gewerkschaftliche Heimat sein können. Sie waren nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und der Machtübernahme Hitlers eine Reaktion auf die früher üblichen Richtungsgewerkschaften, die sich einer weltanschaulichen oder politischen Richtung (kommunistisch, sozialistisch, christlich oder liberal) verpflichtet fühlten.

Formell ließ die französische Militärregierung mit der Verordnung Nr. 6 vom 10. September 1945 und den zeitgleich erlassenen Ausführungsbestimmungen die Gründung von Gewerkschaften wieder zu. Voraussetzung war aber eine vorherige Genehmigung durch die Militärregierung und ein gewisser Standard, wie etwa das Gebot innergewerkschaftlicher Demokratie. Zugelassen wurden die Gewerkschaften nur als „örtliche Organisationen“ und nur zu dem Zweck, die beruflichen Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Die Frage, ob Einheitsgewerkschaften oder mehrere Richtungsgewerkschaften zugelassen werden sollten, ließen die Franzosen offen. Es gab aber die Empfehlung, „Anträge auf Konstituierung von Einheitsgewerkschaften mit Wohlwollen zu betrachten“.

Erlaubnisschein der französischen Militärregierung für Hugo Salzmann vom 14. September 1945
zum Besuch einer Gewerkschaftskonferenz in Koblenz  (Quelle: privat)

Erlaubnisschein der fr. Militärregierung für Hugo Salzmann vom 15.09.1945
zu Fahrten durch den Landkreis Bad Kreuznach  (Quelle: privat)

Wie diese gewerkschaftliche Arbeit von Hugo Salzmann im Einzelnen vor Ort aussah, ist nicht bekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass sie zunächst das einzige war, das ihn in Bad Kreuznach und Umgebung wieder bekannt machte. Denn politische Parteien gab es noch nicht  und auch der Bürgerrat nahm erst Ende 1945 seine Arbeit auf. So gelang es Salzmann, offenbar durch die Gewerkschaftstätigkeit Kontakte zu knüpfen und kleine Reisen zu unternehmen. 

 

Hungerwinter 1945/46

 

Hugo Salzmann hatte durch seine Flucht und sein Exil alles verloren, was er sich 1933 in der Wohnung in der Beinde 21 zusammen mit seiner Frau Julianna angeschafft hatte. Er war nur mit dem, was er am Körper tragen konnte, und dem kleinen Köfferchen mit seinen Habseligkeiten aus dem Lager Le Vernet in Bad Kreuznach zurückgekehrt. In der Wilhelm Frick-Siedlung hatte er dann zur sehr bescheiden zur Untermiete gewohnt. Nunmehr – im November 1945 – bezog er erstmals eine eigene Wohnung in der Hochstraße 29. Dafür brauchte er Mobiliar. Eine Schlafzimmereinrichtung bekam er von der französischen Besatzungsmacht zur Verfügung gestellt.

Bescheinigung der französischen Streitkräfte vom 10. November 1945 
über eine Schlafzimmereinrichtung für Hugo Salzmann (Quelle: privat)


Dann ging das Jahr 1945 zu Ende und es kam das erste Weihnachtsfest in der Freiheit. Zum Fest erhielt Hugo Salzmann von der Fürsorgestelle für die politischen Opfer der Naziherrschaft Glückwünsche und vom Koblenzer Oberbürgermeister Kurth neben Glückwünschen auch einen Betrag von 100 Mark.

Glückwunschkarte von der Koblenzer Fürsorgestelle für die politischen Opfer der Naziherrschaft zum ersten Weihnachtsfest in Freiheit (Quelle: privat)

 

Wenig später stellte die Fürsorgestelle Koblenz Hugo Salzmann einen Personalausweis aus, der seine schwere Verfolgung in der NS-Zeit bescheinigte, und der dem Inhaber Schutz und Hilfe verschaffen sollte.

Bescheinigung für Hugo Salzmann:

„Obengenannter gehört zu dem Personenkreis, der in den vergangenen Jahren durch das Naziregime schwer verfolgt wurde. Bitte gewähren Sie dem Inhaber dieses Ausweises Schutz und Hilfe in jeder nur möglichen Form.“

 

Personalausweis der Fürsorgestelle Koblenz vom 25. Februar 1946, Vorder- und Rückseite  (Quelle: privat)

 

Im Winter 1945/46 zeigte sich das Nachkriegselend in seinem ganzen Umfang. Durch die Kriegszerstörungen und die zurückkehrenden Menschen fehlten überall Wohnungen. Hinzu kamen die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Osten, die auch noch untergebracht werden mussten (wobei sich allerdings die französische Zone dem Flüchtlingsstrom lange verweigerte). Die dramatische Wohnungssituation wurde noch verschärft durch die Besatzungsmacht, die für ihr Personal Wohnraum beschlagnahmt hatte. Auch mangelte es an Strom, Gas, Wasser und vor allem an Lebensmitteln. Besonders schlecht war die Versorgung mit Getreide und Kartoffeln - der Weltgetreidemarkt war zusammengebrochen  und die Produktion in Deutschland stark zurückgegangen. So konnte man auch nach dem Krieg auf die von den Nazis eingeführten Lebensmittelkarten, die auch „Hungerkarten“ genannt wurden, nicht verzichten.

Die französische Zone machte ihrem Beinamen „Hungerzone“ alle „Ehre“. Im Winter kam zum Hunger dann noch die Kälte. Es fehlte an Brennmaterial, vor allem an Kohle, die von den Franzosen beschlagnahmt wurde. Da die Holzzuteilungen nicht reichten, verfeuerten die Leute gar ihre Möbel. Zur Wohnungs- und Hungersnot und dem Mangel an Brennmaterial kam der Kleidermangel. Riesengroß war der Bedarf an Wintermänteln, Arbeitskleidung und Säuglingswäsche. Schuhe gab es kaum und wenn, dann nur mit Holzsohlen. 

Carsten Pörksen, MdL, erzählt von Hugo Salzmanns Engagements für Hilfsbedürftige:

 

Viele Deutsche erinnerten sich dabei an den sarkastischen Spruch, der in der Endphase des Krieges zum geflügelten Wort geworden war: „Genießt den Krieg, der Friede wird furchtbar sein.“ Und tatsächlich waren die Deutschen während des Krieges, trotz Rationierung und Lebensmittelkarten, noch relativ gut versorgt. Außer KZ-Häftlingen, Gefangenen in Zuchthäusern und Gefängnissen und Zwangsarbeitern musste im Inland kaum jemand hungern. Den Zusammenbruch des NS-Systems erlebten die Deutschen dann als einen Absturz ins Nichts. Nun hieß es nicht weniger sarkastisch: „Niemand muss hungern, ohne zu frieren.“ 

Das einzige, was florierte, war der Schwarzmarkt – aber nur bei denen, die selbst etwas zu bieten hatten. 

Offizielle Preise und Schwarzmarktpreise 1946/47:

Zusatz:
Wo die offiziellen Preise fehlen, bestand nur ein minimales oder überhaupt kein Warenangebot. Zur Veranschaulichung des Preisniveaus sei der monatliche Lohn eines Arbeiters angeführt: er bewegte sich in der Zeit von 1945 bis 1948 zwischen 150 und 200 Reichsmark.

Diese ungeheure Notsituation und ihre Linderung – mehr war ohnehin nicht möglich – war überall das entscheidende Thema. Sicherlich auch in Bad Kreuznach. Allerdings spiegelt es sich nicht in den erhalten gebliebenen Tagesordnungen des Bürgerrats wider. Sieht man sich die Tagesordnungspunkte des Gremiums an, so hat man nicht unbedingt den Ein- druck, dass die Prioritäten richtig gesetzt waren. So war in der Sitzung vom 22. Februar 1946 – mitten im strengen Winter - das wichtigste Thema die Wiederherstellung der „Neuen Brücke“.  Dieser Eindruck mag unzutreffend sein, auf jeden Fall wird man dies Hugo Salzmann als einem von zehn Mitgliedern nicht anlasten können, zumal sein hohes soziales Engagement ja außer Frage steht.

 

Aktiv für die kommunistische Partei

 

Mit der Zeit ließ die französische Militärregierung auch weitergehende demokratische Strukturen zu. Auf der Potsdamer Konferenz im August 1945, an der Frankreich nicht teilnehmen durfte, im August 1945 hatten die Alliierten die Zulassung bzw. Wiederzulassung von politischen Parteien beschlossen. Frankreich setzte als letzte Besatzungsmacht diese Übereinkunft mit der Verordnung Nr. 23 vom 13. Dezember 1945 um. Die Ausführungsbestimmungen ließen dann noch einen Monat auf sich warten. Danach war eine förmliche Zulassung durch den Militärgouverneur erforderlich. Daraufhin wurden die Parteien in den ersten Monaten des Jahres 1946 in den Gebieten des heutigen Rheinland-Pfalz gegründet und von den Franzosen auch zugelassen.

Die Gründung der Kommunistischen Partei (das „D“ in „KPD“ war damals, da es noch keinen gesamtdeutschen Staat gab, verpönt) war verhältnismäßig einfach. Der Parteiapparat aus der Zeit vor 1933 war zwar von den Nationalsozialisten im Zuge der Verfolgung der Kommunisten nach dem Reichstagsbrand zerschlagen worden, er  ließ sich aber nunmehr ganz gut wieder aufbauen. Auch genoss die KP durchaus das Wohlwollen der Franzosen und deren Volksfront-Regierung. 

In ihren programmatischen Aussagen hob sich die KP in der frühen Nachkriegszeit auch von der KPD der Weimarer Republik ab. In der sowjetisch besetzten Zone, in der die Parteien bereits früher agieren konnten, war die kommunistische Partei schon im Juni 1945 zugelassen worden. Das Zentralkomitee der KPD erließ am 11. Juni 1945 einen Aufruf an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands.

Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945:

„Schaffendes Volk in Stadt und Land! Männer und Frauen! Deutsche Jugend!

Wohin wir blicken, Ruinen, Schutt und Asche. Unsere Städte sind zerstört, weite ehemals fruchtbare Gebiete verwüstet und verlassen. Die Wirtschaft ist desorganisiert und völlig gelähmt. Millionen und Abermillionen Menschenopfer hat der Krieg verschlungen, den das Hitlerregime verschuldete. Millionen wurden in tiefste Not und größtes Elend gestoßen.(…)

Nicht nur der Schutt der zerstörten Städte, auch der reaktionäre Schutt aus der Vergangenheit muss gründlich hinweggeräumt werden. (…)

Mit der Vernichtung des Hitlerismus gilt es gleichzeitig, die Sache der Demokratisierung Deutschlands, die Sache der bürgerlich-demokratischen Umbildung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu führen, die feudalen Überreste völlig zu beseitigen und den reaktionären altpreußischen Militarismus mit allen seinen ökonomischen und politischen Ablegern zu vernichten. 

Wir sind der Auffassung, dass der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.

Wir sind vielmehr der Auffassung, dass die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.

An der gegenwärtigen historischen Wende rufen wir Kommunisten alle Werktätigen, alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte des Volkes zu diesem großen Kampf für die demokratische Erneuerung Deutschlands, für die Wiedergeburt unseres Landes auf.“
(zitiert nach: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Geschichte der DDR, a.a.O., Seite 6)

 

Wir wissen nicht, ob und inwieweit dieser Aufruf auch die politische Grundhaltung Hugo Salzmanns wiedergab. Sicherlich traf sie mit der Beschreibung der Zerstörung und Verwüstung des Landes seine Empfindung, als er aus dem Zuchthaus entlassen nach Bad Kreuznach zurückkehrte. Kritischer werden Kommunisten wie Hugo Salzmann demgegenüber den Aufruf zur „bürgerlich-demokratischen Umbildung“ Deutschlands, zur Vollendung der bürgerlichen Revolution von „1848“, zu einer „parlamentarisch-demokratischen Republik“ und zur Verwerfung des Wegs, „Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen“, als falsch angesehen haben müssen. Denn immerhin hatte Hugo Salzmann – wie viele andere seiner Genossen – bis zum Ende der Weimarer Republik für „Sowjet-Deutschland“ gekämpft und waren für diesen Kampf verfolgt worden, geflohen und emigriert. 

Da fiel sicherlich die Umstellung auf den nunmehr angekündigten „Kampf für die demokratische Erneuerung“ nicht leicht. Zwar hatte Hugo Salzmann wie andere Kommunisten im Exil die Volksfront-Aktivitäten in Frankreich und auch die Bestrebungen unter den emigrierten Sozialdemokraten und Kommunisten mitbekommen. Aber sie waren nicht sehr erfolgversprechend und überdies hat Hugo Salzmann in Paris in den kommunistischen Kreisen verkehrt und war dann seit seiner Verhaftung in der Nacht zum 1. September 1939 über  Annäherungen von Kommunisten und Sozialdemokraten und einer Wandlung der Kommunisten nicht informiert.

Gleichwohl wird Hugo Salzmann diese Konzeption zumindest nach einem eigenen Umorientierungsprozess sicherlich bald übernommen haben. Denn die Kommunistische Partei in Berlin hatte damals, als die KP im Westen noch nicht zugelassen und nur schwach organisiert war, eine erhebliche Stimmführerschaft.

Genehmigung einer KP-Versammlung im März 1946 durch die französische Militärregierung (Quelle: privat)

KP-Mitgliedsausweis von Hugo Salzmann, 1949 (Quelle: privat)

Dort, in der KP-Zentrale in Berlin(Ost) gab die in Moskau ausgebildete, nach Berlin geschickte und von der sowjetischen Besatzungsmacht stark unterstützte „Gruppe Ulbricht“ den Ton an. Sie sollte es später auch tun - wenn sich dann auch die ideologische Richtung ändern sollte.

Inzwischen wurde auch Hugo Salzmann wieder für die Kommunistische Partei richtig aktiv. Nachdem die Partei am 16. Januar 1946 für die Provinz Rheinland/Hessen-Nassau zugelassen worden war, verstärkte sie auch vor Ort ihre Aktivitäten – die sicherlich schon früher in der Illegalität und unter Ausnutzung der gewerkschaftlichen Basis vor- sichtig begonnen hatten. Nun fanden offizielle Parteiversammlungen der Kommunistischen Partei in Bad Kreuznach statt.

 

Beim Aufbau in Rheinland-Pfalz dabei

 

Wenig später ermöglichte die französische Besatzung im Bereich der Gewerkschaften auch umfangreichere Strukturen. Mit der Verfügung Nr. 54 vom 12. April 1946 ließ sie nicht nur „örtliche Vereinigungen“ zu, sondern auch „provinziale Verbände“ und „provinziale Vereinigungen von Verbänden“. Wie in den anderen Westzonen ergriffen die Gewerkschaften auch hier die Initiative und gehörten bald zu den mächtigsten gesellschaftlichen Organisationen. Sie hatten einen entscheidenden Anteil am Wiederaufbau in der frühen Nachkriegszeit.

Für diesen (Wieder-)Aufbau brauchte man auch Personal. Hugo Salzmann war hierbei ein „Mann der ersten Stunde“. Noch im selben Jahr wurde er Gewerkschaftssekretär (Rechtsschutz- sekretär), angestellt beim Kreisausschuss Bad Kreuznach. Zur Vorbereitung auf seine neue hauptberufliche Aufgabe in der Gewerkschaft besuchte er Schulungskurse im Arbeits- und Sozialrecht bei der Landesrechtsstelle in Mainz.

Mitgliedsausweis von Hugo Salzmann bei der Einheitsgewerkschaft Wirtschaftsbezirk Kreuznach (Quelle: privat)

Um für seinen Beruf als Rechtsschutzsekretär und für seine politische und gewerkschaftliche Arbeit mobil zu sein, erwarb Hugo Salzmann bald die Fahrerlaubnis. Hierzu wurde ihm ein Führerschein vom Landratsamt (Kreisverwaltung) Bad Kreuznach ausgestellt, der auch noch im Jahr 1947 zweisprachig (deutsch und französisch) gehalten war.

Führerschein für Hugo Salzmann aus dem Jahr 1947, zweisprachig (Quelle: privat)

 

Für alle überraschend, verfügte die französische Besatzungsmacht Ende August 1946, dass der linksrheinische Nordteil ihrer Zone, der bisher aus den Provinzen Rheinland-Hessen-Nassau im Norden und Hessen-Pfalz bestand, zusammengelegt werden und daraus ein „rhein-pfälzisches Land“ mit Mainz als Hauptstadt entstehen sollte. Die Entscheidung, die durch die Verordnung Nr. 57 des Generals Koenig unter dem 30. August 1946 getroffen wurde, war die Gründung des heutigen Landes Rheinland-Pfalz.         

Diese „platzte“ in die Vorbereitungen zu den ersten freien Wahlen nach dem Krieg hinein. Mit der Zulassung der Parteien (und auch der Gewerkschaften wie auch der Presse) hatten die Franzosen wichtige Voraussetzungen dafür geschaffen. Entsprechend dem Prinzip, die Demokratie von unten nach oben aufzubauen, begann man mit den Wahlen zu den Stadt- und Gemeinderäten sowie zu den Kreistagen. Diese Gremien waren schon sehr bald von den Nationalsozialisten gleichgeschaltet worden. Ihre Mitglieder wurden in der NS-Zeit nicht mehr gewählt, sondern von staatlichen Stellen im Benehmen mit dem ebenfalls von diesen Stellen berufenen Bürgermeistern u.a. bestimmt worden. Sie hatten ohnehin – entsprechend dem auch hier geltenden „Führerprinzip“ – nur beratende Funktion. 

Als erstes fanden Gemeindewahlen statt. Ihr Termin wurde von den Franzosen auf den 15. September 1946 festgelegt. Hugo Salzmann kandidierte an erster Stelle der KPD-Liste für den Bad Kreuznacher Stadtrat. Das Ende August 1946 zu den Wahlen veröffentlichte Programm der KPD forderte die Einheit der Arbeiterparteien, die Beseitigung des Großgrundbesitzes, die Ausrottung des Nazismus und des Militarismus, volle Gleichberechtigung der Frauen, ein Recht der jungen Generation auf Arbeit, Erholung und Bildung sowie die baldige Rückkehr der Kriegsgefangenen.

Die  ersten freien und geheimen Wahlen nach dem Krieg ergaben in Bad Kreuznach folgendes Ergebnis:

Hugo Salzmann war damit wieder – nach 1933 - in den Stadtrat von Bad Kreuznach gewählt.

Die politischen Gewichte hatten sich jetzt aber schon recht deutlich verschoben. Das macht ein Vergleich dieser Wahlen mit den letzten freien Stadtratswahlen am 17. November 1929 deutlich.

1929 hatte die KPD als eine von sechs Parteien/Listen von 31 Mandaten sechs errungen. Nun war die KPD eine von drei Parteien (bei einem parteilosen Stadtratsmitglied) und hatte von 28 Mandaten drei erhalten. Damit hatte sich die Zahl der Mandate der KPD fast halbiert. Überdies gab es außer ihr nur noch zwei Parteien, wobei die CDU mit 16 Mandaten klar die absolute Mehrheit innehatte. Schon die Ausgangsposition für die KPD war danach schlechter als vor der NS-Herrschaft. Die KPD hat von ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus und ihrem hohen Blutzoll nicht „profitiert“. 

Und dabei waren das die ersten Wahlen überhaupt nach dem Krieg. Weitere Umstände, die später die Wahlentscheidungen maßgeblich beeinflussen sollten, existierten noch nicht und waren auch noch abzusehen: das Land Rheinland-Pfalz existierte gerade einmal 14 Tage auf dem Papier und vom Marshall-Plan, der Währungsreform, dem Wirtschaftswunder und dem „Kalten Krieg“ zwischen Ost und West war noch gar keine Rede.

Einen Monat später, am 13. Oktober 1946, folgten die Wahlen zu den Kreistagen. Auch hier kandidierte Hugo Salzmann für die KPD und wurde auch in den Kreistag von Bad Kreuznach gewählt. 

Beide Wahlen waren – nicht nur in Bad Kreuznach – wegen der hohen Wahlbeteiligung ein großer Erfolg – noch nicht für die Demokratie, aber immerhin für den Weg dorthin. Denn die Alliierten und die politischen Parteien hatten durchaus Sorge wegen des Wahlverhaltens der Bürger gehabt. Diese beruhte weniger darauf, dass sie nach wie vor „stramm rechts“ wählen könnten. Denn durch die Zulassung der Parteien hatten sie dafür gesorgt, dass sich schon gar keine „rechten“ Parteien zur Wahl stellten. Vielmehr galt die Sorge dem Desinteresse der Bürger, dass sie sich nach der „Katastrophe“ des Nationalsozialismus nicht (mehr) für Politik interessierten und nicht zu den Wahlen gehen würden. Aber auch diese Sorge war unberechtigt. Wenn auch eine gewisse Verdrossenheit durchaus vorhanden war, so schlug sie sich nicht in der Wahlbeteiligung nieder. Offenbar erwies sich der Opportunismus der vielen Mitläufer im „Dritten Reich“ hier als förderlich. Auch diesmal beugte man sich – nunmehr den neuen Herren – und ging wählen. 

Vor den neuen Stadträten lag viel Arbeit. Sie mussten sich selbst erst einmal eine Geschäftsordnung geben und dann zusammen mit der Verwaltung und dem Bürgermeister die weiterhin schwierige Lage der Bevölkerung und der Stadt in den Griff zu bekommen versuchen. Dabei drängte die Zeit, stand doch der nächste Winter, der Winter 1946/47, bevor. Dieser war noch härter als der Winter zuvor. Drei Monate Frost mit Temperaturen unter minus 20 Grad machten im zweiten Nachkriegswinter die Versorgung der Bevölkerung noch schwieriger und dürftiger. Wieder wurde der Hunger zum Hauptproblem.

Inzwischen entstand das neue Land Rheinland-Pfalz, das man – da die einzelnen Landesteile „Rheinpreußen“, Rheinhessen, Rheinpfalz und die nassauischen Kreise praktisch keine gemeinsame Tradition hatten – das „Land aus der Retorte“ nannte. Eine aus Experten aus allen Landesteilen bestehende „Gemischte Kommission“ hatte einen Verfassungsentwurf erarbeitet, den eine aus Politikern zusammengesetzte  „Beratende Landesversammlung“ weiter beriet. Die französische Besatzungsmacht hatte eine provisorische Regierung eingesetzt und schließlich wurde am 18. Mai 1947 durch Volksentscheid diese Verfassung angenommen und der erste rheinland-pfälzische Landtag gewählt. Wahlsieger war eindeutig die CDU, die auch den Ministerpräsidenten stellte, erst Dr. Wilhelm Boden, dann Peter Altmeier. Der dann langjährige Ministerpräsident Altmeier bildete zunächst ein Allparteienkabinett, an dem auch die KPD beteiligt war. Die KPD hatte bei der ersten Landtagswahl 8,7 Prozent der Stimmen und acht Mandate errungen.

 


Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang, dass die Kommunalwahlen 1 ½ Jahre später, am 14. November 1948, kein günstigeres Ergebnis für die KPD und auch für Hugo Salzmann erbrachten. Zwar wurde er wieder in den Stadtrat von Bad Kreuznach gewählt. Aber erneut erzielte die KPD nur 3 Sitze – diesmal von insgesamt 31 Sitzen, also weniger als 10 Prozent. Den Stadtrat dominierten die Parteien, die dann jahrzehntelang die Politik im Kleinen und im Großen bestimmen sollten: CDU, SPD und FDP. 

Karte des neuen Landes Rheinland-Pfalz  mit den früheren Regierungsbezirken:  Koblenz, Montabaur, Trier und Rheinhessen-Pfalz
Karte des neuen Landes Rheinland-Pfalz mit den früheren Regierungsbezirken: 
Koblenz, Montabaur, Trier und Rheinhessen-Pfalz 

Zu dieser Zeit gab es in Rheinland-Pfalz 249 Gewerkschaften. Diese schlossen sich zu 17 gewerkschaftlichen Landesverbänden zusammen, die dann am 2. Mai 1947 in Mainz den Gründungskongress des rheinland-pfälzischen Landesgewerkschaftsbundes durchführten. Vorsitzender des „Allgemeinen Gewerkschaftsbundes (AGB) Rheinland-Pfalz“ wurde der Sozialdemokrat Adolf Ludwig. 

Hugo Salzmann war demgegenüber auf lokaler und regionaler Ebene gewerkschaftlich und politisch aktiv. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär, der die Gewerkschaftsmitglieder in Rechtsangelegenheiten beriet und auch vor Gericht vertrat, hatte er im Übrigen gut zu tun. Im Stadtrat von Bad Kreuznach war er nicht nur Fraktionsvorsitzender der KPD-Fraktion, sondern auch noch Mitglied in der Bau- und Grundstückskommission, der Geschäftsordnungskommission, der Volksküchenkommission und der Jugendkommission.

Besonders arbeitsintensiv war dabei die Tätigkeit in der Bau- und Grundstückskommission. Dabei ging es um die Lage auf dem Wohnungsmarkt und die Wohnungs- beschaffung, um der Stadt Bad Kreuznach gehörendes Pachtland, um Grundstückstausche und anderes mehr. 

Außerdem war er Vorsitzender der KPD-Fraktion im Kreistag, Vorsitzender des KPD-Kreisverbands von Bad Kreuznach sowie 2. Vorsitzender des Ortsausschusses des AGB in Bad Kreuznach. Schließlich hatte er die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) in Bad Kreuznach mit aufgebaut und war deren Vorsitzender. 

Damit war er neben seiner hauptberuflichen gewerkschaftlichen Tätigkeit in praktisch allen politischen und gesellschaftlichen Organisationen vor Ort in ver- antwortlicher, leitender Position aktiv und brachte dort sein Engagement, seine Arbeitskraft und sein Wissen ein.

 

Hugo Salzmann als Gewerkschaftssekretär in seinem Büro,
um 1948 (Quelle: privat)

Das gestaltete sich aber schwierig. Deutschland war ja in Besatzungszonen aufgeteilt und man konnte nicht ohne weiteres die eigene Besatzungszone verlassen und in eine andere einreisen. Dafür benötigte man eine Genehmigung und diese wurde nur bei Vorliegen eines besonderen Grundes erteilt. Hier kam noch hinzu, dass der Aufenthaltsort des Sohnes in Österreich lag und Österreich seinerseits unter Besatzungsrecht stand. Erst allmählich wurden die Reisebeschränkungen gelockert. Reisen waren dann mit einem Reisepass möglich. Einen solchen beantragte Hugo Salzmann dann auch im Frühjahr 1946 bei der französischen Militärregierung. Seine Hoffnung, in Kürze einen Ausweis zu erhalten, erfüllte sich aber nicht. Es dauerte seine Zeit.

Hugo Salzmann hatte sich nach Verfolgung, Emigration, Internierung, Gefängnis, wieder Verfolgung, Zuchthaus, Befreiung, unendlich schmerzhaftem Abschied von seinen Liebsten und sehr schwerem Wiederanfang in seine Arbeit gestürzt. Er hat dort weiter gemacht, wo er aufgrund der Verfolgung und der Tyrannei der Nazis hatte aufhören müssen. Er war nach dem Krieg wieder Kommunalpolitiker für die KPD und Gewerkschafter. Dabei hatte er sich aufgrund seiner Erfahrungen und seines Engagements vom Arbeiter zum „Weißen-Kragen“-Gewerkschaftssekretär hochgearbeitet. In diesen neuen Aufgabenbereich musste er sich erst noch einarbeiten. Alle diese Funktionen nahm er in der schwierigen Aufbauphase wahr und engagierte sich außerdem für die Opfer des Nationalsozialismus. 

 

Eine neue Familie Salzmann

 

Außerdem half er anderen – und dabei hätte er es sicherlich nötig gehabt, dass auch ihm geholfen wurde. Es ist kaum denkbar, dass er seine langjährige und intensive Leidens- und Lebensgeschichte ohne psychische Blessuren, ohne Traumata überstanden hatte. Erleichtert hatten ihm das Überleben bestimmt die Solidarität seiner Genossen und Kameraden und seine Überzeugungsgewissheit, das verbrecherische System der Nazis mit besiegen zu können und danach eine sozialistische und pazifistische Staats- und Gesellschaftsordnung mit aufbauen zu können. Heutzutage wissen wir aber, dass solche Extremsituationen generell Traumata hervorrufen. Seit der Zeit des Vietnam-Krieges und erst recht seit dem Irak- und Afghanistan-Krieg haben diese psychischen Deformationen einen Namen: „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS). 

Aber damals hat man die Problematik noch nicht erkannt oder erkennen wollen. Jedenfalls hat keiner Hugo Salzmann und seine Leidensgenossen psychologisch betreut. Nach dem Entsetzen über das Schicksal seiner Frau und seiner Familie im Übrigen hat er wie andere auch das „weggesteckt“, hat nach vorn geschaut und nicht mehr getrauert. Er hat das mutmaßliche Trauma schnell abgelegt, hat Verantwortung übernommen und sich in die Arbeit und in neue Herausforderungen gestürzt. Das war die einzige, aber in dieser Situation wohl hilfreiche „Medizin“. Sie half, möglichst schnell wieder am „normalen Leben“ teilzunehmen.

Zur Normalität gehörte Hugo Salzmanns Sohn, Klein-Hugo wie ihn die Eltern liebevoll genannt hatten. Hugo lebte weiterhin bei seiner Tante Ernestine in Stainz, wo er im April 1941 mit dem Roten Kreuz hingekommen war. Seit Hugo Salzmanns Verhaftung am 1. September 1939 hatte er seinen Sohn nicht mehr gesehen. Nun war es an der Zeit, dass er ihn in der Steiermark besuchte und ihn dann nach Bad Kreuznach mitnahm. Das war an sich das Normalste. Auch gemeinsame Freunde von Hugo und Julianna Salzmann fragten bei ihm immer wieder an, ob er denn nicht seinen Sohn zu sich nach Bad Kreuznach nehmen wolle. 

Ein weiteres Problem waren Hugo Salzmann und seine Situation selbst. Allerdings wohnte er nicht mehr zur Untermiete in der Wilhelm-Frick-Siedlung Nr. 32, sondern war in eine schöne Drei-Zimmer-Wohnung mit Küche in der Hochstraße 29 umgezogen, Wie er seiner Schwägerin Ernestine Ende Mai 1946 schrieb, hatte er aber sehr viel Arbeit. Morgens ging er aus dem Haus und erst abends kehrte er dorthin zurück. Unentwegt kümmerte er sich um Leute, die ihn um Hilfe angingen und ihn sogar noch in seinen eigenen vier Wänden aufsuchten. Dies schilderte er seiner Schwägerin anschaulich mit den Worten: „Ja, liebe Ernestine, es ist nicht immer gut, eine bekannte Persönlichkeit zu sein. Ich säße lieber im Walde, in der Natur, in einer einfachen Höhle, als in einer schönen Wohnung, wo man vor lauter Menschen kaum Ruhe findet.“

Danach war für Sohn Hugo in der Tat die Familiensituation in Bad Kreuznach sehr schwierig. Als 13-Jähriger wäre er – wieder einmal – aus einer ihm inzwischen vertraut gewordenen Umgebung herausgerissen worden. Die Umschulung wäre nicht leicht gefallen und „zu Hause“ wäre er bei dem Arbeitstag seines Vaters weitgehend auf sich gestellt gewesen. Denn Hugo Salzmann lebte allein und hatte niemanden – auch nicht in der Familie -, der sich um den Jungen hätte kümmern können. Sohn Hugo hätte nicht nur seine Mutter Julianna verloren, sondern auch seine Tante Ernestine – und hätte seinen Vater kaum für sich gewinnen können. Gleichwohl hing Hugo Salzmann ersichtlich sehr an seinem Sohn. Im selben Brief Ende Mai 1946 stellte er ihm gegenüber in Aussicht, sofort nach Stainz zu kommen, wenn er den Reisepass erhalten habe. Er bat ihn noch um etwas Geduld. Aber er hatte für ihn in Bad Kreuznach schon eine berufliche Perspektive aufgetan. In dem Brief hieß es dazu: „Du kannst hier Zahntechniker werden. Das hab’ ich schon geregelt. Also noch etwas Geduld.“

Im Sommer 1946 hatte Hugo Salzmann immer noch nicht den Reisepass erhalten. Er schickte seinem Sohn aber ein weiteres Foto von ihm mit der Widmung:

Widmung von Hugo Salzmann für seinen Sohn (August 1946):

„13. August 1946 - Meinem einzigen Sohn, der in unserem schweren Leben treu zu Mutter und Vater gehalten hat, in innigster und ….(?) Liebe gewidmet von Deinem Dich über alles liebenden Vater und Lebenskameraden Hugo Salzmann.“

 

Foto: Hugo Salzmann, Sommer 1946
(Quelle: privat)

Im November 1946 war es dann soweit. Unter dem 2. November 1946 – das war zugleich der 14. Geburtstag des Sohnes Hugo – stellte der Landrat von Bad Kreuznach den Reisepass aus. Und unter dem 22. November 1946 bescheinigte die für Stainz zuständige Bezirkshauptmannschaft Hugo Salzmann, dass er der einzige Ernährer seines Sohnes sei und dass deshalb gebeten werde, ihm die Reise nach Österreich zu bewilligen, „nachdem Herr Salzmann das Kind hier abholen will. Sein dortiges Ansuchen wird seitens der ha.Behörden befürwortet.“

Doch dazu kam es nicht und der schließlich ausgestellte Reisepass wurde nicht benutzt.

Reisepass des „Deutschen Reiches“ vom 2. November 1946 für Hugo Salzmann, Außen- und Innenseite (Quelle: privat)

 

Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Sie lassen sich aber erahnen. Sicherlich waren der November bzw. Dezember in dem bitterkalten Hungerwinter 1946/47  keine günstige Zeit für eine Reise in die Steiermark. Auch wäre der Sohn Hugo zu dieser Zeit aus dem Schuljahr in Österreich herausgerissen worden und hätte in Bad Kreuznach zum Schuljahresende hin Fuß fassen müssen.  Es kam hinzu, dass Hugo Salzmann Maria Schneider kennen gelernt hatte. Sie war bei der französischen Militärverwaltung in Bad Kreuznach als Dolmetscherin und Übersetzerin beschäftigt. Maria war 24 Jahre alt, fast 20 Jahre jünger als Hugo Salzmann. Wie er stammte sie aus einer Kreuznacher Glasbläserfamilie. Sie war aber erst nach dem Krieg nach Bad Kreuznach zurückgekehrt. Zuvor hatte sie viele Jahre in der französischen Schweiz in dem Ort Morges gelebt.

Maria brachte sicherlich für Hugo Salzmann die Normalität in sein Leben, die er so lange hatte entbehren müssen.

Maria Schneider, verh. Salzmann, 
Foto um 1945 (Quelle: privat)
Hugo und Maria Salzmann, um 1947
(Quelle: privat)

 

Im September 1947 heirateten Hugo und Maria Salzmann. Am 2. Januar 1948 kam ihre Tochter zur Welt. Sie erhielt den Namen von Hugo Salzmanns im KZ ermordeter Frau. Die Schreibweise des Namens der toten Julianna ging immer ein wenig hin und her: Julianna, Juliana, Juliane, Julie, Julerl. Bisweilen unterschrieb sie die Briefe mit diesem oder mit jenem Namen. Offiziell war aber immer Julianna. Es ist ja eine Eigentümlichkeit der Salzmanns, dass sie ihren Kindern immer Vornamen der Eltern oder Großeltern gaben. So hieß Hugo Salzmann mit zweiten Namen Peter – nach seinem Vater Peter  und dieser mit seinem zweiten Namen Hugo nach dessen Vater Hugo – und Hugo Salzmanns Sohn („Klein-Hugo“) hieß ebenfalls Hugo. Es wäre aber viel zu kurz gegriffen, die Namensgebung für die Tochter mit der Vererbung der Vornamen zu erklären. Dahinter steckte viel mehr: die bewusste und gewollte permanente Erinnerung an die im KZ ermordete Julianna. Die Tochter Julianna ist – wie sie es selbst beschreibt – „das personifizierte Gedenken an Julianna“. Die Namensgebung ging dabei nicht auf ihren Vater, sondern auf ihre Mutter zurück. Hugo Salzmann erzählte oft und sehr gerührt die kleine Geschichte dazu. Als Julianna unterwegs war, hat die Mutter zum Vater gesagt: Wenn es ein Mädchen wird, möchte ich, dass es im Andenken an Julianna ihren Namen bekommt. Und es ist ein Mädchen geworden und es hat den Namen Julianna erhalten. Das dokumentiert sicherlich eine besondere Beziehung und ist vielleicht auch ein Stück Erklärung dafür, dass das Verhältnis zwischen Hugo Salzmann und seiner Tochter Julianna sehr innig war und umgekehrt auch heute noch ist.

Frühes Foto von Hugo Salzmann und Tochter Julianna
(Quelle: privat)

So war die Zeit vergangen. Und inzwischen war es Anfang 1948 geworden. Dann war es nicht mehr lange hin, bis Sohn Hugo im Frühsommer jenes Jahres die Hauptschule in Stainz abschloss. Danach begann für ihn mit dem Berufsleben auf alle Fälle ein neuer Lebensabschnitt. Von daher bot es sich an, noch zuzuwarten und ihn erst dann nach Bad Kreuznach zu holen.

Das geschah auch. Es war Lore Wolf, die Hugo am 17. September 1948 von Stainz nach Bad Kreuznach zurückbrachte. Die Freundin von Julianna und Hugo Salzmann aus der Emigrantenzeit in Paris hatte ebenfalls den Naziterror überlebt. Bereits 1940 war sie denunziert und dann von der Gestapo verhaftet worden. Ins Deutsche Reich zurückgeführt, machte man ihr vor dem Volksgerichtshof in Berlin den Prozess und verurteilte sie wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwölf Jahren Zuchthaus. Vornehmlich in Einzelhaft war sie im Zuchthaus Ziegenhain. Kurz vor Kriegsende verschleppte man sie noch in das Konzentrationslager Bergen-Belsen und dann weiter nach Hamburg- Fuhlsbüttel. Dort wurde sie 1945 befreit. Sie kehrte nach Frankfurt am Main zurück und war stellvertretende Leiterin der Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte des Naziregimes

.   

Lore Wolf, Altersfoto (Quelle: Studienkreis deutscher Widerstand)

Lore Wolf hatte die „Aktion Hugo“ für ihren Urlaub in den bayerischen Alpen geplant. Im September 1948 wechselte sie dort die Seite und begab sich ins österreichische Tirol. Wie verabredet traf sie auf der österreichischen Seite Hugo und seine Tante Ernestine. Lore Wolf und Hugo passierten dann mit Geschick und Glück die Grenze nach Bayern. Damit war Hugo in der amerikanischen Besatzungszone und bald auch in der französischen Besatzungszone in Bad Kreuznach.

Teilnehmerausweis für Hugo Salzmann zur „Internationalen Gedächtniskundgebung für die Opfer des faschistischen Terrors“
in Berlin (Ost) am 11. und 12. September 1948. (Quelle: privat)

War es Zufall oder symptomatisch, dass Hugo Salzmann Mitte September 1948 nicht bei seinem Sohn in den Alpen war, sondern vielmehr als Mitglied der VVN bei der „Internationalen Gedächtniskundgebung für die Opfer des faschistischen Terrors“ in Berlin (Ost) am 11. und 12. September 1948. Für die Fahrt nach Berlin und zurück hatte er einen Interzonen-Reisepass beantragt, der ihm auch ausgestellt worden war. 

Interzonen-Reisepass (Deutschland) für Hugo Salzmann  für die Teilnahme an der Kundgebung, Vorder- und Rückseite 
(Quelle: privat)

Immerhin war Hugo Salzmann aus Berlin zurück, als sein Sohn in Bad Kreuznach ankam. Er nahm sich einige Tag für ihn Urlaub, zeigte ihm seine Geburtsstadt Bad Kreuznach, stellte ihn seinen Genossen vor und fuhr mit ihm an den Rhein bis zur Loreley. Die zunächst durch Julianna und dann durch Hugo erweiterte Familie zog umgehend von der Hochstraße in die „Schöne Aussicht 12“ um. 

Dass Hugo Mitte September 1948 so unbeschadet aus Berlin zurückkehrte, war an sich nicht so selbstverständlich. Es hatte sich nämlich in der Zwischenzeit in Nachkriegsdeutschland sehr viel ereignet. Zuletzt war das in vier Sektoren aufgeteilte Berlin in ganz besonderer Weise davon betroffen. Es war genau die Zeit der Berlin-Blockade durch die Sowjets und die der Luftbrücke der Amerikaner und der Briten. 

Es war der Höhepunkt in den Auseinandersetzungen der Siegermächte um Deutschland in seiner Gesamtheit bzw. um die drei Westzonen. Inzwischen hatten die Amerikaner ihre Besatzungspolitik gegenüber Deutschland geändert. Schon im Sommer 1946 hatte der US-General und stellvertretende amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay Alarm geschlagen und gemeint, durch das grassierende Elend werde die „Entwicklung des Kommunismus in Deutschland begünstigt“. So erschien den Westalliierten ein möglichst schneller Kurswechsel als Gebot der politischen Vernunft. 

Diesen kündigte der amerikanische Außenminister in seiner Rede vom 6. September 1946 offiziell an: Man wolle dem deutschen Volk „zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt“ verhelfen und dem demokratischen, föderativen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands dienen. 

Das zeigte sich schon bei den „Care-Paketen“, die kirchliche und karitative Organisationen sowie Privatleute dem notleidenden Deutschland  gefüllt mit Gebrauchs- und Nahrungsmitteln des täglichen Bedarfs sandten. Mit jedem Care-Paket, das die Deutschen erreichte, stieg deren Sympathie für die Amerikaner. 

Ein weiterer Schritt war die Bildung der Bizone, die Vereinigung der amerikanischen und der britischen Besatzungszone zu dem „Vereinigten Wirtschaftsgebiet“. Das setzte sich dann fort mit dem im Juni 1947 vom neuen amerikanischen Außenminister George C. Marshall entwickelten Plan eines großzügigen wirtschaftlichen Hilfsprogramms (European Recovery Program – ERP), dem sog. Marshallplan. Damit sollten Kredite in die Volkswirtschaften Europas fließen, damit diese ihre Warenproduktion erhöhen und verbessern konnten. Gleichzeitig wurden die Empfänger gezwungen, ihre Volkswirtschaften aufeinander abzustimmen. Mit der Steigerung der Produktion und der Hebung des Lebensstandards wollten die Amerikaner zugleich die Bevölkerungen Westeuropas für kommunistische Einflüsse immun machen und für das kapitalistische Wirtschaftssystem gewinnen. Zudem bezweckten sie damit, ihrer Wirtschaft in Europa langfristig Absatzmärkte zu sichern.

Dieses Hilfsprogramm für (West-)Europa war die wirtschaftspolitische Ergänzung der am 12. März 1947 verkündeten Truman-Doktrin. In einer Rede hatte der amerikanische Präsident Harry S. Truman „freien“ Ländern materielle Hilfe zugesichert, wenn ihre Freiheit bedroht sei. Das war der Beginn der amerikanischen „Containment-Politik“, mit der kommunistische Offensiven „eingedämmt“ und Moskau langfristig bewogen werden sollte, von seiner unnachgiebigen Status-quo-Politik abzurücken. 

Dementsprechend lehnte es die Sowjetunion ab, an dem ERP-Programm mitzuarbeiten. Der sowjetische Außen- minister Molotow warf den Amerikanern (und Briten) vor, sie wollten Deutschland mit Hilfe des Marshall-Plans wirtschaftlich versklaven und politisch spalten. 

Der Marshall-Plan setzte eine intakte Währung in den Empfänger-Ländern voraus – und damit auch in den Besatzungszonen Deutschlands, wenn man teilnehmen wollte. Eine Währungsreform war damit unumgänglich. Diese wurde zunächst noch von allen vier Besatzungs- mächten erwogen. Bald wurde aber klar, dass sie nur auf dem Territorium der drei Westmächte stattfinden konnte, in der inzwischen unter Beteiligung der französischen Besatzungszone am 8. April 1948 gebildeten Trizone.
 
Am „Tag X“, das war Sonntag, der 20. Juni 1948, war es nach längeren und sehr geheimen Vorbereitungen dann so weit: Es kam in den drei Westzonen zur Währungsreform. An diesem Tag erhielt jeder, vom Baby bis zum Greis, 40 Deutsche Mark – eine Art Begrüßungsgeld für die schöne neue Warenwelt. Bank- und Sparguthaben wurden drastisch abgewertet. Dadurch wurde der riesige Kaufkraftüberhang vernichtet. Begünstigt waren einseitig die Besitzer von Sachwerten. Das war sozial ganz und gar nicht ausgewogen und sollte später noch kompensiert werden. Wie auch immer: Das Geld war auf einmal wieder etwas wert, die D-Mark löste die Zigarette als Währung ab.

Die Reaktion der Sowjetunion folgte auf den Fuß. Nur drei Tage später gab es auch in der sowjetisch besetzten Zone eine eigene Währungsreform. Sie war improvisiert, was man auch dem Papiergeld ansah: es waren die alten Reichsmark-Scheine. Man hatte sie nur mit Coupons überklebt. Im Volksmund hieß das Geld deshalb „Tapetengeld“. Als die Sowjets diese Währungsreform auch auf ganz Berlin erstrecken wollte, widersetzten sich dem die Westmächte und führten stattdessen in den Westsektoren die D-Mark West ein. 

Daraufhin kam es zur Berlin-Blockade. Der gesamte Verkehr zu Land und zu Wasser nach Berlin wurde unterbrochen. Die alte Reichshauptstadt war zur Insel  geworden. Dem Westen gegenüber war sie vollständig blockiert durch die sowjetische Besatzungsmacht und durch die sowjetische Besatzungszone. Als einziger Zugang blieben die drei Luftkorridore von und nach Berlin. Unter dem Einfluss des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Ernst Reuter („Völker der Welt! Schaut auf diese Stadt.“) und des US-Generals Clay begann am 26. Juni 1948 die amerikanische (und englische) Luftbrücke. Diese sollte 322 Tage – bis zum 12. Mai 1949 – dauern und mit  277.728 Flügen ( so genannte Rosinenbomber) mehr als 2,1 Millionen Tonnen Fracht aus der amerikanischen und britischen Zone in den Westteil von Berlin bringen. Sie war eines der größten Transportunternehmen der Weltgeschichte. Zugleich war die Berlin-Blockade ein Markstein auf dem Weg der deutschen Teilung und des Kalten Krieges - und eine der größten Fehlentscheidungen im Kalten Krieg. 

Typischer Rosinenbomber über dem zerstörten Berlin (Quelle:Wikipedia)

Um auf Hugo Salzmann zurückzukommen: In eben dieser Situation von weltpolitischer Bedeutung war er nun mit seiner Teilnahme an der Internationalen Gedächtniskundgebung für die Opfer des faschistischen Terrors in dem von der Blockade seit Wochen betroffenen Berlin. Sie war trotz der Berlin-Blockade gut besucht und endete am 12. September 1948 mit einer Massenkundgebung im (Ost-)Berliner Lustgarten. Dabei ging der sowjetrussische Oberst Sergej Tulpanow, der Chef der Informationsverwaltung der Sowjetischen Militäradministration  (SMAD) in der SBZ, auch auf die aktuelle Situation ein und meinte dazu feststellen zu müssen:

Rede des sowjetrussischen Obersten Sergej Tulpanow auf der Internationalen Gedächtniskundgebung für die Opfer des faschistischen Terrors am 12. September 1948:

„Die Kraft der Sowjetunion hat die militärische, wirtschaftliche und politische Macht des Dritten Reiches zerschmettert. Sie wird auch jene zerschmettern, die versuchen, ein viertes Reich zu schaffen. In dem Klimpern der Marshall-Pfennige hören wir das Unheil verkündende Rattern der Panzerwagen, das Geheul der Minen und das Stöhnen der neuen Kriegsopfer. Wir wissen: Wer nicht das Opfer eines neuen Krieges will, der muss ein treuer und standhafter Kämpfer des demokratischen Weltlagers sein. An der Spitze dieses Lagers aber steht eine gewaltige sozialistische Macht: die Sowjetunion.“

 

Das waren deutliche Worte der sowjetischen Besatzungsmacht anlässlich dieser Gedächtniskundgebung für die NS-Opfer. Das war auch viel Propaganda. Später sollten in der Tat Panzerwagen rattern – sie fuhren aber nicht von Westen nach Osten, sondern vielmehr von Osten nach Westen: gegen den Volksaufstand in Berlin (Ost) und in der DDR am 17. Juni 1953, gegen den Volksaufstand 1956 in Posen / Polen, gegen den nationalen Volksaufstand im Oktober 1956 in Ungarn,  gegen den „Prager Frühling“ in der Tschechoslowakei 1968.
 
Von diesen immer wiederkehrenden militärischen Interventionen der Sowjetunion in ihrem Einflussbereich, dem später sog. Ostblock, wusste damals natürlich noch niemand, auch nicht Hugo Salzmann. Aber diese Worte auf der Internationalen Gedächtniskundgebung für die Opfer des faschistischen Terrors klingen erst recht angesichts der späteren Entwicklung zynisch und zeigen auch, wie die Opfer des Faschismus im Osten instrumentalisiert wurden. Die SBZ und später die DDR sollten das „bessere“, das antifaschistische Deutschland werden. Damit gewann man – wenn es angesichts der Biografie Hugo Salzmanns überhaupt noch nötig war – viele Antifaschisten für das östliche Deutschland. Dieses Bild wird sicherlich auch Hugo Salzmann gehabt haben, als er dann anschließend mit seinem Interzonen-Reisepass (Deutschland) durch die Berlin-Blockade wieder nach Bad Kreuznach zurückkehrte. 

Es versteht  sich, dass auch nach seiner Rückkehr der Marshall-Plan und vor allem die Währungsreform ein sehr großes innen- und wirtschaftspolitisches Thema waren. Insbesondere die Währungsreform betraf die Menschen vor Ort. Weitragende Bedeutung hatte diese auch deshalb, weil Ludwig Erhard – als der Direktor für Wirtschaft eine Art Wirtschaftsminister der Bizone – zusammen mit ihr einen Großteil der Preise freigegeben hatte. Nur besonders wichtige Produkte wie Kohle, Stahl oder Kraftstoff waren noch eine Zeit lang rationiert. Auf diese Freigabe der Preise reagierte der Markt zunächst nicht so, wie es Erhard kalkuliert hatte. Die Preise zogen erheblich an. Das war umso schmerzlicher, als die Löhne zugleich stagnierten.

Schon kurz nach der Währungsreform hatte die Kommunistische Partei für die Arbeit in den Kreis-, Stadt- und Gemeindevertretungen eine Handreichung herausgegeben. Darin hieß es, allein Aufgabe ihrer Partei sei es, den Schutz der Schaffenden in Stadt und Land zu übernehmen und ihre soziale Lage auf einem erträglichen Stand zu halten. Als Sprachrohr aller fortschrittlichen demokratischen Kräfte sei es notwendig, „neben der Herausstellung der Verantwortlichkeit der CDU, SPD und DP (Deutsche Partei, ein Koalitionspartner der CDU in der Bundesregierung) für die einseitige Währungsreform, die Aufspaltung Deutschlands“, Forderungen zum Schutz der arbeitenden Bevölkerung zu erheben. Dazu gehörte u.a. die Einführung von Notstandsarbeiten in den Städten und Gemeinden bei tariflicher Entlohnung. Weiter hieß es: 

Schreiben der KPD vom 22. Juni 1948 an die Kreis-, Stadt- und Gemeindevertretungen nach der Währungsreform:

„Weiter ersuchen wir Euch, geeignete Vorschläge etwa aufgrund Eurer besonderen sozialen Lage auf dem Gebiete der Kommunalpolitik auszuarbeiten und uns einzusenden. Genossen! Nutzen wir die Gelegenheit, entlarven wir das verräterische Spiel der reaktionären CDU-; DP- und SPD-Führung. 
Für die Erringung des  S O Z I A L I S M U S !
Für die  V E R E I N I G U N G  Deutschlands!
Für die  D E M O K R A T I E  des Volkes!


Ob und wie diese Anweisungen in Bad Kreuznach – und damit konkret von Hugo Salzmann als führendem Kopf der KPD dort – aufgegriffen und umgesetzt wurden, ist nicht bekannt. In Bad Kreuznach wie auch anderswo wuchs aber der Unmut der Bevölkerung. Das rief auch die Gewerkschaften auf den Plan. Sie machten am 12. November 1948 zum ersten – und bislang einzigen - Generalstreik nach dem Krieg in Westdeutschland „gegen die Anarchie auf den Warenmärkten und gegen das weitere Auseinanderklaffen von Löhnen und Preisen“  mobil. In der britischen Zone legten nach Angaben der Gewerkschaften sechs Millionen von 7,1 Millionen Arbeitnehmern die Arbeit nieder. In der amerikanischen Zone war die Beteiligung nicht so einheitlich, für die französische Zone liegen gar keine Erkenntnisse vor. Am folgenden Tag wurde die Arbeit aber überall ohne Störungen wieder voll aufgenommen.  

 

Treibende Kraft bei der Entnazifizierung.

 

Ein besser dokumentiertes Thema im Stadtrat von Bad Kreuznach jener Zeit war die Entnazifizierung.  

Sie war eine der vier Verabredungen der Großen Drei auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945). Hierzu bestand auch aller Anlass. Etwa 8,5 Millionen Deutsche waren Mitglieder der NSDAP gewesen. Bis zu 250.000 Männer und Frauen, so die Schätzungen, waren während des NS-Regimes am Völkermord an den europäischen Juden, dem Holocaust, der Shoa, beteiligt, und zwar als Planer, Exekutoren und Handlanger.

Hunderttausende weitere Deutsche töteten eigenhändig für das Regime, sie schossen auch Kinder nieder und wehrlose Alte, sie löschten ganze Ortschaften aus. Das war ein Heer von Tätern und es war davon auszugehen, dass viele von ihnen den Krieg überlebt hatten. Die Schuldigen waren zur Verantwortung zu ziehen. Aber auch sonst gab es vielfältigen Anlass, die Spuren der Nazis zu beseitigen. 

Die Entnazifizierung erreichte am 22. November 1948 sogar Hugo Salzmann in Gestalt eines Schreibens des Bürgermeisters von Bad Kreuznach. Darin wies dieser ihn darauf hin, dass der Kreisdelegierte der französischen Besatzungsmacht von den im September 1946(!) gewählten Stadträten den Bescheid über die Entnazifizierung verlangte. 

Das brachte Hugo Salzmann natürlich in Rage – ihn den politisch Verfolgten und Emigranten! Dies umso mehr, als er sich sofort nach der Befreiung für die Opfer des Nationalsozialismus eingesetzt und Ermittlungsverfahren gegen NS-Täter initiiert und sich als Zeuge zur Verfügung gestellt hatte. 

So hatte er schon im Jahr 1945 nach der Denunziantin seiner Frau Julianna recherchiert, der Marquise Lucie de Villevert. Er fand Spuren von ihr, konnte sie letztlich aber nicht ausfindig machen, weil sie sich nach Frankreich abgesetzt hatte.

Als Hugo Salzmann von der Verurteilung des ehemaligen Chefs der Koblenzer Staatspolizeistelle, den früheren Regierungsdirektor und SS-Standartenführer Otto Sens, durch das Bielefelder Spruchgericht zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis erfuhr, wandte er sich unter Schilderung seines Schicksals und das seiner Frau Julianna sofort an die zuständige Staatsanwaltschaft mit der Bitte, „das Urteil über Sens  rückgängig zu machen und ein neues Verfahren einzuleiten, zuvor einen Aufruf in den Zeitungen von Rheinland-Pfalz zu veröffentlichen, um weiteres Belastungsmaterial über Sens zu bekommen, der so viele Verbrechen auf seinem Gewissen hat, um ihn der gerechten Strafe zuzuführen.“

In dem anschließenden Berufungsverfahren stellte sich Hugo Salzmann als Zeuge zur Verfügung und wurde vernommen. Wie dieses Verfahren ausging und was aus Sens wurde, ist nicht bekannt. Inzwischen ist wenigstens seine Tätigkeit in der NS-Zeit in Umrissen bekannt: Schon kurz nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen wurde Sens dort Führer des Einsatzkommandos 1 der Einsatzgruppe II. Diese hatte bis November 1939 polnische Intellektuelle und Juden ermordet. Danach wurde er Mitarbeiter des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) in Krakau und von Oktober 1940 bis 1941 Leiter der Staatspolizeistelle Kattowitz. Spätestens im Mai 1941 – damals war Julianna Salzmann gerade einmal drei Monate in Gestapohaft in Koblenz – war Sens Leiter der Staatspolizeistelle Koblenz und dienstlich mit der Marquise Lucie de Villevert beschäftigt. Da Sens bis zum Schluss in Koblenz blieb, war er auch noch Gestapochef, als Julianna Salzmann ins Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt wurde und Hugo Salzmann Häftling in Koblenz war.

Auch gab Hugo Salzmann auf Anfrage der Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte in Frankfurt/Main eine Stellungnahme zu dem Wachpersonal im Zuchthaus Butzbach ab.    
 
Gerade die Schuldigen in der früheren Staatspolizeistelle Koblenz zur Verantwortung zu ziehen, geschah aus der Erinnerung an seine Frau Julianna heraus und wohl – wenn auch nicht ganz so radikal – aus der Motivation heraus, die die Lebensgefährtin von Siegfried Rädel in ihrem Brief vom 25. März 1946 an Hugo Salzmann für sich in die Worte fasste:

Brief  von Maria Weiterer („Jenny“), der Lebensgefährtin von Siegfried Rädel, vom 25. März 1946 an Hugo Salzmann:

„Was ich verloren habe, das kann man nicht in Worte fassen. Ihr aber, seine engen Mitarbeiter, die Ihr ihn geliebt habt, Ihr könnt es vielleicht ermessen. Es geht mir jedes Mal ein Freudenfunken durch das Herz, wenn ich wieder höre, dass ein Genosse noch da ist, den ich schon verloren geglaubt hatte. Aber es zuckt auch immer wieder der Schmerz auf, dass Siegfried nicht mehr ist. Ich lebe, um sein Vermächtnis zu erfüllen: alle die toten Genossen zu rächen. Wir müssen unsere Partei so stark machen, dass sie allen Anstürmen der Reaktion für alle Zeiten widerstehen kann, so stark machen, dass wir den Sozialismus verwirklichen können. Wenn wir das getan haben, dann sind unsere teuren Toten gerächt. Daran arbeiten wir ja alle.“  


Damit traf Maria Weiterer bei Hugo Salzmann genau den Nerv. Auch er litt schwer unser dem Verlust seiner Frau Julianna und sah eine große Verantwortung, ihr Vermächtnis zu erfüllen. In dem Antwortbrief an Maria Weiterer vom 16. April 1946 schrieb er ihr dazu u.a.:

Brief Hugo Salzmanns vom 16. April 1946 an Maria („Jenny“) Weiterer:

„Liebe Jenny!

Deinen lieben Brief vom 25. März mit sehr großer Freude, aber auch mit Trauer im Herzen erhalten. Ach Jenny, nie werde ich vergessen, diesen einfachen, aber großen Menschen Siegfried Rädel. (…) 

Jenny, nie vergesse ich die Minuten, die letzten, die ich von ihm hatte in Vernet. Wie drückte er mich, küsste mich auf beide Wangen, mit Tränen in den Augen. „Hugo, es gibt nur einen Weg, bleib stark, wir siegen doch!“ Die letzten Worte bei meiner Auslieferung an die Gestapo.

Ich weiß, Jenny, was Du verloren hast, ich habe auch meinen einfachen, aber tapferen Lebenskameraden, meine Julerl, verloren.

Sie wurde im KZ Ravensbrück verbrannt. Ja, wir waren und sind Männer, aber ich schäme mich nicht zu sagen, manchmal habe ich geweint wie ein Kind, für mich, für mich allein. Kann es in Deinem Herzen anders ausgesehen haben? Bei unserer Lore Wolf? Bei tausenden unserer Genossinnen und Genossen?

Trotz alledem und alledem, sie standen als Männer und starben als Helden, ja, das waren sie, unsere Genossen und Genossinnen.

Wir haben die große Verantwortung ihnen gegenüber, ihr Vermächtnis zu erfüllen. Ach, Jenny, abends oder besser in der Nacht, wenn ich endlich mit der Arbeit fertig bin, sage ich mir immer: „Haste auch heute alles getan, was du konntest?“ (…)

Mit Fried Hey aus Dudweiler war ich vor kurzer Zeit beisammen. Er war mit Siegfried in Berlin in der Todeszelle. Die letzten zwei Stunden vor seiner Hinrichtung. Mit ihm musst Du sprechen, Siegfried war ein tapferer Kommunist bis zur letzten Minute. Seine letzten Worte an Fried waren: „Fried, vergesst uns nicht, Ihr müsst uns alle rächen!“

Liebe teure Jenny, Dein Herz wird jetzt wieder schwer sein. Manche harte Stunde bekommen wir noch, aber wir gehen durch. Vorwärts, Jenny, Kopf hoch – schrieb uns auch immer meine Frau. Die Zukunft ist unser, mag kommen, was will!


Diese Verantwortung für seine tote Julianna und seine Kameraden sah Hugo Salzmann für sich ein Leben lang. Die erste von ihm initiierte Gedenkveranstaltung hatte wenige Tage vor diesem Briefwechsel mit Maria Weiterer – am 16. März 1946 in Bad Kreuznach - stattgefunden. In einem Brief vom 13. März 1946 an Lore Wolf schilderte Hugo Salzmann die Vorbereitungen hierzu wie folgt:

Brief Hugo Salzmanns vom 13. März 1946 an Lore Wolf:

In unserer ersten öffentlichen Kundgebung (am 16. März 1946) (…) gibt (es) einen Aufmarsch bei uns. Lore, ich brenne für Samstag. Der erste große Tag seit 12 Jahren für unsere Partei. //

Ich habe Arbeit, bald Tag und Nacht. Ich weiß selbst nicht, woher all diese Energie kommt. Dass ich das so packe. Tod müde, und doch geht’ immer noch. Lore, Samstag. Alles ist geladen: Behörde, Betriebsräte, Geistlichkeit, führende Köpfe der Intelligenz, die SPD, die CDU. Es ist ein Auftakt und (unleserlich) Rot bis 1933. Es wird – muss wieder sein. 

Unser Präsidium am Samstag: „Ehrenpräsident“ Adam Behrend, 87 Jahre alt, Mitangeklagter im Sozialistenprozess mit Bebel 1887 in Elberfeld. Vorsitzender der (unleserlich) usw. Alle jungen Kräfte, die „Zukunft“. Der Arbeitergesangverein eröffnet mit dem Freiheitslied „Tort Follison“ -  „Wenn der Mann auch fällt, das Banner steht.“ Dann Totenehrung. Dann Gedicht „Eine deutsche Mutter (Erich Weinert)., Ansprachen folgen. 

Saalausschmückung: Große Totenliste hinter Präsidium. Transparente. Bilder der Toten. Grüne Girlanden.

Ich wollte, Ihr wäret da. Die Jugend wird, die Frauen werden glänzend anwesend sein. Ich hoffe, meinen Husten bis dahin weg zu haben. Der Saal wird überfüllt sein, mehr als 1.500 Menschen gehen rein. 


Ein wichtiges Thema im Stadtrat war die Rücknahme von Ehrungen, die  durch die Verleihung der Ehrenbürgerrechte und durch Straßenbenennungen erfolgt waren. Schon bald stellte die KPD-Stadtratsfraktion unter Führung von Hugo Salzmann den  Dringlichkeitsantrag, Adolf Hitler und dem früheren NS-Reichsinnenminister Frick sowie dem NS-Landwirtschaftsminister Darré die zuvor verliehenen Ehrenbürgerrechte abzuerkennen. Das beschloss der Stadtrat einstimmig.

Ein weiteres Anliegen Hugo Salzmanns waren die Umbenennungen von Straßen und Plätzen sowie der Wilhelm Frick-Siedlung. Manches – wie etwa die Umbenennung der Wilhelm Frick-Siedlung in Märsch-Siedlung oder die  Umbenennung des Adolf Hitler-Platzes in Schloßplatz oder die der Adolf Hitler-Straße in Schloßstraße. – wurde einvernehmlich und schnell erledigt. Damit wollte sich Hugo Salzmann aber nicht zufrieden geben. Ihm ging es darum, Namensgeber des alten Preußen ebenfalls aus dem Straßenbild Bad Kreuznachs zu entfernen. Besonders hatte er es auf die Hindenburgstraße und die Bismarckstraße abgesehen – war Bismarck der Kanzler von „Blut und Eisen“ und  Hindenburg doch der „Totengräber“ der ersten deutschen Demokratie, der dann Hitler auch noch zum Reichskanzler ernannt hatte.

Das löste in Bad Kreuznach erheblichen Unmut aus und auch heftige Kontroversen im Stadtrat. Unvergessen war das Große Hauptquartier in den Jahren 1917/18 und der Glanz, den dieses und Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg – der spätere „Ersatzkaiser“ – für die Stadt und für die Bürger gebracht hatte. Außerdem trugen die Bismarckstraße und die Hindenburgstraße bereits lange vor der Machtübernahme der Nazis ihre Namen – es konnte deshalb doch nicht um eine Entnazifizierungsmaßnahme gehen. Mit zum Teil knappen Mehrheiten sprach sich der Stadtrat schließlich für diese Umbenennungen aus. Die Bismarckstraße wurde zur Mozartstraße und die Hindenburgstraße Lindenallee oder Elisabethenstraße. Auch andere Straßen wurden auf Initiative Hugo Salzmanns noch umbenannt.

Zur gleichen Zeit, im April 1948, stellte die KPD-Fraktion den Antrag, ein Mahnmal zum ehrenden Gedenken der Opfer des Faschismus auf Kosten der Stadt zu errichten. Auch hierfür setzte sich Hugo Salzmann persönlich sehr engagiert sein. Es war nicht nur das Schicksal seiner engsten Familienangehörigen, seiner jüdischen Freunde und der Kreuznacher Juden überhaupt sowie der aus politischen Gründen verfolgten Kreuznacher, das Hugo Salzmann ein solches Mahnmal fordern ließ. Es sollte auch an vor allem ausländische KZ-Häftlinge erinnern, die Ende 1944/Anfang 1945 im Bauzug Nr. 11 als „wanderndes Konzentrationslager“ nach Bad Kreuznach gekommen waren und hier zu Tode kamen. Das Schicksal dieser KZ-Häftlinge hatte Hugo Salzmann schon sehr bald bewegt und hierzu hat er für diese frühe Zeit erstaunlich viel recherchieren können. Seine Ergebnisse fasste er selbst wie folgt zusammen:

Hugo Salzmann schildert das Schicksal von 36 KZ-Häftlingen des Bauzugs Nr. 11 in Bad Kreuznach und das weitere Schicksal dieses Bauzugs:
 
„Die 36 (KZ-Häftlinge) aus Deutschland und allen europäischen Staaten (…) kamen Ende 1944 als „wanderndes Konzentrationslager“ aus dem KZ-Lager Oranienburg – Bauzug Nr. 11 - hierher. Ein Güterzug, 20 Wagen lang. 500 ausgemergelte, verhungerte und verlumpte Gestalten. Dünne leinene gestreifte Zebra-Anzüge, Holzschuhe und Holzschlappen, die Füße mit Lumpen umwickelt. 75 v. H. russische Kriegsgefangene - in zerrissenen, verbrauchten Uniformen – alle ohne Mäntel bei der furchtbaren Kälte, die damals vorherrschte. Tief lagen ihre Augen in den Augenhöhlen. Die Backenknochen standen weit heraus. Hunger stand in ihren flehenden Augen. So wankten sie klappernd mit ihren Holzschuhen diese Gefangenen der SS über den Brückes, nach jedem Nahrungsrest in den Straßenrinnen suchend. Man führte sie zu den Trümmern, welche amerikanische und englische Bomben am „Heiligen Abend“ 1944 geschaffen hatten und zu den zerstörten Gleisanlagen, um sie wieder herzurichten und die zerfetzten blutigen Hunderte von Leichen, Männer, Frauen und Kinder zu bergen. Sie, die Grauen erlebten, mussten Grauen beseitigen, und abends ging es zurück an die Rote Ley, wo der „Bauzug Nr. 11“ in Deckung stand. In 10 Waggons waren 500 arme Menschen – ohne Heizung – hungrig eingepfercht, bei furchtbarer Kälte – 50 Mann in einem Wagen.

Diese Opfer des Faschismus waren Bauern, Arbeiter, Wissenschaftler, Angestellte, Beamte, Offiziere und Soldaten. Nacht für Nacht starben sie, wurden erschossen oder zu Tode geprügelt. Ein „Kapo“ tat mit der SS diese Schandtaten und er durfte mit der SS dafür abends zur „Bocksgasse“ gehen! In den übrigen 10 Waggons hatte sich das Bewachungspersonal der SS mit seinem Offiziersstab fürstlich eingerichtet.

Auf dem jüdischen Friedhof zwischen Kreuznach und Bretzenheim verscharrte man die auf dem jetzigen Ehrenplatz gelegten Toten, einen halben Meter unter der Erde, kreuz und quer durcheinander geworfen, nur mit einer Nummer den Grabhügel bezeichnet. Dabei wurden durch die Ausgrabung der französischen Militärregierung nicht 27, sondern 37 Reste von Skeletten ausgegraben. Eingeschlagene Schädel, durchschossene Schädel, gebrochene Knochen, das waren die Kennzeichen der gewaltsamen Beseitigung dieser Opfer.

Bei all diesem Grauen, was diese „Toten auf Urlaub“ ein Aufleuchten der Dankbarkeit ihren Augen abringen konnte, war der Tag, wo einige Gruppen der KZ-Häftlinge von 16 dienstverpflichteten Eisenbahnern bewacht wurden. Sie sorgten für die armen Menschen und steckten diesen Ausgehungerten das zu, was sie selbst aus ihren Familien und bettelnd bei der Zivilbevölkerung erreichen konnten.

Monatlich wurden 60 bis 150 Mann, welche vollständig ausgemergelt waren, nach einem Lager nach Hannover zur Vernichtung zurückgeschickt und durch neue, noch kräftige KZ-Häftlinge aufgefüllt.

So ging der Zug, wandernd nach Oberlahnstein. Durch Bomben erhielt er dort acht Tote. Zugführer und Heizer des „Bauzuges“ und zwei weitere Eisenbahner befanden sich dort durch das rücksichtslose Verhalten der SS unter diesen Toten. Dann nach Gießen. Dort kam ein neuer Nachschub für ausgemergelte Menschen, Ersatz von 60 Mann aus dem KZ Dachau. In Gießen erschoss die SS einen Holländer und einen tschechischen Baumeister. Dann ging es nach Dresden, Pilsen, und zuletzt sollte der Zug nach Linz/Österreich zu den gefürchteten Steinbrüchen und Krematorien zur Vernichtung gehen. Da kam Ende April – die furchtbare Niederlage – Anfang Mai. Die begleitenden Eisenbahner verhalfen dem größten Teil der KZ-Häftlinge zur Flucht. So kam der Zug der „Totgeweihten“ durch den Vormarsch der Alliierten zur Auflösung. Viele starben auf ihrem Weg in die Freiheit, nur ein kleiner Rest der KZ-Häftlinge, meistens Kranke und Sieche, erreichte ihre Familien.

 

Ruhestätte für die Toten des KZ-Bauzugs Nr. 11 
nach der Umbettung ihrer sterblichen Überreste in Bad Kreuznach (Quelle: privat)
Erinnerung an die Toten des KZ-Bauzugs Nr. 11 anlässlich des DDR-Gedenktages 
für die Opfer des Faschismus am 9. September (Quelle: privat)


Bereits in den zurückliegenden Jahren hatte Hugo Salzmann für seine persönliche „Entnazifizierung“ einiges getan. Den umfangreichen, vierseitigen Fragebogen hatte er bereits zweimal - am 5. Dezember 1946 und dann nochmals am 4. März 1947 – ausgefüllt, andere ereiferten sich, ihn auch nur ein einziges Mal auszufüllen zu müssen 

Fragebogen zur Entnazifizierung von Hugo Salzmann, ausgefüllt am 4. März 1947, Seite 1-4 (l.n.r. - Quelle: privat)

 

Ebenso hatte er einen ähnlich umfangreichen Fragebogen für die Anerkennung als „Opfer des Faschismus“ unter dem 17. Dezember 1947 bearbeitet. Daraufhin wurde ihm unter dem 31. Mai 1948 der Ausweis als „Opfer des Faschismus“ ausgestellt. 

 Ausweis „Opfer des Faschismus“ für Hugo Salzmann (Quelle: privat) 


Unter diesen Umständen war Hugo Salzmanns Irritation über die Aufforderung des französischen Kreisdelegierten zur Bereinigung schon recht verständlich. Ihm blieb aber nichts übrig, als erneut einen politischen Fragebogen auszufüllen. Diesen sandte er an den Öffentlichen Kläger des Kreises Kreuznach – aber nicht, ohne das folgende Anschreiben vom 23. November 1948 beizufügen:

Schreiben Hugo Salzmanns vom 23. November 1948 an den Öffentlichen Kläger des Kreises Kreuznach:

„Betr.: Nichtbetroffenen-Bescheid des gewählten Stadtrates.

Unterzeichneter erhielt am 22. November 1948 ein Schreiben des Herrn Bürgermeisters Hamburger, worin hingewiesen wird, dass der Herr Kreisdelegierte die Bescheide des Öffentlichen Klägers über die Bereinigung der Stadträte verlangt.
Ich war kein Freund des Kreisleiters Schmitt, spielte keine Karten noch Schach, war kein „Jagdfreund“, viel weniger „Ratsherr“ noch „Pensionär“ des Dritten Reiches, tolerierte nicht unter Deckung in der NSDAP noch „Opferring“ das Verbrechen Hitlers, hatte dadurch mein ganzes Vermögen verloren und erhielt acht Jahre Zuchthaus und wurde 1945 von alliierten Truppen befreit. 

Möchte Sie ersuchen, aufgrund meiner Vergangenheit mir mitzuteilen, welcher Bescheid für einen solchen Fall, wie er bei dem Unterzeichneten zutrifft, notwendig ist.“


In der Folgezeit erhielt Hugo Salzmann sowohl eine Nichtbetroffenen-Bescheinigung des Öffent- lichen Klägers des Kreises Kreuznach als auch eine des Öffentlichen Klägers beim Unter- suchungsausschuss Koblenz-Stadt, die letzt- genannte datierte vom 22. Juli 1949. 

Bescheinigung des Öffentlichen Klägers beim Untersuchungsausschuss Koblenz-Stadt 
vom 22. Juli 1949 für Hugo Salzmann (Quelle: privat)

Eine späte Genugtuung war es für Hugo Salzmann, dass das Landgericht Koblenz mit Beschluss vom 29. April 1949 das gegen ihn ergangene Urteil des Volksgerichtshofs vom 4. März 1943 auf seinen Antrag (und den der Staatsanwaltschaft) hin nebst sämtlichen Nebenstrafen und Nebenfolgen aufgehoben wurde. Damit war Hugo Salzmann nicht mehr vorbestraft.

Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 29. April 1949, 
mit dem das Urteil des Volksgerichtshofs gegen Hugo Salzmann aufgehoben wurde (Quelle: privat)

 

 

Die Bundesrepublik Deutschland entsteht

 

Im Jahr 1949 zeitigte die Wirtschaftspolitik die ersten Erfolge. Produzieren und Verkaufen lohnte sich wieder. Es begann eine neue Zeitrechnung „vor der Währung“ und „nach der Währung“. Es schien, als ob ein Schalter umgelegt worden sei.  Die Bundesbürger flüchteten in den Konsum und in die Arbeit und verdrängten die Erinnerung an die braune Vergangenheit. Viele machten es sich dabei ganz einfach. Laut einer Umfrage erklärten 57% der befragten Deutschen, der Nationalsozialismus sei eine gute Idee gewesen, nur leider schlecht ausgeführt worden. Es begann dann das, was man bald das deutsche „Wirtschaftswunder“ nannte.

Die wirtschaftliche Besserung durch die Marktwirtschaft lieferte das beste Argument für die Akzeptanz der Amerikaner, für die Westbindung und das kapitalistische Wirtschaftssystem. 

Die ersten Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet erleichterten es den Deutschen auch, die parlamentarische Demokratie zu akzeptieren. Die Weichen hatten die Amerikaner mit den „Frankfurter Dokumenten“ und deren Übergabe an die westdeutschen Ministerpräsidenten am 1 Juli 1948 gestellt. Das erste und für die Zukunft Deutschlands wichtigste Dokument ermächtigte die Ministerpräsidenten, bis zum 1. September 1948 eine Versammlung zur Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung einzuberufen, „die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wiederherzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.“ 

Es folgten in der Zeit vom 10. bis 23. August 1948 auf der Insel Herrenchiemsee im Chiemsee  Expertenberatungen für einen Verfassungsentwurf. Am Ende legte der „Verfassungskonvent“ – so die offizielle Bezeichnung – den „Entwurf eines Grundgesetzes“ mit 149 Artikeln vor. Dieser war dann Grundlage für die weiteren Beratungen des Parlamentarischen Rats ab dem 1. September 1948 in Bonn.  Am 8. Mai 1948 – dem vierten Jahrestag der Kapitulation – wurde das „Grundgesetz“ vom Parlamentarischen Rat verabschiedet. Bis auf insgesamt 12 Mitglieder, u.a. den Vertretern der KPD, votierten alle Abgeordneten dafür – die Kommunisten stimmten dagegen, weil sie grundsätzlich gegen die  Entstehung der Bundesrepublik Deutschland waren. Nach der Genehmigung des Grundgesetzes durch die Militärgouverneure und der Ratifizierung durch die Landtage – als einziger der 11 Landtage stimmte der bayerische mit „nein“ – wurde das Grundgesetz am 23. Mai 1949 in einer feierlichen Schlusssitzung des Parlamentarischen Rates verkündet.

Bald begann der Wahlkampf zum ersten Bundestag. Er wurde hart und polarisierend geführt. Konrad Adenauer, der die CDU anführte, stellte die Wähler vor die Wahl zwischen „Christentum“ und „Sozialismus“. Die Sozialdemokraten bezeichnete er gern als die „heidnischen Brüder“ der Kommunisten. Die Wahl am 14. August 1949 ging knapp zu-gunsten von CDU/CSU (in den Schaubildern Union genannt) aus. Die Wahlbeteiligung lag bei 78,5 Prozent. Vier Wochen später wählte die erste Bundesversammlung den FDP-Politiker Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Einen Tag später wurde der CDU-Politiker Konrad Adenauer erster Bundeskanzler. Eine Woche später trat das Besatzungsstatut in Kraft, das der Bundesrepublik Deutschland eine teilweise Souveränität einräumte. Vor allem in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik hatten sich die Westalliierten wesentliche Souveränitätsrechte vorbehalten. Zwei Wochen später, am 7. Oktober 1949, wurde die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet. 

 

Ergebnis der Wahl zum ersten deutschen Bundestag am 14. August 1949 - in Bad Kreuznach:

 

 Dritter und letzter Bundeskongress des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes (AGB) Rheinland-Pfalz in Bad Münster am Stein am 24. Mai 1949
(Quelle: privat)

Für Hugo Salzmann hatte die Gründung der Bundesrepublik Deutschland ganz konkret zur Folge, dass sich der Allgemeine Gewerkschaftsbund (AGB) Rheinland-Pfalz auf seinem dritten und letzten Bundeskongress in Bad Münster am Stein am 24. September 1949 auflöste und sich dem neu gegründeten bundesweiten Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) anschloss. Salzmann, der beim AGB angestellter Gewerkschaftssekretär war, wurde nun hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär des DGB.